Spitzenkoch René Schudel: „Einen Stern habe ich nur am Auto“

Der Küchenchef, Fernsehkoch und Restaurantbetreiber folgt seinen eigenen Maßstäben.
René Schudel steht am Herd. Das macht er eigentlich täglich, denn er ist Koch, und das sowohl aus Leidenschaft als auch mit Erfolg. Nur in Düsseldorf schwingt der Schweizer eher selten den Kochlöffel. Schudel ist an diesem Abend jedoch in Firmenauftrag unterwegs. Zusammen mit dem Küchenhersteller Franke brät, backt und zündelt er in einem Pop-Up-Küchenstudio in einer Eventlocation - in erster Linie, um deutsche Geschäftspartner vom Sortiment zu überzeugen. Für das Schweizer Traditionsunternehmen Franke geht es um die Produktpräsentation, für den Koch um die Message dahinter: Jeder kann kochen.
Zusätzliche Aufmerksamkeit besorgen die Fernsehmoderatoren Ruth Moschner und Jochen Schropp. An jenem Montag ist die Presse geladen, und wird gleich verpflichtet mitzukochen. In die lockere Grundstimmung bringt Schudel immer wieder Schärfe. Er ist Inhaber zweier Schweizer Spitzenrestaurants in Unterseen bei Interlaken. Sein „Benacus“ ist im Guide Michelin geführt. Die Ansagen des Küchenchefs sind deutlich, aber nicht im Ton daneben. Alles, was getan werden soll, passiert am besten schnell. Erst als das Essen auf dem Tisch steht, entspannt der 40-Jährige, der verschiedene Kochsendungen beim Schweizer Pro Sieben betreut. Er betont das Wort Sendung, es ginge nicht um Show. Und er findet Zeit, sich bei drückenden Temperaturen auf ein Gespräch in die Abendluft zu setzen.
Herr Schudel, die direkte Frage zuerst: Wie irre muss man sein, um Profikoch zu werden?
Profikoch kann man nicht einfach werden. Das wird man durch Leidenschaft, durch viel, viel, Arbeit, durch gutes wirtschaftliches Management und, das ist das Wichtigste, viel, viel, Freude am Job. Profiköche, die nur eins davon mitbringen, funktionieren nicht. In der Summe hat ein Profikoch von allem ein bisschen. Extreme funktionieren da so wenig wie überall sonst auch.
Das klingt nach einem Balanceakt.
Ohne diese Balance hätten wir Hochleistungsköche. Die gibt es zwar, sie verschwinden aber auch schnell wieder. Hochleistungsköche tauchen auf, liefern eine super Performance und verglühen. Ein Profikoch kann seine Leistung über längere Zeit konstant steigern, halten und optimieren.
Was macht Ihre Küche aus, was ist Ihr definierendes Moment?
Mein Essen ist transparent, verständlich und nachvollziehbar. Ich bin ein Volkskoch und das macht mich stolz. Ich koche Rezepte, die jeder nachkochen kann. Rezepte mit Tiefgang. Da steckt mein Wissen aus 24 Jahren Kocherfahrung drin. Und viel Lebensfreude.
Sie wirken jetzt, wo die Arbeit getan ist, sehr entspannt. Am Herd ist der Ton aber ganz schön schroff…
Es braucht einen Raum und darin einen Chef. Das mag einfach klingen, ist aber grundlegend. Menschen wollen und müssen geführt werden, wenn viele Hände erfolgreich auf ein gemeinsames Ziel hin arbeiten sollen. Der Mensch ist gottseidank ein starkes Individuum und entwickelt Eigendynamik. Das ist auch beim Kochen der Fall. Hier ist das aber nur bis zu einem gewissen Grad zielführend. Alles, was darüber hinaus geht, ist nicht gefragt. Kochen in der Gastronomie bedingt klare und konkrete Angaben.
Warum?
Als Koch arbeitest du immer gegen die Zeit. Du fängst am Morgen an und bist am Mittag fertig. Du fängst am Abend an und bist in der Nacht fertig. Dieses Ding musst du managen. Das effektive Zeitfenster, in dem der Gast isst, zahlt und geht, beträgt nicht neun, sondern maximal drei Stunden. Und in diesen drei Stunden spielt die Musik. Da braucht es einen Bandleader. Einer der sagt, welche Töne wo gespielt werden.
Wie viel Zeit investieren Sie jeden Tag?
Wenn ich anfange würde, darüber nachzudenken, wie viel Zeit ich in die Arbeit investiere, würde ich morgen wahrscheinlich nicht mehr hingehen. (lacht) Das lässt sich nicht beziffern. In meiner Situation ist Freizeit auch Arbeitszeit und umgekehrt. Ich nehme die Arbeit mit nach Hause, denke weiter darüber nach und komme am Morgen schon mit neuen Ideen zurück zur Arbeit. Das ist kein Wettbewerb, sondern eine normale Anforderung an meinen Beruf, meine Leidenschaft und meinen Stolz.
So gar keine Zahlen?
Ich könnte jetzt sagen, 14, 15 16 Stunden. Das klingt nach unglaublich viel. Aber das ist nicht durchpowern, es ist eher Präsenz vor Ort.
Das klingt, als sei der Beruf auch Hobby.
Das muss es ja auch sein! Ein Formel1-Fahrer fährt in seiner Freizeit ja auch Go-Kart. Wenn du in einer bestimmten Leistungsklasse unterwegs bist, egal ob du Sterne hast oder nicht, dann ist das unabdingbar. Wenn du mit Erfolg gegen den Strom schwimmen willst, muss dein Beruf auch Hobby sein.

Beim Kochen führt René Schudel klar das Regiment.
Ich muss die naive Frage stellen: Haben Sie einen Stern?
Am Auto, ja. (lacht)
Wie sieht es aus mit dem Guide Michelin? Gault Millau? Reizt Sie das nicht?
Im Guide Michelin bin ich drin. Und Punkte habe ich auf meinen Socken. (lacht)
Was ist dann Ihr Maßstab?
Wenn ich ins Restaurant gehe, meinen Gästen in die Augen schaue und frage, ob es geschmeckt hat und sie mir in die Augen sehen und sagen, dass es ihnen geschmeckt hat – dann ist das mein Maßstab.
Wie klappt es mit dem Privatleben?
Das ist eine schwierige Frage, meine Freundin hat mich soeben verlassen.
Das tut mir leid!
Ich bin ja auch schuld. Man wird als Koch zwar nicht zum sozialen Krüppel, aber man hat ein ganz anderes Umfeld. Wenn ich fertig mit Arbeiten bin, hat kein normales Restaurant auf, nur noch Bars. Dann kann ich nicht mehr golfen, Tennis spielen, trainieren oder mit Kumpels einen trinken gehen. Montagmorgens um 1 Uhr spielt keiner mehr Golf.

René Schudel mit Moderatorin Ruth Moschner, Stefan Kükenhöhner, Deutschland-Geschäftsführer bei Franke und Schauspieler Jochen Schropp. (v.l.)
Was hält Sie denn über Wasser?
Den Job kannst Du nur machen, wenn du Menschen magst. Du hast tolles Essen im Kühlschrank, tollen Wein im Keller, ein tolles Team um dich herum, das - über die enge Zusammenarbeit - zur Ersatz-Familie wird. Das ist dein soziales Umfeld und gibt dir Kraft. Eine Beziehung in dieser Konstellation zu führen ist möglich, braucht aber enorm viel Glück, Aufwand und Verständnis. Von beiden Seiten.
Es gibt den Spruch „traue keinem dünnen Koch“. Sie sehen jetzt aber nicht so aus, als hätten Sie keine Zeit fürs Training…
Ach, das war früher auch besser. Aber ich versuche jeden Tag eine Stunde meinem Körper zu widmen.
Aber Ihr Alltag strotzt vor Genussmitteln.
Ich trinke keinen Kaffee und keine harten Schnäpse mehr. Ich trinke nur noch Wein und Bier, das hat mir sehr geholfen. Und ich versuche mich regelmäßig zu bewegen, aber es passt nicht immer. Für meine 40 Jahre und den Job, den ich ausübe, bin ich sehr fit.
Ist Kochen denn eine Sache von Fitness?
Es ist nicht körperlich anstrengend, sondern psychisch. Wenn Du psychisch nicht bereit bist, wird es auch körperlich kräftezehrend. Klar ist es in der Küche heiß, rutschig, und alles ist schwer und fettig. Aber du brauchst mehr mentale Stärke. Es ist nicht anstrengender als im Stahlwerk, beim Schreiner, Maurer oder Dachdecker. Kochen beansprucht vor allem die Psyche.
Brauchen Sie da einen Ausgleich, einmal die Woche Paragliding in den Alpen oder so etwas?
Es geht in die Richtung.
Ist Essen innerer Ausgleich?
Wir wurden zu Menschen ab dem Moment, da wir Essen zubereitet haben. Vorher waren wir Tiere, die 70 Prozent ihrer Lebenszeit gekaut haben. Wir wurden sozialisiert durchs Kochen. Die Neandertaler haben nicht für jeden Einzelnen ein Feuer gemacht, am Feuer kamen alle zusammen. Essen erfüllt eine zentrale Funktion. Und jeder nimmt das schon in der Kindheit mit. Die Gerüche und Geschmäcker, die man bei den Großeltern in der Küche aufschnappt. Das ist, was unserer Jugend heute fehlt.
Was genau?
Die Liebe zum Herd. Es ist Patchwork-Kochen. Das Zelebrieren und Vorbereiten fehlt. Am Sonntagmorgen schon den Braten in den Ofen schieben, das ist vorbei.
Das klingt nach französischer Esskultur als Vorbild.
Klar, sie ist die Basis unserer Küchen. Die Techniken haben dort ihren Ursprung.
Wie schwer oder einfach ist es, gut zu essen?
Ich akzeptiere von keinem Menschen, der im europäischen Raum lebt, die Aussage, es sei ihm nicht möglich, sich gesund zu ernähren. Im Umkreis von 20 Kilometern findest du am späten Abend noch reichlich essen.
Also, Zutaten, um selbst zu kochen?
Ja! Es ist alles verfügbar, alles vorbereitet. Es ist möglich. Das Problem unserer Genussgesellschaft ist, dass sie auf Spaß aus ist, einen Drink nehmen und das ganze bei Youtube online zu stellen. Statt die Zeit zu investieren etwas Schönes zu kochen und gemeinsam zu genießen. Es ist heute wirklich einfach, zu vernünftigen Preisen an tolles, selbstgemachtes Essen zu kommen.
Ist das nicht eine Frage der Zeit? Wie lange muss Kochen dauern?
Das kann man nicht sagen. Die Lebensmittel selbst werden mitunter überbewertet. Ein Rezept für eine Person schmeckt nie so gut wie ein Rezept für vier Personen. Weil die Personen fehlen.
Das heißt, es muss kein Chichi sein?
Der Punkt ist: Du kannst Tomaten aufschneiden, mit Olivenöl und Salz anmachen, ein wunderschönes Stück Brot und guter Hartkäse reichen. Dazu eine Flasche Wein. Dann sagen wir zwei jetzt und hier: Himmlisch! Ist ein Arbeitsaufwand von drei Minuten. Andererseits ist es auch schön, wenn die Zubereitung dauert. Wenn man mit Produkten arbeitet, die man erst kochen muss, damit man sie genießen kann.
Ist das ein Problem des Verständnisses, des Küchenwissens?
Die Grundzubereitungsarbeiten sind für die Bevölkerung schwer zugänglich, sie gelten regelrecht als mystisch. Ich versuche, damit zu brechen, die Dinge beim Namen zu nennen, den Menschen die Grundzubereitungsarten auf eine lockere, entspannte Art näher zu bringen und ihnen die Angst zu nehmen, dass es etwas Gefährliches sei.
Und wann kann ich als Amateur behaupten, dass ich Kochen kann?
Mein Küchenchef hat mir in der Ausbildung gesagt: Wenn du die, damals, zwölf Grundzubereitungsarbeiten beherrschst, kannst du kochen. Ich beherrsche sie immer noch nicht. Und bin seit 25 Jahren Koch. (lacht)
Welchen Stellenwert genießt Ausgewogenheit?
Extreme sind nie gut, und ganz gewiss nicht bei Trends. Wir sind heute alle hip und cool. Doch darum geht es beim Kochen nicht. Was uns vom Tier unterscheidet, ist der Menschenverstand. Und der wird am wenigsten beim Essen eingesetzt. Würde mehr Verstand eingesetzt, hätten wir ein ganz anderes System. Die Leute drehen teilweise echt ab und entwickeln seltsame Ess- und Ernährungsgewohnheiten.
Ist das ein Wohlstandsproblem?
Es ist ein Luxusphänomen. Es ist Übersättigung. In Ländern, wo man viel mehr für Rohstoffe kämpfen und viel mehr für Nahrung tun muss, herrscht eine ganz andere Sichtweise.
Einer der Megatrends ist regionale Küche…
Das ist lustig. Ich sage meinen Köchen immer: Marktfrisch und regional ist kein Marketinggag. Es ist eine Selbstverständlichkeit. Regional ist für mich wie Bleifrei an der Tanke.
Also ein Küchenstandard, keine Innovation?
Absolut. Wenn wir es nicht hinkriegen, mit unseren Mitteln regional zu kochen, dann haben wir’s nicht kapiert.
Sie sagten, das Wirtschaften ist essenziell für einen Profikoch. Wie lange hat der Break Even gedauert?
Wie überall gibt es gute und schwache Jahre. Du musst knallhart kalkulieren, gerade bei den hohen Einkaufspreisen in der Schweiz. Wenn du einen Steamer kaufst, weißt du, dass du dieses Geld kaum reinholst. Glücklicherweise konnte ich immer alle Löhne und alle Rechnungen bezahlen. Es ist ein Wechselbad der Gefühle. In der Schweiz ist es schwierig nur mit Food & Beverage Geld zu verdienen, also ohne Hotelzimmer.
Welche Kostenfaktoren verstecken sich? Und was ist das Erfolgsrezept?
Wenn du einen Kaffee servierst, brauchst du eine Kaffeemaschine und eine Person, die den Kaffee an den Tisch bringt und einkassiert. Dann ist der Kunde bedient. Servierst Du Schnitzel, brauchst Du eine Küche, eine Servicekraft, eine Spülhilfe und mindestens einen Koch. Diese Rechnung bewegt sich permanent im Grenzbereich. Und das Erfolgsrezept von Hilton gilt nach wie vor: Location, Location, Location. Man muss aufpassen. Wirtschaftlichkeit kann das Gefühl der Gastronomie zerstören.


Sie haben sich alles, was Sie heute haben, selbst erarbeitet?
Ja.
Es steckt keim Fremdkapital drin, keine Bank, kein Investor?
Ich kenne von meinen Restaurants jede Zahl. Ich weiß wie viele Mitarbeiter ich habe, wie viel ich umsetze. Ich will es jeden Tag wissen. Dann habe ich auch ein gutes Gefühl. Es ist nicht immer ganz vorne im Kopf und ich kann es für den Moment vergessen. Aber ich will die Gewissheit.
Herr Schudel, wir danken für das Gespräch.






