Gastkommentar: Deutschland und Olympia – Jetzt ist es Zeit für den Aufbruch!

Die Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris 2024 haben eindrucksvoll bewiesen, welchen messbaren Effekt dieses globale Sportereignis entfalten kann: 84 Prozent der Weltbevölkerung wurden vor Ort oder medial erreicht und begeistert.
181.000 Menschen fanden durch die Spiele Arbeit. Das Gesamtauftragsvolumen betrug fünf Milliarden Euro, und die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung wird konservativ mit neun Milliarden Euro kalkuliert. Besonders bemerkenswert: 90 Prozent aller Aufträge gingen an kleine und mittelständische Unternehmen in Frankreich.
Olympische Spiele sind also weit mehr als ein Fest des Sports – sie sind ein zentraler Wirtschaftsfaktor, ein Innovationsmotor und ein gesellschaftlicher Katalysator. Als erste Bewerberregion für eine mögliche deutsche Bewerbung um Olympische Spiele 2036, 2040 oder 2044 stellt am 26. Oktober München sein Konzept zur Volksabstimmung.
Wer dann mit der U-Bahn zum Abstimmungslokal fährt, sollte sich erinnern, dass München sein U-Bahn-Netz genauso wie viele andere städtebauliche Solitäre und Infrastrukturen ganz wesentlich dem Zuschlag der Olympischen Spiele 1972 verdankt – und zwar nicht den Bau an sich, sondern die pünktliche Fertigstellung.
Denn die Spiele 1972 gaben der Modernisierung ein konkretes Zieldatum und sorgten so dafür, dass Projekte umgesetzt wurden, die ohne diesen Anlass vielleicht noch Jahre oder Jahrzehnte länger gebraucht hätten. Die zweite Stammstrecke, so lachen sie in München, wird am 26. Oktober sicher für Olympia stimmen.
Olympische Spiele können ein Katalysator sein
Paris verdankt den Olympischen Spielen 2024 den Ausbau seiner Fahrradwege auf über 400 Kilometern, und natürlich hat dieses Netz über die Spiele hinaus Bestand. Auch die Rekultivierung der Seine hat erst durch die Olympischen Spiele 2024 nach rund vier Jahrzehnten Wartedauer endlich ihren Abschluss erfahren. Wer die Kosten Olympischer Spiele hochrechnet, darf ihren Nutzen nicht relativieren.
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Olympische und Paralympische Spiele sind eine Investition. Das hat die Wirtschaft in Deutschland verstanden. Heute gehen wir mit unserer Wirtschaftsinitiative zur Unterstützung einer deutschen Bewerbung für Olympische Spiele an den Start.
Wir haben Abschied genommen von einer Vergangenheit, in der bloß wenige große Marken eine Bewerbung zwar massiv, aber eben auch eher exklusiv unterstützten. Wir setzen heute auf eine Unterstützung aus der Wirtschaft nicht als Spitzensport weniger finanzstarker Player, sondern als Breitensport und Mitmach-Bewegung möglichst vieler und unterschiedlicher Unternehmen, die alle denselben Beitrag leisten.
Eine Beteiligung von 30 Partnerinnen und Partnern nach und nach hätten wir als sensationell empfunden – tatsächlich gehen wir schon heute mit knapp 40 Partnerinnen und Partnern an den Start. Das sagt mir: Unsere Wirtschaft in Deutschland vertraut dem Sport, sie vertraut der Gesellschaft und der Politik, und sie traut sich selbst eine aktive Beteiligung an einer Bewerbung für Olympische Spiele zu, weil sie die Stärke erkennt, die in einer solchen Bewerbung liegt.
Olympische Spiele können der Katalysator sein, den Deutschland in so vielen für den wirtschaftlichen Erfolg wichtigen Bereichen dringend braucht – etwa bei der Modernisierung der Infrastruktur oder bei der Digitalisierung. Ein solches Großereignis setzt ein unverrückbares Zieldatum, das Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zwingt, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten und sie rechtzeitig fertigzustellen. Nicht „fit für die Spiele“, sondern „fit durch die Spiele“.
Während andere Nationen durch Olympische Spiele Zukunfts- und Modernisierungsprojekte vorantreiben und sich damit internationale Wettbewerbsvorteile erarbeiten, haben wir zu oft gezögert. Die Olympischen und Paralympischen Spiele können für Deutschland zum Weckruf werden, sich neu zu erfinden, einen Modernisierungsschub zu erleben und als Gesellschaft zusammenzuwachsen.
Spiele in der Mitte der Gesellschaft
Damit die Spiele gelingen, braucht es neben einer breiten Zustimmung in der Bevölkerung auch klare politische Bekenntnisse zur finanziellen Unterstützung: Die „Sport-Milliarde“, die der Bund in den kommenden vier Jahren für Sanierung und Modernisierung von Sportstädten zur Verfügung stellt, ist ein Anfang.
Wenn wir in Deutschland wirklich eine sportlich fitte und leistungsbereite Gesellschaft werden wollen, reicht aber diese eine Milliarde wahrscheinlich nicht aus. Wir sollten daraus eine jährliche „Sportmilliarde“ machen.
Sie wird sich in so vielen Bereichen auszahlen, erst recht im Gesundheitsbereich, der derzeit händeringend nach Wegen sucht, die gestiegenen Behandlungskosten vermeidbarer Krankheiten nachhaltig in den Griff zu bekommen. Hier böte sich eine Chance, sportpolitisch, gesundheitspolitisch und haushaltspolitisch einen multiplen Nutzen zu erzeugen. Notwendige Reformen sind immer Teil einer erfolgreichen Vergabe von Olympischen Spielen.
Wir müssen als organisierter Sport gemeinsam mit der Politik diese notwendigen Reformen anstoßen und umsetzen, Verantwortung übernehmen und Vorbild sein. Olympische Spiele können ein Projekt sein, das das Land eint – aber eben nur, wenn wir bereit sind, im Team miteinander die Spiele in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen, sie offen, modern, nachhaltig und verantwortungsvoll zu gestalten. Und sie mit positiven Emotionen aufzuladen.
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München verdankt den Olympischen Spielen 1972 übrigens nicht nur Teile seiner Infrastruktur. Der Wettbewerbsvorteil des Olympiastadions hat maßgeblich dazu beigetragen, dass der FC Bayern die unumstrittene Nummer eins des deutschen Fußballs ab den Siebzigerjahren wurde und München zu den Welthauptstädten des Fußballs gemacht hat.
Der FC Bayern München gehört zu den wichtigen Unterstützern der Münchener Olympiainitiative und macht seine neue Heimat, die Allianz-Arena an diesem Spieltag zu einer Art Kurzzeit-Olympia-Stadion mit dem mutmaßlich wohl emotionalsten Mobilisierungseffekt, den sich München als Bewerberregion eine Woche vor der Volksabstimmung überhaupt wünschen kann.
Deutschland hat alles, was es braucht, um Gastgeber der Olympischen und Paralympischen Spiele zu sein: Erfahrung, Know-how, Begeisterung. Olympische Spiele sind kein Selbstzweck, sondern ein Aufbruchssignal für ein modernes, zukunftsfähiges Deutschland, das sich seiner Stärken bewusst ist und mutig in die Zukunft geht.



Der Autor: Michael Mronz ist Unternehmer, Sport- und Eventmanager sowie Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und im Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).
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