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Finanzmarkt „Revolutionärer Wandel“ – Coronakrise beschleunigt Digitalisierung des Anleihehandels

Banken und Investoren setzen im Bondhandel immer stärker auf elektronische Plattformen. Das erhöht die Abhängigkeit von den drei wichtigsten Anbietern.
04.03.2021 - 03:54 Uhr Kommentieren
„Man kann als Händler ohne diese Plattformen gar nicht mehr existieren“, sagt der Prokurist der Frankfurer ICF Bank. Quelle: dpa
Anleihehändler Arthur Brunner

„Man kann als Händler ohne diese Plattformen gar nicht mehr existieren“, sagt der Prokurist der Frankfurer ICF Bank.

(Foto: dpa)

Frankfurt Arthur Brunner sitzt auf dem Parkett der Frankfurter Wertpapierbörse direkt unter der großen Dax-Kurstafel. Doch einen erheblichen Teil seiner Geschäfte wickelt der Anleihehändler der Wertpapierbank ICF inzwischen über die außerbörslichen Handelsplattformen Bloomberg, Tradeweb und MarketAxess ab.

„Man kann als Händler ohne diese Plattformen gar nicht mehr existieren“, sagt der 57-Jährige. „Dort geht alles viel schneller, es ist transparenter und man kann sicher sein, den besten Preis zu bekommen.“ Über die Plattformen kontaktiert Brunner für seine Trades mehrere Marktteilnehmer – und entscheidet sich dann für den mit den besten Konditionen.

Auch andere Banken, Vermögensverwalter und Investoren setzen im Anleihehandel zunehmend auf elektronische Plattformen. Diesen Trend gibt es schon seit einigen Jahren, aber er hat sich seit dem Ausbruch von Corona deutlich beschleunigt. Die Analysten der US-Bank Morgan Stanley sprechen von einer „Zeitenwende im Anleihehandel“.

Aus Sicht von MarketAxess war die Entwicklung absehbar. Der Aktien- und Derivatemarkt habe sich bereits vor langem hin zum elektronischen Handel verlagert, sagt Vorstandsmitglied Chris Concannon im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Jetzt findet dieser revolutionäre Wandel im Anleihehandel statt, dem mit Abstand größten Markt der Welt.“

Laut Daten des Kapitalmarktverbands ICMA belief sich das Volumen an ausstehenden Anleihen Mitte 2020 weltweit auf 128 Billionen US-Dollar. Gut zwei Drittel davon entfielen auf Unternehmensbonds, der Rest auf Staatsanleihen und staatsnahe Papiere.

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Der Kauf und Verkauf von Bonds war über Jahrzehnte eine konservative Bastion im hochtechnisierten Wertpapierhandel. Auch im Zeitalter des Highspeed Trading und der Algorithmen liefen die Geschäfte vor allem über das Telefon.

Als der elektronische Bondhandel Anfang des Jahrestausends langsam von Amerika nach Europa schwappte, waren viele Investoren noch skeptisch. „Sie fanden es vertrauenswürdiger, eine Stimme am Telefon zu hören und hofften auch, im persönlichen Gespräch einen besseren Preis vereinbaren zu können“, erzählt Mark Andryeyev, der Leiter des Bondhandels bei der Commerzbank.

Trendwende hat längst eingesetzt

Mittlerweile gibt es solche Vorbehalte nicht mehr. Alle großen Banken und Investoren sind bei Bloomberg, Tradeweb und MarketAxess angeschlossen – und auf die Plattformen mittlerweile angewiesen. Manuell abwickeln könnten viele Finanzkonzerne die gewaltige Zahl an Handelsgeschäften nämlich gar nicht mehr. „Inzwischen gibt es eine große Abhängigkeit von den Plattformen“, konstatiert Andryeyev.

Die Coronakrise hat der Digitalisierung des Anleihemarkts einen weiteren Schub verliehen. Anders als im Handelssaal haben die meisten Trader im Homeoffice nämlich keine spezialisierten Telefonsysteme, mit denen sie mehrere Marktakteure gleichzeitig kontaktieren und Geschäfte absprechen können. Viele setzen Zuhause deshalb verstärk auf Plattformen wie Tradeweb und MarketAxess.

Im Geschäft mit US-Anleihen von Unternehmen mit guter Bonität ist der Anteil des elektronischen Handels von Anfang 2019 bis Ende vergangenen Jahres von 21 auf 38 Prozent gestiegen, wie aus Daten des Analysehauses Greenwich hervorgeht. Bei Hochzinsanleihen hat sich der Anteil sogar mehr als verdoppelt auf 26 Prozent.

Für Europa gibt es solch detaillierte Zahlen nicht. MarketAxess schätzt jedoch, dass der Anteil des elektronischen Handels bei europäischen Unternehmensanleihen bereits zwischen 40 und 50 Prozent liegt. Vorstand Concannon ist zuversichtlich, dass der Siegeszug der Plattformen noch lange nicht vorbei ist. „Ich gehe davon aus, dass der Anteil des elektronischen Handels in einigen Jahren auf 90 Prozent steigen wird.“

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Bei der Commerzbank laufen bereits heute 85 Prozent aller Anleihe-Geschäft rein elektronisch ab. Ein großer Teil davon wird mithilfe von Algorithmen abgewickelt. Wenn die Bank eine Standard-Anfrage bekommt, die in ihr Raster passt, schickt ein Computer innerhalb von Millisekunden einen Preis raus, ohne dass ein Händler nochmal draufschaut. Bei vielen Investoren läuft das genauso. „Ein großer Teil des Handels findet heute somit zwischen Computer und Computer statt“, betont Commerzbank-Manager Andryeyev.

Die Arbeit im Handelssaal hat sich dadurch deutlich verändert. „Händler entwickeln sich von reinen Tradern immer mehr zu Portfoliomanagern“, sagt Andryeyev. „Sie beobachten, wie sich die Risiken verändern und entscheiden dann, ob wir unsere Preise und Absicherungsstrategien leicht anpassen.“ Zudem seien Händler immer häufiger bei der Entwicklung von Algorithmen involviert.

Praktisch für die Banken ist, dass sie wegen der Digitalisierung des Anleihehandels deutlich weniger Mitarbeiter im Vertrieb benötigen. Um etwas zu verkaufen, muss heute niemand mehr 20 Leute anrufen. Meist reicht es, auf den Plattformen einen Preis anzuzeigen und so zu signalisieren, dass man Interesse an einem Geschäft hat.

Auch für Investoren haben sich durch die Plattformen neue Möglichkeiten ergeben. Immer häufiger komme es nun vor, dass Vermögensverwalter direkt miteinander Geschäfte machen, sagt Christoph Hock von der Fondsgesellschaft Union Investment. „Diese Form des Handels hat in der Coronakrise eine massive Volumenerhöhung erlebt.“

Der Vorteil für Union Investment und andere Investoren: Auf eine Bank, die bei Handelsgeschäften sonst als Broker zwischengeschaltet ist und dafür Geld verlangt, können sie bei derartigen Transaktionen verzichten.

Deutsche Börse schaut in die Röhre

Die größten Profiteure des Wandels sind jedoch die elektronischen Plattformen selbst. Bei ihnen haben Handelsvolumen und Aktienkurse zuletzt gleichermaßen anzogen. Die Papiere von Tradeweb und MarketAxess legten seit Anfang vergangenen Jahres um mehr als 50 Prozent zu.

„Unsere Aktienkursentwicklung korreliert mit der von Unternehmen wie Netflix, die ebenfalls zu den großen Gewinnern der Coronakrise zählen“, frohlockt Concannon. Mittlerweile kommt MarketAxess auf eine Marktkapitalisierung von rund 22 Milliarden Dollar – und ist damit fast so viel wert wie die Deutsche Bank.

Das Unternehmen hat sich im Rahmen seiner 27 Milliarden Dollar schweren Übernahme von Refinitiv eine Mehrheitsbeteiligung an Tradeweb gesichert. Quelle: Reuters
Londoner Börse

Das Unternehmen hat sich im Rahmen seiner 27 Milliarden Dollar schweren Übernahme von Refinitiv eine Mehrheitsbeteiligung an Tradeweb gesichert.

(Foto: Reuters)

Der Boom der Bondsplattformen ist auch den etablierten Börsenbetreibern nicht verbogen geblieben. Die London Stock Exchange hat sich im Rahmen ihrer 27 Milliarden Dollar schweren Übernahme von Refinitiv kürzlich eine Mehrheitsbeteiligung an Tradeweb gesichert. Die US-Börse ICE schluckte bereits 2018 die Bondsplattform TMC.

Auch die Deutsche Börse hat mehrfach betont, dass sie im Anleihehandel gerne zukaufen würde. Bisher hatten die Frankfurter dabei allerdings keinen Erfolg. Im Bieterwettstreit um die Borsa Italiana, die zusammen mit der Staatsanleiheplattform MTS verkauft wurde, zogen die Hessen gegen die Mehrländerbörse Euronext den Kürzeren.

Dass die Digitalisierung des Anleihehandels so lange gedauert hat, liegt vor allem an der Vielzahl der Produkte. Unternehmen und Staaten begeben sehr viele Bonds, die oft unterschiedliche Strukturen und Laufzeiten haben. Einzelne Anleihen sind deshalb oft nicht so liquide wie Aktien, was einen elektronischen Handel grundsätzlich erschwert.

Menschliche Kontrollen bei großen Deals

Bei großen Portfoliotransaktionen verhandeln Käufer und Verkäufer zudem häufig bilateral über die genauen Konditionen – und legen auch wegen des gewaltigen Volumens Wert auf einen menschlichen Kontrollblick. Bei der Commerzbank wird der Handel von Unternehmensbonds ab einem Volumen von zehn Millionen Euro von Menschen überprüft, bei Staatsanleihen liegt die Schwelle bei 500 Millionen Euro.

Manueller Handel findet zudem noch bei ausgefalleneren Produkten statt – etwa bei Staatsanleihen aus Schwellenländern oder illiquiden Unternehmensanleihen. „Da werden zwar Preise auf den Plattformen angezeigt, aber vereinbart und abgewickelt werden diese Geschäfte häufig noch per Telefon oder Chat“, berichtet Andryeyev. „Oft hinterlassen Kunden bei uns bei ausgefalleneren Produkten auch Orders und geben uns Zeit, eine Gegenpartei für den Handel zu finden.“

Trotz dieser Herausforderungen gehen Experten davon aus, dass künftig noch mehr Bondgeschäfte elektronisch abgewickelt werden. Wegen des steigenden Kostendrucks werden sich nach Einschätzung von Morgan Stanley noch mehr Versicherer und Investoren bei den Plattformen anschließen. Händler erwartet zudem, dass auch Zentralbanken Bloomberg, Tradeweb und MarketAxess noch stärker nutzen werden.

Dass der Trend zu den Handelsplattformen weiter ungebrochen ist, liegt auch an den europäischen Mifid-II-Transparenzvorschriften. Sie zwingen alle Beteiligten, Handelsgeschäfte zu dokumentieren und an die Aufsichtsbehörden zu melden. Auf den elektronischen Plattformen passiert das fast automatisch, bei Telefonaten ist es deutlich aufwendiger.

Die Banken meiden das Risiko

Ein weiterer Grund für den Boom der Plattformen ist, dass viele Banken den Eigenhandel nach der Finanzkrise 2008 deutlich zurückgefahren haben und heute deutlich weniger Risiken auf die eigenen Bücher nehmen. Dadurch gibt es am Markt insgesamt weniger Liquidität – und es besteht mehr Druck, diese möglichst effizient auf wenigen, großen Plattformen zu bündeln.

Die Coronakrise hat jedoch auch gezeigt, dass es trotz der wachsenden Popularität der Plattformen weiter zu Engpässen kommen kann. Zu Beginn des ersten Lockdowns im März 2020 trocknete der Anleihemarkt für einige Tage aus, weil Banken und Investoren vor lauter Unsicherheit lieber die Füße stillhielten. Damals wusste niemand, ob Asset-Manager und Zentralbanken am nächsten Tag noch handeln können, weil alle Mitarbeiter auf einmal von zu Hause aus arbeiten mussten.

„Wenn keine Liquidität da ist, kann auch die Maschine nicht weiterhelfen“, sagt Arthur Brunner von der ICF Bank. Der Anleihehändler kann sich an die krisenhaften Tage vor rund einem Jahr noch gut erinnern. Damals hat er Geschäfte wieder verstärkt am Telefon eingefädelt. „Gerade in solchen Phasen“, sagt Brunner, „ist der persönliche Kontakt nach wie vor sehr wichtig.“

Mehr: Steigende Anleiherenditen bringen Anleger und die Fed in Bedrängnis.

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