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GastkommentarWarum das Deutschlandticket dem Klima nicht hilft

Für die Verkehrswende ist der ÖPNV ein wichtiger Faktor. Aber es müssen weitere Anreize geschaffen werden, um den Autoverkehr zu steuern.Christian Böttger, Alex Ockenfels 06.10.2023 - 04:12 Uhr Artikel anhören

Die Autoren: Christian Böttger ist Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin (HTW Berlin). Axel Ockenfels ist Professor an der Universität zu Köln und Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn.

Foto: Handelsblatt

Da die Klimaziele im Verkehrssektor deutlich verfehlt werden, steht das Verkehrsministerium unter Druck, Maßnahmen zur Senkung der Emissionen im Verkehrssektor zu benennen. Mit einer angestrebten jährlichen Einsparung von über drei Millionen Tonnen ist das Deutschlandticket eine der politisch populärsten Maßnahmen im Klimaschutzprogramm 2023.

Doch das Lob für das Deutschlandticket dürfte verfrüht sein, denn es zeichnet sich ab, dass der Beitrag des Deutschlandtickets zu den Klimazielen wohl wesentlich geringer sein wird.

Das spricht noch nicht per se gegen das Deutschlandticket. Die Verkehrswende wäre selbst ohne Erderwärmung ein wichtiges Ziel. Denn die gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs, die durch Staus, Luftverschmutzung, Lärm und Unfälle entstehen, übersteigen die Klimakosten bei Weitem.

Es ist daher zu begrüßen, dass in der Klimadebatte nun konkrete Schritte zur Verkehrswende eingeleitet werden. Allerdings wird das Deutschlandticket auch hier keine Entlastung bringen.

Die Kosten für jede eingesparte Tonne CO2 sind viel zu hoch

Vorläufige Daten zeigen, dass nur jede zwanzigste Fahrt durch das Deutschlandticket den Autoverkehr entlastet. Bezogen auf die gesamte Transportleistung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) von rund 100 Milliarden Personenkilometern ergibt sich nach grober Überschlagsrechnung eine Einsparung von weniger als einer halben Million Tonnen CO2 – also deutlich weniger als angestrebt.

>> Lesen Sie hier: Verschärfter Emissionshandel kostet deutsche Industrie jährlich neun Milliarden Euro

Bei geschätzten Kosten von drei Milliarden Euro für das Deutschlandticket entspräche dies Kosten in Höhe von 6.000 Euro für jede eingesparte Tonne CO2. Das ist nicht nur 75 Mal mehr als der im globalen Vergleich ohnehin schon hohe Preis für eine eingesparte Tonne CO2 im europäischen Stromsystem, sondern auch deutlich mehr als die Kosten, die CO2-Emissionen wissenschaftlichen Schätzungen zufolge verursachen.

Die Bilanz dürfte noch schlechter ausfallen, weil das Deutschlandticket teurer zu werden droht. Hinzu kommt, dass gegenläufige Effekte bei der Bewertung oft unberücksichtigt bleiben. Die meisten zusätzlichen Fahrten mit dem Deutschlandticket finden auf Strecken statt, die bereits heute überlastet sind.

Selbst wenn es gelingen sollte, durch das Deutschlandticket Pkws von der Straße zu holen, könnten die freiwerdenden Kapazitäten auf Straßen und Parkplätzen rasch wieder durch neuen Verkehr belegt werden. In der Wirtschaftswissenschaft ist dieser Jojo-Effekt als „Fundamentales Gesetz der Straßenverstopfung“ bekannt.

Mautsysteme könnten die Menschen dazu bringen, stärker den ÖPNV zu nutzen

Eine Verkehrswende, die diesen Namen verdient, muss die Probleme an der Wurzel packen. Es ist richtig, dass die Kapazität und Qualität der Schiene in den nächsten Jahren verbessert wird. Dann aber müssen Anreize geschaffen werden, um CO2 zu vermeiden und die anderen negativen Auswirkungen des Autoverkehrs einzudämmen.

Das ist keine einfache Aufgabe. Die Anzahl der in der Bundesrepublik gemeldeten Pkws erreichte am 1. Januar 2023 mit knapp 49 Millionen Fahrzeugen den höchsten Wert aller Zeiten.

Wie gelingt die Verkehrswende? Studien und Erfahrungen weltweit belegen, dass das Problem nicht am zu teuren ÖPNV liegt, sondern dass der Individualverkehr nicht kostengerecht bepreist wird. Mit einem modernen Mautsystem könnten variable Preismodelle eingeführt werden.

Zu Tageszeiten und auf Strecken, wo der ÖPNV eine Alternative bietet, könnten höhere Mautgebühren erhoben werden, nachts und auf dem Land, wo der ÖPNV noch kein Angebot machen kann, wären die Preise niedriger. Auch Kosten durch Umweltverschmutzung, Lärmbelästigung und Staus können bei der Bepreisung der Straßennutzung berücksichtigt werden.

Städte wie Oslo, London und Singapur setzen solche Mautsysteme bereits erfolgreich ein.

Das Deutschlandticket gleicht einem Versuch, den Zigarettenkonsum durch Subventionierung von Kaugummi zu reduzieren.
Christian Böttger und Axel Ockenfels

Gelegentlich wird für das Deutschlandticket vorgebracht, es erhöhe die soziale Teilhabe. Die vorliegenden Daten bestätigen dies nicht.

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Die Nutzung des Neun-Euro-Tickets war über alle Einkommensschichten in etwa gleich verteilt, und beim Deutschlandticket zeigt sich bisher, dass der weit überwiegende Teil der Subventionen auf Nutzer entfällt, die im Speckgürtel der Metropolen wohnen, also eher der Mittelschicht angehören. Die Einnahmen aus der Maut können dagegen – analog zum Klimageld – dazu beitragen, Autofahrer an anderer Stelle zu entlasten, soziale Härten durch die Maut auszugleichen und die Qualität des ÖPNV zu verbessern.

Das Deutschlandticket gleicht einem Versuch, den Zigarettenkonsum durch Subventionierung von Kaugummi zu reduzieren. So wird das nichts mit der Verkehrswende.

Die Autoren:
Christian Böttger ist Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin (HTW Berlin).
Axel Ockenfels ist Professor an der Universität zu Köln und Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn.

Mehr: Wie geht es weiter mit der Finanzierung von Bussen und Bahnen?

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