Leadership: Ego-Führung wird zum Brandbeschleuniger

Es ist nun wirklich lange her, dass ein CEO das ihm vorgestellte Papier am Schreibtisch stehend anzündete, um auf diesem Wege seine flammende Ablehnung zu dokumentieren. Auch dass der Kommunikationschef eines Unternehmens schlicht die Taschen der Anwesenden nahm und sie nach draußen in den Flur warf, muss Jahre zurückliegen.
Und ich habe auch lange nicht mehr erlebt, dass Aschenbecher, Tassen oder andere interessante Gegenstände durch Büroräume geflogen sind. Führung hat sich wirklich verbessert. Da können wir froh sein.
Oder aber die Beteiligten haben gelernt, ihre wahren Empfindungen zu verstecken. Denn natürlich haben auch Führungskräfte Gefühle, und irgendwo müssen die ja mal raus. Das geht auch beim Iron Man auf Hawaii, beim Squash oder beim Schreien in den Bergen.
Für die Mitarbeitenden ist das angenehmer. Die Frage ist nur: Hat sich etwas in der Codierung von Führung verändert, oder wurde nur das Display ein wenig gedimmt?
KI als Chef-Konkurrenz: Was bleibt von der Führung?
Die Antwort ist gerade ziemlich entscheidend. Für die künftige, weitreichende Kollaboration von menschlicher und Künstlicher Intelligenz ist zum einen noch ungeklärt, wer welchen Part übernimmt. Das wird in vielen Runden ängstlich diskutiert. Auch Führungskräfte sorgen sich, ihr Alleinstellungsmerkmal könnte bald nicht mehr gefragt sein.
Wenn die KI Milliarden von Daten auswertet, gute Prognosen macht, strategische Szenarien entwerfen kann, auf die doch kein Mensch hätte kommen können – was bleibt dann zu entscheiden und zu führen?
Eine Menge. Denn wer das Potenzial von KI optimal nutzen will, muss die richtigen Systeme einsetzen, anpassen und strategisch ausloten, wo das wie im Unternehmen überhaupt Sinn ergibt. Vor allem aber muss er motivieren, moderieren, deeskalieren in der eigenen Truppe. Sie sieht sich schon auf dem Weg in ein unübersichtliches Schlachtfeld, auf dem Menschen mit kognitiven Streichhölzern gegen Flammenwerfer der Intelligenz zu kämpfen haben.
Das ist schon in wirtschaftlich guten Zeiten eine schwierige Anforderung. Derzeit aber rutschen wir immer tiefer in eine toxische Kombination aus Krise und Radikaltransformation. Für die Einführung der neuen Allzwecktechnologie KI werden menschliche Empathie, das Denken in Ökosystemen und Persönlichkeiten gebraucht, die in der Lage sind, vom eigenen Ego abzusehen.
Als Gegenpart zur Leistungsfähigkeit der KI ist beim Menschen die emotionale Seite der Führung gefragt – schon bei dem Begriff krümmen sich bei manch einem die Zehennägel.
Doch genau das Gegenteil hat in wirtschaftlichen und geopolitischen Krisenzeiten Konjunktur. In denen kommt ein starker Führer, dessen Persönlichkeit vor allem durch die „dunkle Triade“ (Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie) geprägt ist. Der beim Blick in den Spiegel die Leibhaftigwerdung der „Great Man Theory“ des schottischen Historikers Thomas Carlyle entdeckt. Die da besagt, dass er dazu bestimmt ist, als Leader zu agieren.
Danach geht aller Erfolg und jede Veränderung auf die Entscheidungen einzelner, großartiger Männer zurück. Sie ist beste Voraussetzung für einen transaktionalen Führungsstil: Ich halte ein Möhrchen hin, und meine Häschen werden schon ans Laufen kommen.
Genauso sieht es bei den ersten Modellen von KIs in Führungsrollen aus. Der Online-Gamer Net Dragon Software aus Hongkong hat 2022 eine straffe KI als CEO eingesetzt. Prompt stieg der Aktienkurs um zehn Prozent. Und der polnische Getränkehersteller Dictador lässt seine robotische KI-CEO Mika im Interview mit Reuters sagen: „Ich habe keine Wochenenden, ich bin 24/7 bei der Arbeit, um Entscheidungen zu treffen und die Magie der KI anzufachen.“
Schlechtes Führungsverständnis technisch nachgebaut
Menschen bauen ihr schlechtes Führungsverständnis jetzt technisch nach. Das ist tragisch nach allem, was wir bisher aus Wissenschaft und Forschung wissen. Denn der Erfolg eines hybriden Mensch-Maschine-Modells unserer Arbeitszukunft verlangt exakt das Gegenteil.
Menschen, die systemisch denken, Widersprüche aushalten, statt sie gleich auflösen zu wollen, die agil und adaptiv mit den schnell wechselnden Anforderungen unserer Zeit umgehen. Vor allem aber solche, die nicht glauben, sie könnten alles kontrollieren.
Es ist fast ein Treppenwitz der Technologiegeschichte, dass die KI auch helfen kann, unsere menschlichen Beschränkungen zu überwinden. Eine aktuelle Harvard-Studie in Kooperation mit Procter & Gamble zeigt: Wer KI richtig nutzt, ist nicht nur viel leistungsfähiger und kann die Arbeit ganzer Teams wegzaubern. Es fällt ihm auch viel leichter, aus den eigenen Silos auszubrechen und übergreifend zusammenzuarbeiten. Und dabei ist er dann auch noch glücklicher als unter Menschen alleine.


Zeit also, sich an ein Konzept zu erinnern, das der amerikanische Psychologe Daniel Goleman 1995 in seinem gleichnamigen Buch als „emotionale Intelligenz“ beschrieben hat. Führungskräfte mit hohem EQ können ihre Teams besser motivieren und führen, besser mit Unsicherheit umgehen, leichter Konflikte lösen und viel effektiver Transformation gestalten.
Man könnte Golemans Buch ja mal ein paar Führungskräften auf den Tisch legen. Mal sehen, ob es bald brennt, durch den Raum fliegt oder vielleicht sogar gelesen wird.
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