1. Startseite
  2. Meinung
  3. Kolumnen
  4. Kreative Zerstörung: Wie Künstliche Intelligenz unsere Einsamkeit verstärkt

Kreative ZerstörungWie Künstliche Intelligenz unsere Einsamkeit verstärkt

Ein wachsender Teil der Wirtschaft will uns in unseren vier Wänden halten – und macht uns einsam. KI wird das beschleunigen – es sei denn, Sie folgen dem Geschenkvorschlag unserer Kolumnistin.Meckel Miriam 16.12.2025 - 13:05 Uhr Artikel anhören
In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen. Foto: Klawe Rzeczy

„Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich.“ So sang Max Raabe mit seinem Palastorchester 1993. Im Song beklagt der Protagonist, er traue sich nicht mehr aus dem Haus, weil sicher genau dann endlich das Telefon klingeln könnte. Und diesen Anruf will er nicht verpassen.

Dieser Text ist kulturell ungefähr so veraltet wie ein Mixtape in Zeiten von Spotify. Wer telefoniert heute noch? Kommunikation, das sind inzwischen kurze wechselseitige Monologe, die man – das Telefon horizontal vor dem Mund balancierend – versetzt anderen Menschen schickt. Mit einem Gespräch, also einem mündlichen Gedankenaustausch, hat das selten etwas zu tun. Es ist die asynchrone Kommunikation einer neuen Ära – der Alleinzeit.

In dieser verbringen etwa die Amerikaner mehr Zeit allein als jemals zuvor. Die Anzahl der Menschen, die regelmäßig mit Freunden essen oder trinken, ist in den vergangenen 20 Jahren um 30 Prozent zurückgegangen. In der gleichen Größenordnung hat das „Solo Dining“ zugenommen.

Auch in Deutschland fühlt sich ein Fünftel der Menschen einsam, bei den Jungen sogar jeder Zweite. Selbst eine Partnerschaft schützt davor nicht mehr. Einsamkeitsgefühle zu zweit haben deutlich zugenommen.

Als die Einsamkeit begann

Robert D. Putnams Klassiker Bowling Alone aus dem Jahr 2000 hat die Anfänge einer Erosion des gesellschaftlichen Miteinanders bereits dokumentiert. Damals begann die Gesellschaft, sich schrittweise zu entfremden. Heute erleben wir eine Flucht in die Isolation.

Das ist nicht unbedingt eine freiwillige Entscheidung. Soziales Leben ist kompliziert geworden. Die Smartphone-Generation lernt nachweislich immer weniger, sich mit anderen Menschen zu verbinden. Das zu lernen, bedeutet, Spannung, Kontroverse und Frust auszuhalten. Wenn man das ein Leben lang übt, überlagern meist die Freuden der Gemeinschaft deren Zumutungen. Denn genau darum geht es: Es braucht Mut, sich selbst anderen zuzumuten (und umgekehrt).

Ein Smartphone mit dem KI-Chatbot ChatGPT: Ein wachsender Teil der Wirtschaft hält uns von anderen Menschen fern. Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Der Trend zur Vereinzelung hat auch ökonomische Gründe. Ein wachsender Teil der Wirtschaft ist darauf ausgerichtet, uns in unseren vier Wänden zu halten: Wir arbeiten, shoppen, lassen uns unterhalten und essen zu Hause. Zoom statt Büro, Amazon statt Kaufhaus, Lieferando statt Restaurant, Netflix statt Kino.

Selbst die Bar um die Ecke, einst ein Ort für geselliges Beisammensein, wird zur stillen Abholstation für Take-out-Bestellungen. Alle diese Tätigkeiten zu Hause finden über einen Bildschirm statt.

Das mag superbequem sein, lässt aber die Strukturen des Alltags bröckeln und die Fähigkeiten im sozialen Umgang auch. Der wachsende Anteil von Alleinzeit steht für ein neues, antisoziales Zeitalter – und KI beschleunigt diese Entwicklung jetzt noch einmal.

Wie neue Medien unsere Sinne erweitern – oder beschneiden

Der Medientheoretiker Marshall McLuhan hat diese Entwicklung weit vor unserem heutigen technologischen Reifegrad klug analysiert. Jede Erweiterung ist auch Amputation, schreibt er. Jede Technologie, die uns neue Fähigkeiten gibt, beschneidet auch Gewonnenes und Gewohntes. Am Beispiel der Technologien seiner Zeit der Siebzigerjahre beschreibt McLuhan, wie durch das Radio und das Fernsehen einzelne Sinne erweitert werden, andere dafür verkümmern.

Mit der KI sind wir nun in die Phase der sozialen Ersatzerweiterung eingetreten. In der werden Chatbots unsere liebsten Gesprächspartner. Sie sind immer bereit, immer zugewandt und extrem freundlich.

Auf der Schleimspur der konstanten Selbstbestätigung lernt aber kein Mensch, sich selbst infrage zu stellen, anderen Raum zu geben oder Widerspruch auszuhalten. Fähigkeit und Willen zur sozialen Auseinandersetzung atrophieren wie ein Muskel, der nicht mehr gebraucht wird. Es ist so viel einfacher und reibungsloser, das Leben mit dem Telefon allein zu Haus.

Verwandte Themen Künstliche Intelligenz Amazon ChatGPT Netflix Software
Friendflation

Warum Geld in Beziehungen relevanter wird

Nicht immer heißt allein einsam. Menschen brauchen diese Phasen, um über sich selbst nachzudenken. So kann Alleinsein Selbstbewusstsein und persönliches Wachstum fördern. Das aber geschieht in der heutigen Alleinzeit meist nicht mehr, weil wir durch den Dauerscroll durch Insta, Sora und Tiktok von Sinnen sind, statt zur Besinnung zu kommen.

Es gibt daher zwei Geschenke unter dem Weihnachtsbaum 2025, die im Moment des Schenkens ihren Wert verdoppeln: Zeit und Aufmerksamkeit. Wer sie jemandem anderen schenkt, bekommt Gleiches zurück.

Mehr: Jetzt ersetzt KI auch noch den Weihnachtsmann

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt