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Coronakrise Viele Künstler sind in einer prekären Lage

Schwierige Zeiten für Kreative – Aufträge brechen weg, Reisen zu Kunden sind nicht möglich, Galerien haben zu. Ein Stimmungspanorama.
26.03.2020 - 17:24 Uhr Kommentieren
Das Rundbild entstand 2014 unter dem Eindruck eines Erdbebens in der Atacama-Wüste. Sein Durchmesser beträgt zwei Meter. Quelle: Victor van Keuren
Ulrike Arnold vor „Cueva de la Chulacao, Atacama, Chile“

Das Rundbild entstand 2014 unter dem Eindruck eines Erdbebens in der Atacama-Wüste. Sein Durchmesser beträgt zwei Meter.

(Foto: Victor van Keuren)

Düsseldorf Die Schätzungen gehen auseinander, wie viele der freischaffenden Künstlerinnen und Künstler von ihrer Kunst leben können. In Berlin soll es jeder zehnte sein, andere Schätzungen nennen Sätze zwischen zwei und fünf Prozent. Das ist keine Neuigkeit, gewinnt aber in der Coronakrise zunehmend an Brisanz.

Denn bereits unmittelbar nach Inkrafttreten der weitreichenden Maßnahmen zur Eindämmung des Virus kamen alarmierende Meldungen zur existenzgefährdenden Dynamik der Krise. Schnell wurde deutlich, was in „normalen“ Zeiten gern unbemerkt bleibt: dass die gesamte Kreativbranche überwiegend am Rande des Prekären lebt und arbeitet.

Der Berliner Galerist Thomas Taubert sieht dunkle Wolken aufziehen: „Die Pandemie hat den Kunstmarkt kalt erwischt. Die gesamte Wertschöpfungskette, angefangen bei den Produzenten über die Speditionen bis zu den Galerien, Kunsthändlern und Messen, ist zu 100 Prozent betroffen: Es gibt schlicht keine Umsätze mehr.“

Und es stehe, sagt Taubert, auch zu befürchten, dass dies über einen langen Zeitraum anhalten wird. „Wir rechnen frühestens zum Saisonstart im Herbst wieder mit einer allmählichen Beruhigung. Aber: Krisen trennen auch die Spreu vom Weizen und sind als kathartischer Moment geeignet, den Blick wieder auf das Wesentliche zu lenken: die Inhalte, nicht den Preis.“

Wer das Glück hat, von einer Galerie vertreten zu werden als Künstler, profitiert auch bei heruntergefahrenem Galeriebetrieb vom Netzwerk und der Unterstützung des Galeristen. Sehr viel härter ist die Lage für Künstlerinnen, die ohne auskommen müssen.

Die Politik hat den Ernst der Lage erkannt. Sowohl auf Bundes- wie auch auf Länderebene werden Hilfsprogramme angeboten, die schnelle und unbürokratische Unterstützung in Aussicht stellen. Der Rettungsschirm des Bundes ruht auf drei Säulen: der Betriebssicherung – Stichwort Miete –, der Absicherung der persönlichen Lebensumstände durch einen schnellen Zugang zur Grundsicherung und schließlich der Abmilderung von Härten etwa im Insolvenzrecht.

„Mein kleines Unternehmen ist auf null im Moment.“ Quelle: Maria Lentzen
Maria Lentzen „27.1. 2020_Coronaschutz in Hongkong“

„Mein kleines Unternehmen ist auf null im Moment.“

(Foto: Maria Lentzen)

Die für die Kreativen wichtigen Beiträge zur Künstlersozialkasse können vorübergehend abgesenkt werden. Das Land NRW stützt mit einer Soforthilfe von zunächst fünf Millionen Euro freischaffende Künstlerinnen und Künstler. Sie sollen eine Einmalzahlung von bis zu 2000 Euro erhalten.

Von jeher sind Künstlerinnen und Künstler nicht nur im Atelier erfinderisch. Ihre Lebensentwürfe sind jeder für sich ein Sonderfall, ein ständig neu auszutarierendes Geflecht aus Kunstproduktion, Broterwerb und zufälligen Gelegenheiten.

Die Düsseldorfer Künstlerin Ulrike Arnold kann sich glücklich schätzen, denn sie kann von ihrer Kunst leben – ohne von einer Galerie vertreten zu werden. Ihre Kunst ist schwer einzuordnen und kreist seit bald vier Jahrzehnten um das Thema Erde. Arnold sammelt auf allen fünf Kontinenten Erden und Gesteine, die sie zerkleinert und mit einer speziellen Technik zu abstrakter Malerei auf Nesselgewebe verarbeitet.

Im Atelier statt in der Wüste

In Arnolds Atelier in Düsseldorf hängen aktuelle und ältere Arbeiten, darunter auch nagelneue Bleistiftzeichnungen. „Die richtige Galerie zu finden ist so schwierig, wie den richtigen Mann zu finden“, sagt Arnold nicht ohne Selbstironie. Durch Corona ist sie, die sonst nur unter freiem Himmel mit frisch zubereitetem Material arbeitet, gezwungen, drinnen zu arbeiten. Deshalb besinnt sie sich zurück auf ihre Wurzeln und zeichnet.

Eigentlich wollte die Weltreisende jetzt in den USA sein, um zu arbeiten und ihre Verkäufe anzukurbeln. Aber der von den USA verhängte Einreisestopp verhinderte diese Reise. Ihr Lebenspartner, der Fotokünstler Victor van Keuren, hätte mit seinem amerikanischen Pass zwar einreisen dürfen, aber das Risiko, auf absehbare Zeit nicht wieder zurückzukommen, war beiden zu groß.

Arbeit vor der Höhle

Ulrike Arnold hat zwar keine Galerie, aber eine enge Arbeitsverbindung als Artist in Residence zum Amangiri-Luxus-Resort in Canyon Point in Utah. In dessen puristischer Architektur inmitten einer archaischen Wüstenlandschaft hängen einige ihrer großformatigen Erdbilder. Und vor den Toren dieses Resorts arbeitet Arnold seit Jahren in und vor einer urzeitlichen Höhle. Gelegentlich kommen Gäste vorbei und interessieren sich für ihre Arbeit.

Auch im Resort selbst verkauft die Künstlerin ihre Arbeiten. Mit dem Resort hat Arnold so etwas wie einen Ersatz für die fehlende Galerie gefunden.

Dort setzt sie weitaus mehr Arbeiten ab als in Deutschland, wo zwar auch Interessenten ihr pittoreskes Atelier frequentieren, aber längst nicht so kauffreudig sind wie die Amerikaner. „Aber ich muss vor Ort sein, um den Leuten die Kunst nahezubringen. Von allein geht das nicht.“

Gesteinsproben, aus denen Malerei wird. Quelle: Ulrike Arnold
Statt Farbe aus der Tube

Gesteinsproben, aus denen Malerei wird.

(Foto: Ulrike Arnold)

Die durch Corona verhinderte Einreise macht ihr nun einen Strich durch die Rechnung. „Ich habe im vergangenen Juli das letzte Bild verkauft. Ich war schon sehr nervös. Aber jetzt hat gestern ein Käufer gezahlt, der seit dem Sommer überfällig war. So habe ich wieder etwas Luft.“

Als Meisterschülerin von Klaus Rinke stieß Arnold 1979 auf die prähistorische Höhlenmalerei in der Provence. Eine Initialzündung. Seither malt sie mit Gestein, auch mit Meteoritenstaub, am liebsten in der Natur. Mit der neuen Lage, die sie zur Arbeit im Atelier in sozialer Distanz zwingt, hadert sie nicht: „Ich bin ja auch in der Natur allein. Ich versuche, das anzunehmen und die Situation zu verwandeln. Es ist ja auch gewonnene Zeit, die man sonst nicht hätte. Auch, um etwas Neues zu tun. Dadurch entstehen jetzt gerade riesige Bleistiftzeichnungen.“

Ersatz für eine Galerie

Auch die Künstler der Produzentengalerie plan.d. in Düsseldorf versuchen, klarzukommen mit der ungewollten Isolation. Die Galerie plan.d. wurde vor 20 Jahren gegründet, um ehemaligen Meisterschülern der Akademie ein Forum zu bieten und Ausstellungen zu ermöglichen. Quasi als Ersatz für eine Galerie.

Mittlerweile stellen die elf Vereinsmitglieder vor allem auswärtige Künstler aus. Gute Verbindungen bestehen nach Asien und nach Skandinavien, wo es zu Austausch und gegenseitigen Ausstellungsprojekten kommt.

In einer Videokonferenz beschreiben vier Künstlerinnen und ein Künstler ihre derzeitige Situation. Peter Clouth schafft Installationen und Lichtobjekte: „Mir ist gerade ein Projekt in Holland abgesagt worden.“ Das wäre eine große Installation gewesen. „Die hätte ich sehr wahrscheinlich nicht verkauft. Aber so eine Ausstellung bietet dann immer die Möglichkeit, kleinere Arbeiten zu verkaufen. Wir stehen ja eher für experimentelle Arbeiten. Da ist Kontakt mit dem Publikum ganz wichtig.“

Besonders hart trifft es Utta Hagen, die bei Daniel Spoerri und Gerhard Richter studierte: „Bei mir fühlt es sich dramatisch an, ich erziele den Hauptteil meines Einkommens als Filmausstatterin, und mir wurde jetzt alles abgesagt. Das heißt null Einkommen! Im Moment verbringe ich halbe Tage am Telefon, um mich mit Kollegen zu beraten über die wirtschaftliche Situation.“

Ulrike Arnold zerkleinert Felsgestein zu Mal-Material Quelle: Victor van Keuren
Atelier unter freiem Himmel

Ulrike Arnold zerkleinert Felsgestein zu Mal-Material

(Foto: Victor van Keuren)

Heike Ludewig ist in einer vergleichsweise komfortablen Situation: „Ich habe eine halbe Stelle an der Schule, dadurch fehlen mir jetzt nur meine Kunsteinnahmen, denn zwei Ausstellungen im Mai wurden verschoben.“ Aber die Situation ist so deprimierend. „Ich habe noch nicht viel Lust auf Kunst und bin nur noch am Organisieren.“

Katrin Laade verteilt ihre Arbeit auf mehrere Baustellen: „Ich lebe von einer Kombination aus Minijob, Lehraufträgen, Kursen und Verkäufen. Natürlich bricht jetzt einiges weg, alle Jobs mit Honorarverträgen und die Lehrveranstaltungen. Ich werde im Moment aber familiär aufgefangen.“

Geistig gelähmt

Heike Ludewig sorgt sich auch um die längerfristige Perspektive: „Keiner weiß heute, wie es mit dem Kunstmarkt weitergeht. Vielleicht kauft ja keiner mehr, weil die Leute andere Sorgen haben.“ Das lähmt sie heute schon, selbst wenn sie weiß, „dass ich vorarbeiten könnte für Ausstellungen im Herbst“. Katrin Laade denkt über virtuelle Alternativen nach: „Zum Beispiel einen Malkurs online anbieten. Wir müssen ja das Beste daraus machen. Jetzt haben wir ja mehr Zeit zu arbeiten. Aber die Situation lähmt geistig.“

Maria Lentzen kommt ursprünglich von der Grafik und hat ein zweites Standbein in der Schule: „Man muss zuerst Abstand finden zum Geschehen und sich die Freiheit erkämpfen, um dann hoffentlich über der Situation zu stehen.“ Die Schule fällt flach, alle ihre Projekte sind gecancelt. „Mein kleines Unternehmen ist auf null im Moment.“

Chancen in der Ruhe

Bei aller Skepsis und Weltuntergangsstimmung gibt es aber auch im plan.d.-Team die Hoffnung, dass die Krise auch Chancen bietet. Heike Ludewig meint: „Es kann für die Kunst auch interessant werden. Die Verlangsamung, der kritische Blick auf den Kunstmarkt. Man lernt, anders über die Welt nachzudenken.“

Auch Katrin Laade kann der Entschleunigung einiges abgewinnen: „Die Arbeiten werden sich unter dem Eindruck verändern, ob man das will oder nicht. Ich merke jetzt schon, dass ich es als Erleichterung empfinde, nicht von Event zu Event rennen zu müssen.“ Maria Lentzen hofft auf einen Langzeiteffekt: „Vereinsamung und Distanz werden dafür sorgen, dass eine Riesensehnsucht entsteht, sich wieder zu nähern und auszutauschen.“

Mehr: Überlebens- und Behauptungskampf: Eine Ausstellung über sehr gute Künstlerinnen und keine netten Mädchen

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