Kampf gegen die Erderwärmung „Das Wettrennen zu null Emissionen hat begonnen“ – Welche Länder vorne liegen
Berlin Der Endspurt auf der Weltklimakonferenz in Glasgow beginnt – und damit das Geschacher um Ziele in der Abschlusserklärung. „Es gibt eine Reihe von Ländern, die bislang ein undurchsichtiges Spiel spielen“, sagt Christoph Bals, politischer Geschäftsführer der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch, dem Handelsblatt. Bei mehreren Themen hakt es, etwa bei der Frage, inwieweit Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel stärker unterstützt werden könnten.
Arme Staaten, die schon jetzt unter Dürren, Überschwemmungen und steigendem Meeresspiegel wegen der beschleunigten Erderhitzung leiden, pochen auf mehr Unterstützung durch die Industrieländer. Diese reagieren aber seit Jahren zurückhaltend, untermauern oft ihre verkündeten Ziele nicht mit Taten.
Die Umweltorganisation Germanwatch und die Denkfabrik NewClimate Institute machen die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim Klimaschutz deutlich. Der von ihnen am heutigen Dienstag vorgestellte Klimaschutz-Index (KSI) zeigt, dass nur wenige Länder tatsächlich Kurs auf das Ziel nehmen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im vorindustriellen Vergleich zu begrenzen.
Neben den skandinavischen Ländern sind dies vor allem Marokko, die Niederlande, Portugal und Frankreich, heißt es in dem Bericht, der seit 2005 jährlich veröffentlicht wird und die 61 größten Emittenten unter die Lupe nimmt. Zusammen stehen die Länder für etwa 90 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen.
Dänemark, Schweden und Norwegen führen das Ranking an
Dänemark, Schweden und Norwegen belegen die Ränge vier bis sechs. Die Plätze eins bis drei bleiben wie in den Vorjahren frei, da sich noch kein Land auf dem weltweit angestrebten 1,5-Grad-Pfad befindet.
2015 hatte sich die Weltgemeinschaft im Pariser Klimaabkommen darauf geeinigt, die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius, besser 1,5 Grad, zu begrenzen. Inzwischen herrscht weitgehend Konsens darüber, sich keinesfalls mit zwei Grad zufriedengeben zu können, um die größten Zerstörungskräfte des Klimawandels abzumildern. Bis heute hat sich die globale Durchschnittstemperatur bereits um 1,1 Grad erhöht – und die Extremwetterereignisse nehmen rund um den Globus zu.
„Das Wettrennen zu null Treibhausgasemissionen hat begonnen“, sagt Niklas Höhne vom NewClimate Institute, einer der Autoren des Index. Betrachtet wurden vier Kategorien: erstens, Emissionsniveau und -trend, was mit 40 Prozent in die Gesamtbewertung einfließt. Mit jeweils 20 Prozent schlagen zu Buche: der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Energieverbrauch und die Klimapolitik. Letztere basiert auf Einschätzungen von Organisationen und Thinktanks aus den jeweiligen Ländern. In diesem Jahr haben den Index rund 500 Experten und Expertinnen unterstützt.

Die Ausbauziele der erneuerbaren Energien in Norwegen gelten als ehrgeizig.
Deutschland ist auf Rang 13 so gut platziert wie seit acht Jahren nicht mehr, gehört aber weiterhin nicht zur Spitzengruppe. Die EU als Ganzes folgt mit etwas Abstand auf Rang 22. Der größte Emittent weltweit, China, rutscht vier Ränge ab und liegt auf Rang 37.
Der zweitgrößte Emittent, die USA, macht sechs Plätze gut und steht auf Rang 55. Kanada und Saudi-Arabien nehmen einen der letzten Plätze ein.
Die Stärken und Schwächen ausgewählter Länder zeigt die folgende Übersicht:
Dänemark, Rang drei, ist zwar Gesamtsieger, hat aber Nachholbedarf bei der Energieeffizienz und beim Erreichen seiner für 2030 gesetzten Ziele, vor allem im Verkehrs- und Agrarsektor.
Norwegen, Rang sechs, profitiert von einem hohen Anteil an Wasserkraft und setzt zunehmend auf Wind- und Solarenergie. Die Ausbauziele gelten als ehrgeizig. Die norwegischen Experten kritisieren allerdings die gleichzeitig fortgesetzte Ausbeutung und den Export von Öl- und Gasressourcen. „Wenn Norwegen seine Erschließung von Öl- und Gasfeldern in der Arktis einstellen sollte, könnte das Land als erstes überhaupt einen der bisher unbesetzten ersten drei Plätze in der Gesamtwertung des Index belegen. Dann wäre es wahrscheinlich auf einem tatsächlich Paris-kompatiblen Pfad“, sagt Jan Burck von Germanwatch, einer der Autoren des Index.
Großbritannien, Rang sieben, gilt als ehrgeizig, hat einen hohen Anteil erneuerbarer Energien, vor allem aufgrund von Offshore-Windparks und des Ausstiegs aus der Kohleverstromung. Als Zwischenziel auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität 2050 will Großbritannien sein Energiesystem bis 2035 CO2-neutral organisieren.
Wie in Deutschland hinkt der Gebäudesektor hinterher, der Sanierungsstau ist sogar noch größer. Gegenmaßnahmen gehen nicht weit genug.
Marokko bleibt unter den ersten zehn Platzierten. Das Land ist sehr aktiv beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Bislang ist der Energiesektor aber sehr CO2-lastig. Fossile Brennstoffe haben einen hohen Anteil an der gesamten Primärenergieversorgung. Subventionen für fossile Brennstoffe werden schrittweise abgebaut. Die Experten sehen auch Fortschritte bei Investitionen in den öffentlichen Verkehr. Als Schwachpunkte gelten der Agrar- und Gebäudesektor.
Indien, Rang zehn, steht vor einem Wendepunkt. Das Land profitiert bisher noch von seinen relativ niedrigen Pro-Kopf-Emissionen. In absoluten Zahlen betrachtet ist Indien jedoch nach China, den USA und der EU der viertgrößte Emittent der Welt. Nur starke Klimaziele mit ambitionierter Umsetzung können das Land vor einem drohenden Absturz im Ranking bewahren.
Länderexperten würdigen Indiens ehrgeizige Politik beim Ausbau der erneuerbaren Energien ebenso wie die Pläne zum Ausbau der Elektromobilität, halten viele Pläne jedoch für unausgereift.
Zudem hat bislang kein indischer Bundesstaat einen klaren Kohleausstieg angekündigt. Im Gegenteil: Die Pipeline der geplanten Kohlekraftwerke ist die zweitgrößte der Welt und eine der wenigen, die seit 2015 zugenommen hat. Indien hatte zuletzt erklärt, 2070 klimaneutral sein zu wollen.
Diese Länder liegen hinter Platz zehn
Deutschland ist auf Rang 13 aufgerückt. Positiv bewertet wird das verschärfte Ziel, die Emissionen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Außerdem ist Klimaneutralität bis 2045 zugesagt. Als problematisch gelten das hohe Emissionsniveau pro Einwohner, der stockende Ausbau der erneuerbaren Energien und nicht ausreichende Umsetzungspläne für die verbesserten Klimaziele. „Auf die Frage, wie Deutschland seine Klimaziele tatsächlich erreichen will, hat die Politik noch keine ausreichenden Antworten gegeben“, sagt Burck. „Es ist die Feuerprobe für die neue Bundesregierung, ob sie mit einem Sofortprogramm die Weichen auf Zielerreichung stellt.“

Die Entwaldung in Brasilien schreitet voran.
Die Experten fordern einen schnelleren Kohleausstieg, die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen und den schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien. Die Dekarbonisierung des Verkehrs- und des Gebäudesektors muss beschleunigt werden.
Die EU fällt um sechs Plätze auf Platz 22 zurück. Gelobt werden starke politische und legislative Ansätze in den Sektoren Verkehr, Gebäude und Energie. Darüber hinaus laufen Diskussionen über die Stärkung der Landnutzungs-, Forst- und Landwirtschaftspolitik und über die Verbesserung des Emissionshandelssystems.
Es fehlen aber Daten zum Ausstieg aus Kohle und Gas. Mit dem Klimaziel 2030, das die Reduzierung der Emissionen um 55 Prozent statt 40 Prozent im Vergleich zu 1990 bedeutet, befindet sich die EU noch nicht auf einem mit dem Pariser Abkommen kompatiblen Pfad. Zudem wird von der EU gefordert, eine größere Rolle auf der internationalen Bühne zu spielen.
Brasilien, Rang 33, gibt ein gemischtes Bild ab. Das Land ist mit seinem hohen Anteil an erneuerbaren Energien und seinen niedrigen Pro-Kopf-Emissionen eigentlich ein Kandidat für die vorderen Ränge, ist aber um acht Plätze zurückgefallen. Brasilien will bis 2050 treibhausgasneutral werden, gibt aber keine konkreten Maßnahmen zur Umsetzung an. Der weitere Ausbau der Erneuerbaren ist schwach, und die Entwaldung schreitet voran. Germanwatch erwartet ein weiteres Zurückfallen im nächsten Jahr.
China, Rang 37, hat durchweg schlechte Ratings bei Emissionen und der bisher sehr schlechten Energieeffizienz. In beiden Bereichen sind auch die Ziele für 2030 weit entfernt von einem Paris-kompatiblen Pfad.
Der Ausstieg aus der Kohle gilt als zu langsam, zudem sind weitere Kohlekraftwerke geplant. Gleichzeitig gilt der Trend beim Ausbau der erneuerbaren Energien als ausgesprochen gut. Im Vergleich zu den USA profitiert China von noch deutlich geringeren Pro-Kopf-Emissionen und geringerer Energienutzung. In absoluten Zahlen gemessen ist die Volksrepublik jedoch größter Emittent. Bis 2030 soll der Höchststand an Emissionen erreicht sein. CO2-Neutralität strebt das Land bis 2060 an.
Schlusslichter des Rankings
Die USA sind mit einer Verbesserung von sechs Plätzen auf Rang 55 einer der großen Aufsteiger in diesem Jahr, profitieren aber von Vorschusslorbeeren. Die Verbesserung im Index sei bisher ausschließlich auf die deutlich bessere Politikbewertung und das neue Klimaziel für 2030 zurückzuführen, so die Index-Autoren Höhne und Burck.
Sollte US-Präsident Joe Biden es schaffen, die ambitionierten Ziele in die Umsetzung zu bringen, erwarte er die USA im kommenden Jahr „deutlich weiter vorne“, sagte Burck. Ein Problem liegt im hohen Pro-Kopf-Ausstoß von Treibhausgasen – dieser ist in Amerika doppelt so hoch wie in China.
Australien rutscht um vier Plätze auf Rang 58 ab. Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Zwar will das Land bis 2050 treibhausgasneutral sein, aber es fehlen Maßnahmen und Pläne.
Kanada liegt auf Rang 61, unter anderem aufgrund sehr hoher Pro-Kopf-Emissionen. Die Experten würdigen zwar, dass die Regierung sich zu Klimaneutralität 2050 bekannt hat, jedoch fehlen klare Maßnahmen und kohärente Regelungen, um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen. Spielräume sehen die Experten vor allem beim Ausbau der erneuerbaren Energien, der Elektrifizierung des Verkehrs und einer frühen Dekarbonisierung des Elektrizitätsnetzes bis 2030.
Mehr: Jochen Flasbarth: „Wir starten mit voller Kraft und guter Laune in die zweite Woche.“
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Big Brother Germanwatch is watching you!
Gut, dass wir so schön beobachtet werden - Germanwatch - was für ein Name!
Gibt es auch USAwatch oder Francewatch oder iItalywatch oder Bayernwatch oder vielleicht sogar eine neue Jägervereinigung Karnikelwatch!
Asterix würde sagen "Die spinnen, die Römer", ich sage: die spinnen, die Deutschen!
Wir lassen uns mit Länder vergleichen, die deutlich weniger produzieren und massiv mit Atomstrom arbeiten!
Das ist einfach nur dääääämlich! Typisch deutsch eben!
Unsere Autoindustrie trägt ja derzeit fleißig zu ihrem Untergang bei, Herbert Diess und unsere Politiker werden es in Kürze geschafft haben. Bei der Gelegenheit suche ich jetzt schon eine Mitfahrgelegenheit im Lastenrad.
Wie Herr Henseler schreibt, sind mehrere Länder im oberen Bereich der Liste massive Atomstromproduzenten oder sie haben nur ein extrem niedriges Produktionsniveau, so dass ihr niedriger Ausstoß wahrlich kein Aushängeschild ist.
Was soll dann die Liste für Deutschland aussagen? Endlich den Atomausstieg umdrehen? Dann wehrt sich das grüne Establishment, da das in ihrer ideologischen Welt nicht sein darf.
Zurückfahren auf das Niveau von Marokko? Das ist wohl nicht der richtige Weg.
Dann bleibt nur: den Energiemix fördern, offen bleiben für alle Energieformen, Energie für alle sozialen Schichten durch marktwirtschaftliche Anreize bezahlbar halten und nicht durch staatliche Umverteilung nach DDR-Planwirtschaft.
Skandinavien ist Vorbild mit Atomstrom! Aber wir sind lernresistent!