Kommentar: In Deutschland geht es gerechter zu, als es die Linken uns erzählen

Das Klagen über den Abstieg des Wirtschaftsstandorts ist berechtigt. Das Klagen über eine angeblich immer weiter zunehmende Ungleichheit im Land hingegen nicht – diese Darstellung ist übertrieben.
Wer einigen linken Stimmen zuhört, könnte den Eindruck gewinnen, die Deutschen lebten in Zuständen, die einer Oligarchie ähneln. Demnach würden die Einkommensunterschiede weiter wachsen, und das Vermögen sei so ungleich verteilt wie in kaum einer anderen großen Volkswirtschaft. Juso-Chef Philipp Türmer bezeichnet die Vermögensverteilung sogar als „so ungerecht wie zu Zeiten der Kaiserzeit“.
Nicht erst die aktuelle Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt: Mit der Realität hat all das wenig zu tun. Es gibt keine Statistik, die belegt, dass die Ungleichheit so groß wäre wie zu Zeiten Bismarcks. Die Lohnunterschiede zwischen Arm und Reich haben sich in den letzten 20 Jahren nicht vergrößert, und bei der Ungleichheit der Nettoeinkommen liegt Deutschland international im Mittelfeld.
Anders sieht es bei der Vermögensungleichheit aus. In Deutschland ist sie tatsächlich relativ stark ausgeprägt, doch auch hier ist die Lage nicht einfach schwarz-weiß. So kommt die Bundesregierung in ihrem jüngsten „Armuts- und Reichtumsbericht“ zu dem Schluss, dass die Vermögensungleichheit zuletzt abgenommen hat.
Aus diesen Fakten ein „Ungleichheitsland“ zu konstruieren, verfehlt nicht nur die Realität. Mit ihren Dramatisierungen laufen linke Stimmen zudem Gefahr, genau das Gegenteil dessen zu bewirken, was sie eigentlich erreichen wollen.
Bürger überschätzen wohlhabende Menschen
Schon jetzt halten laut Umfragen viele Bürger mehr Menschen im Land für arm, als die Statistik tatsächlich ausweist. Gleichzeitig überschätzen sie die Zahl und den Wohlstand wohlhabender Menschen erheblich. Wer diese Wahrnehmungsverzerrung durch übertriebene Dramatisierungen noch verstärkt, treibt die Bevölkerung nur weiter in die Hände populistischer Rattenfänger.
Das alles bedeutet nicht, dass es keine Gerechtigkeitslücken im Steuersystem gibt. Und es heißt auch nicht, dass Vermögende oder Spitzenverdiener bei den anstehenden Sozialreformen nicht einen angemessenen Beitrag leisten sollten.
Die Agenda-Reformen unter Gerhard Schröder wiesen trotz ihres wirtschaftlichen Erfolgs zwei Schwachstellen auf: Die Regierung verstand es nicht, die Reformen den Wählern überzeugend zu vermitteln, und es fehlte an einer sozialen Abfederung, die die Maßnahmen in der breiten Gesellschaft verankert hätte.
Diese Fehler sollte die amtierende Bundesregierung nicht wiederholen. Einsparungen im Sozialsystem und im Bundeshaushalt müssen fair verteilt werden. Das heißt: Wer Bürgergeld-Empfänger, Patientinnen und Patienten sowie künftige Rentner belastet, muss auch Gutsituierten etwas abverlangen. Eine höhere Erbschaftsteuer ist dabei eine denkbare Option. Und bei der für das nächste Jahr angekündigten Steuerreform sollten vor allem untere und mittlere Einkommen entlastet werden, nicht hingegen Spitzenverdiener.