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RezensionBankhaus Metzler arbeitet Umgang mit dem Nationalsozialismus auf

Die Privatbank hat einer Historikerin Zugang zu ihren Archiven gewährt, um einen Blick zurück ins 20. Jahrhundert zu werfen. Sie kommt zu teils neuen Erkenntnissen.Michael Maisch 19.11.2022 - 10:40 Uhr Artikel anhören

Bei einem Luftangriff der Alliierten im März 1944 wurde das damalige Gebäude des Bankhauses Metzler komplett zerstört.

Foto: Metzler

Frankfurt. Am 18. März 1944 musste Erich Menges über „die noch qualmenden Schuttberge“ zu seinem Arbeitsplatz in der Frankfurter Innenstadt klettern. Als er in der Großen Gallusstraße 18 ankam, bot sich ihm ein verheerendes Bild: Das Gebäude des Bankhauses Metzler war bei einem Luftangriff der Alliierten komplett zerstört worden. Menges war damals Lehrling bei Metzler, der ältesten deutschen Privatbank, die durchgehend in Familienbesitz ist.

Das Geldhaus pflegt die Tradition, leistet sich eine eigene Historikerin und kann seine Geschichte bis 1674 zurückverfolgen. Doch bislang gab es in der sonst so detailliert überlieferten Vergangenheit eine Art blinden Fleck: die Zeit des Nationalsozialismus.

Der Luftangriff 1944 ist ein entscheidender Grund für diese Lücke. „Damals wurde ein großer Teil der Geschäftsunterlagen vernichtet“, berichtet Emmerich Müller, der als Primus inter Pares den Vorstand der Bank leitet. Erst 70 Jahre später stellte sich heraus, dass der Schaden bei Weitem nicht so groß war wie lange befürchtet. Als Metzler 2014 von der Großen Gallusstraße an den Untermainkai umzog, tauchten verstaubte Kartons auf, gefüllt mit lange verloren geglaubten Unterlagen. Müller spricht von einem „Zufallsfund“.

Metzler übergab das Konvolut an die Historikerin Andrea Schneider-Braunberger, die die Dokumente sichtete, auswertete und weiter recherchierte. Das Ergebnis dieser akribischen Aufarbeitung ist jetzt im Hanser Verlag unter dem Titel „Das Bankhaus Metzler im Nationalsozialismus“ erschienen.

Für die Bank und die Familie fallen die Schlussfolgerungen zwiespältig aus. Ein schlimmer Verdacht wurde entkräftet und doch bedarf das Selbstbild der Metzlers einer Korrektur. „Die Familie hat erfahren und hat akzeptiert, dass die Rolle der Bank ambivalenter war als in den mündlichen Erzählungen aus dieser Zeit überliefert“, so drückt es die Autorin aus.

Andrea Schneider-Braunberger: Das Bankhaus Metzler im Nationalsozialismus. Carl Hanser Verlag München 2022 328 Seiten 38 Euro Der Titel erscheint am 24. November. Foto: Handelsblatt

Das Buch der Geschäftsführerin der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte zeichnet das Bild einer liberalen Bankiersfamilie, die sich trotz aller oft guten Absichten in Schuld verstrickt. Es ist auch die Geschichte zweier ungleicher Geschäftspartner. Albert von Metzler, der dem Widerstand nahesteht, und Gustav von Metzler, der wegen der komplexen Folgen seiner Verbindungen zu den Nationalsozialisten am Ende sogar ins Gefängnis musste.

Schmerzhafte Lücken in der Geschichte

Das Bankhaus Metzler und die Familie sind seit vielen Generationen eine Institution in Frankfurt. Eines der wenigen Unternehmen, die den Finanzplatz der alten Freien Reichsstadt mit dem modernen, nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Finanzzentrum verbinden.

Aber Metzler ist mehr als das. Die Bank und ihre Eigentümer sind ein Symbol für das jahrhundertealte Selbstverständnis Frankfurts als liberale, weltoffene und tolerante Bürgerstadt. Und so schließt die neue detailreiche Darstellung der Geschichte einer Bankiersfamilie zumindest ein Stück weit eine Lücke in der Frankfurter Finanzhistorie, eine Lücke, die die wahrscheinlich hässlichste Phase dieser Geschichte betrifft.

„Wenn man eine lange Geschichte hat, mit der man lebt und mit der man arbeiten will, dann muss man sich mit dieser Geschichte auseinandersetzen“, sagt Schneider-Braunberger. „Genau das haben die Metzlers gemacht.“ Die Historikerin lobt die Offenheit der Bank und der Familie. „Ich habe quasi den Schlüssel zum Archiv bekommen“, sagt sie. Und sie hat diese Offenheit genutzt, „um beinahe jeden Karton zu öffnen“.

Dass die Lücken in der Geschichte der Privatbank für die Familie schmerzhaft waren, schimmert an vielen Stellen im Buch durch. Ein Schlüssel dafür sind die Unterschiede zwischen Eigen- und Fremdbild der Metzlers.

In der Familienüberlieferung wurde vor allem ein moralisch „korrektes“ Verhalten während der NS-Zeit bewahrt. „Damals und später sahen die von Metzlers es als unbedenklich, ja positiv an, der Bitte jüdischer Bankiers um Unterstützung bei der Veräußerung ihrer Bankgeschäfte nachzukommen.“ Man habe sich selbst in finanziell zweifelhafte Situationen gebracht, um zu helfen, heißt es in dem Buch. Die Frage, ob man sich damit zum Gehilfen des Systems gemacht habe, stellte sich für die Metzlers nicht, auch weil die positive Erinnerung durch jüdische Gesprächspartner bestätigt wurde.

Beim Umzug in den heutigen Sitz der Bank tauchte der „Zufallsfund“ auf, auf dem die jetzige Aufarbeitung fußt.

Foto: Martin Starl/Bankhaus Metzler

Geprägt wurde das öffentliche Bild allerdings durch ein anderes Narrativ. Eine 2005 erschienene Studie des Geschichtswissenschaftlers Ingo Köhler zur Arisierung der Privatbanken im Dritten Reich kommt zu dem Schluss, dass das Bankhaus Metzler vier solcher Übernahmen initiiert und durchgeführt hat. Dabei geht es um die jüdischen Geldhäuser J. Dreyfus & Co., Bass & Herz, Jakob S. H. Stern und E. J. Meyer.

An der Motivation der Metzlers, ihr Archiv zu öffnen, lässt die Autorin keinen Zweifel: „Der Widerspruch zwischen familiärer Erinnerung und öffentlicher Wahrnehmung war ein entscheidender Grund für die Familie, vorliegende Studie zur Geschichte des Bankhauses im Dritten Reich zu befürworten.“

Schneider-Braunberger kommt auf Basis des neuen Materials zu völlig anderen Ergebnissen als ihr Kollege: „Das Bankhaus Metzler kam tatsächlich nur mit zwei Arisierungsfällen in Berührung, die Ingo Köhler untersucht hat.“ Dabei ging es um die Bankhäuser J. Dreyfus & Co. und Bass & Herz. Durch die Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten zum Aufgeben gezwungen, hätten diese jüdischen Bankhäuser in den Verabredungen mit Metzler für sich und ihre Kunden notgedrungen die beste Lösung gesehen.

In keinem Fall sei es zu einer Übernahme von Vermögenswerten gekommen. Vielmehr wurde in den Verträgen mit J. Dreyfus & Co. und Bass & Herz geregelt, dass Metzler Kundenkonten und „ausgewählte Angestellte“ der jüdischen Hauser übernimmt, zudem übernahm Metzler Pensionsverpflichtungen für Bass & Herz.

Die Schlussfolgerung der Historikerin: Das Bankhaus Metzler „arisierte also kein jüdisches Bankhaus; in die Verdrängung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben war es aber insofern involviert, als es jüdischen Bankiers half, ihre Häuser zu liquidieren.“

Bankier Müller akzeptiert diese „teilweise neuen Erkenntnisse“: „Die Bank und ihre Eigentümer haben Hilfe geleistet. Das war nicht nur selbstlos, es ging auch um wirtschaftliche Interessen und vor allem darum, zusätzliche Belastungen zu vermeiden.“

Geprägt wurde die Bank während des Nationalsozialismus von zwei persönlich haftenden Gesellschaftern: Albert von Metzler, Vater des heutigen Patriarchen Friedrich von Metzler, Vertreter der Frankfurter Linie der Familie, und Gustav von Metzler aus der sogenannten Bonameser Familie. Beide wurden in den Kriegsjahren zur Wehrmacht eingezogen, aber daneben gab es auch markante Unterschiede.

Sie prägten die Bank während des Nationalsozialismus als persönlich haftende Gesellschafter.

Foto: Metzler

In seiner Wehrmachtszeit in Belgien kam Albert von Metzler dem militärischen Widerstand sehr nahe. Sein Vorgesetzter General Alexander von Falkenhausen wurde Pate seiner Tochter Barbara; Pate seines Sohnes Friedrich wurde General Friedrich Olbricht. Beide Generale standen in direkter Verbindung zu den Attentätern des 20. Juli 1944. Olbricht wurde unmittelbar nach dem Attentat erschossen, Falkenhausen kam ins Konzentrationslager. Alberts Freund und Geschäftspartner Hans-Wilhelm von Tumpling war ebenfalls aktiv im Widerstand und wurde 1944 von der Gestapo verhaftet.

Die Schlussfolgerung der Autorin: Albert von Metzler wusste von verschiedenen Plänen der Hitler-Gegner, war aber selbst nicht aktiv. „So gab es eine politische Distanz zum NS-Regime und eine Nähe zu Kreisen des Widerstands.“

Weder Held noch Schurke

Ganz anders Gustav. Im Gegensatz zu Albert war er Mitglied der NSDAP. Anders als viele Unternehmer oder Bankiers hat er nach dem Zweiten Weltkrieg nie versucht, seine Mitgliedschaft oder seine Motivation, der Partei beizutreten, zu beschönigen. Nach Einschätzung von Schneider-Braunberger stand Gustav von Metzler dem Nationalsozialismus „positiv“ gegenüber. Ein „glühender Anhänger“ des NS-Regimes sei er allerdings nicht gewesen.

Als Parteimitglied und aufgrund seiner Rolle als Kreisamtsleiter war Gustav von Metzler einer Internierung durch die US-amerikanische Besatzungsmacht nur knapp entkommen, er musste jedoch „Aufbauarbeit“ leisten und wurde 1946 vom Arbeitsamt als Hilfsarbeiter an eine Baufirma vermittelt. Am 12. Mai 1948 wurde Gustav von Metzler als einziges in einem Spruchkammerverfahren angeklagtes Familienmitglied als „Minderbelasteter“ zu einer dreimonatigen Haft auf Bewährung sowie zur Zahlung von 1000 Reichsmark verurteilt.

Angesichts seines Entnazifizierungsverfahrens wollte Gustav von Metzler Schaden von der Bank abwenden, indem er versuchte, seine Verbindung zu dem Geldhaus zu kappen. Als er mit Schreiben vom 26. September 1945 aus dem Bankhaus ausschied, änderte er seine Vermögensverhältnisse und verstieß damit gegen die „Vermögenssperre“. Ein Gesetz aus dem Jahr 1945 ermöglichte es den Besatzungsbehörden, das Vermögen von politisch belasteten Deutschen einzufrieren. Am 15. März 1948 wurde Gustav von Metzler zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt. Am Ende saß er sieben Monate in Haft.

Albert von Metzler sah sich selbst nicht als Held des Widerstands und seinen Geschäftspartner Gustav nicht als Schurken. „Man musste sich nach außen loyal verhalten und mehr durch passiven Widerstand die Auswirkungen des Regimes schwächen“, schrieb er einmal. Gustavs Parteimitgliedschaft schätzte er als „Schutzschirm“ für die Bank.

Am Ende der gut 300 Seiten steht eine Geschichte voller Grautöne, eine Geschichte, die zeigt, dass es unpolitisches Unternehmertum nicht geben kann, erst recht nicht unter einem Schreckensregime wie dem Nationalsozialismus. Die Bewertung der Autorin: „Man war Freund, Helfer und Unterstützer, vielleicht manchmal sogar Retter, auf der einen Seite und war zeitgleich durch die Rolle als Bank in einem diktatorischen System eben doch auch Unterstützer eben genau dieses Unrechtsstaates.“ Metzler-Chef Emmerich Müller drückt es so aus: „Wir stehen zu dieser Geschichte mit all ihren Facetten.“

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