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Kolumne „Kreative Zerstörung“Kracht ein Paradigma in einen Zaun

Eine dem Menschen überlegene Künstliche Intelligenz könnte die Welt radikal verändern. Diesen Wandel sollte man nicht erzwingen – sondern verantwortungsvoll gestalten.Meckel Miriam 08.04.2025 - 16:57 Uhr Artikel anhören
In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen. Foto: Klawe Rzeczy

Das Leben ist kein langer, ruhiger Fluss, auch wenn manch einer das gerne so hätte. Die Zeit verläuft nicht linear, sondern gekrümmt, wie Einstein in seiner Relativitätstheorie nachweist. Und der disruptive Fortschritt schickt keine freundliche Ankündigung, bevor er bei uns auf der Matte steht. Er rennt einfach die Tür ein.

Der amerikanische Philosoph Thomas S. Kuhn hat dies in seinem Buch „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ bereits 1962 beschrieben und dabei ein neues Wort geprägt: den Paradigmenwechsel. Der tritt ein, wenn eine Welle aus gesellschaftlicher Veränderung, Enthusiasmus und Fortschrittsversprechen die Landkarte und Marschrichtung einer ganzen Gesellschaft verändert. Einfacher gesagt: Der Ist-Zustand kann kippen, wenn er mit genügend Momentum unterwegs ist. Die Veränderung kracht dann ins Haus der Menschheit.

Das geschieht gerade mit der Künstlichen Intelligenz. Es sind nicht nur die einzelnen Fortschritte wie in der Bildgenerierung, die uns das immer wieder zeigen. Während es bis vor wenigen Tagen unmöglich war, mit ChatGPT ein vernünftiges Bild zu kreieren, in das lesbare und sinngebende Schrift integriert war, gelingt das mit dem multimodalen 4.0-Modell nun problemlos – ein großer Teil der Kreativwelt hat sich über Nacht verändert.

Aber die KI-Erzählung schlägt einen noch viel größeren Bogen. Der Begriff unserer Tage lautet „AGI“ – die Allgemeine Künstliche Intelligenz (Artificial General Intelligence), die uns Menschen überholen und in vielem überflüssig machen soll. Der Begriff kommt in zahlreichen Varianten daher: Turbo-KI, Super-KI, übermenschliche KI. Alle reden davon, aber keiner weiß so recht, was sich wirklich dahinter verbirgt.

Microsoft-Forscher erklärten schon im Jahr 2023, dass GPT-4 „Funken von AGI“ zeige. Da war wohl eher Marketing im Spiel als eine materielle Manifestation. In seiner Charta definiert OpenAI AGI als „hochgradig autonome Systeme, die den Menschen bei den meisten wirtschaftlich wertvollen Arbeiten übertreffen“.

Nur: Wer bestimmt hier eigentlich, was „wirtschaftlich wertvoll” ist? Auch OpenAI-Chef Sam Altman spaziert über die Bühnen dieser Welt und redet – gefragt und ungefragt – über AGI. Eine der skurrilsten Definitionen ist der „Kaffeetest“, der angeblich auf den Apple-Mitgründer Steve Wozniak zurückgeht. Er besagt, dass AGI erreicht sein wird, wenn eine KI einen Kaffee kochen kann.

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Skurril ist auch, wie der Begriff AGI derzeit den Diskurs im Silicon Valley dominiert. Wie junge Programmierer darüber reden, dass wir weniger Kinder in die Welt setzen und uns mehr um die Zukunft der „AGI-Babys“ kümmern sollten. Wenn diese Debatte ein Ausweis für den geistigen Zustand der Menschheit ist, dann sind wir auf dem Weg der technisch induzierten Allgemeinen Menschlichen Verdummung – oder „Artificial General Stupidity“, AGS. Wie schlecht muss es um das Selbstbewusstsein unserer Spezies bestellt sein, wenn wir praktisch in vollständiger Selbstaufgabe die Übernahme unseres Lebens und unserer Existenz durch KI herbeireden? Wenn wir dadurch – Thomas S. Kuhn lässt grüßen – den Paradigmenwechsel herbeizwingen, den wir eigentlich verantwortungsvoll gestalten sollten?

Wie diese Gestaltung bislang aussieht, ist besorgniserregend. Da fällt Elon Musk mit einer Armada von Adepten aus seinen zahlreichen Unternehmen ins Weiße Haus ein, schickt eine Säuberungstruppe durch die gesamte öffentliche Verwaltung der USA, killt Organisationen, feuert Hunderttausende und lässt KI auf alles los, was sich so doch sicher schnell mal auf einen menschlichen Nullpunkt runterrechnen lassen sollte.

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Es wäre Zeit, dass Gilbert K. Chesterton sich Elon Musk in den Weg stellt. In einer Szene des englischen Schriftstellers geht ein moderner Reformer fröhlich auf einen Zaun zu und sagt: „Wofür soll dieser Zaun gut sein? Ich sehe keinen Nutzen darin, wir sollten ihn niederreißen.“ Der intelligentere Reformer, der schon am Zaun wartet, antwortet: „Wenn Sie keinen Nutzen darin sehen, werde ich es sicher nicht zulassen, dass Sie ihn niederreißen. Gehen Sie weg, und denken Sie nach. Wenn Sie dann zurückkommen und mir sagen, dass Sie wissen, wozu der Zaun dienen könnte, erlaube ich Ihnen vielleicht, ihn zu zerstören.“

In diesen Tagen knallt das alte Paradigma menschlicher Auf- und Übersicht immer wieder neu mit einem lauten Krachen in den Chesterton-Zaun. Viele verstehen offenbar gar nicht mehr, warum es menschlich-intelligente Regeln gibt, die im freien Lauf des Fortschritts manchmal Hürden sind. Sie glauben, diese Regeln, ja gar die Idee, menschliche Intelligenz könne einzigartig und damit schützenswert sein, hätten ausgedient und könnten daher abgeräumt werden. Wenn das so kommt, werden die meisten von uns allerdings unumzäunt und ungeschützt zurückbleiben mit der Frage: Warum hat das keiner kommen sehen?

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