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KoalitionsverhandlungenDeutschland braucht weit mehr als Geld und Waffen

CDU, CSU und SPD setzen auf Klientelpolitik statt auf die Zukunftssicherung des Landes. Friedrich Merz‘ Reformeifer droht im parteipolitischen Klein-Klein zu ersticken.Bert Rürup, Axel Schrinner 28.03.2025 - 13:15 Uhr
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Friedrich Merz, Lars Klingbeil, Alexander Dobrindt: Auf der Suche nach Reformideen. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz und seine noch nicht ernannte Regierung haben bereits vor ihrem Amtsantritt Geschichte geschrieben: Binnen weniger Wochen organisierten sie eine parlamentarische Mehrheit für eine Abkehr von der jahrzehntelang stabilitätsorientierten Finanzpolitik.

Die seit 2009 im Grundgesetz verankerte – zweifellos kreditwürdige – Schuldenbremse wurde ausgehebelt, ein Schattenhaushalt für Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro geschaffen sowie faktisch unlimitierte schuldenfinanzierte Mittel zur Modernisierung der Bundeswehr mobilisiert. Das, was viele Anhänger der Union noch bis vor Kurzem glaubten, als „schwarze Null“ feiern zu müssen, ist damit Geschichte.

Viele prominente Ökonomen sehen das „Sondervermögen Infrastruktur“ als Aufbruchssignal für einen finanzpolitischen Politikwechsel. Und eine deutliche Mehrheit deutscher Wirtschaftsprofessoren heißt die geplanten horrenden Ausgaben gut, die künftig zusätzlich in die Rüstung fließen sollen. Laut Ifo-Ökonomenpanel befürworten 68 Prozent der Befragten die Ausnahme von Verteidigungsausgaben bei der Schuldenbremse.

Dies ist bemerkenswert. Ökonomen haben schließlich weder eine besondere Befähigung, die militärische Gefährdungslage eines Landes einzuschätzen noch den daraus resultierenden dringenden Finanzbedarf der Bundeswehr zu kalkulieren.

Ein Blick in Einführungsbücher der Finanzwissenschaft zeigt hingegen, dass Landesverteidigung zu den elementaren Daueraufgaben eines Staates zählt, die aus den laufenden Einnahmen gedeckt sein sollten, sofern sich nicht gerade ein Krieg angekündigt oder bereits tobt.

Sozialabgaben erreichen bald 50-Prozent-Marke

Pauschale Bewilligungen für bestimmte staatliche Beschaffungen führen hingegen häufig zu Ineffizienzen und preistreibenden Fehlinvestitionen. Exemplarisch erinnert sei an die im Zuge der „Zeitenwende“ angestoßene Bestückung aller Bundeswehr-Fahrzeuge mit digitalen Funkgeräten, die nun daran scheitert, dass offenbar niemand wusste, ob die bestellten Geräte überhaupt in die Fahrzeuge passen und wer den Einbau übernehmen könnte.

Mindestens ebenso wichtig für die Sicherung des Wohlstands in Deutschland wären dagegen jene Reformen, über die während der Sondierung offenbar nicht gesprochen oder zumindest keine Einigung erzielt wurde. Denn die deutsche Volkswirtschaft wächst faktisch seit 2018 nicht mehr.

Die Reallöhne liegen auf dem Niveau des Jahres 2017, die Ausbringung des produzierenden Gewerbes lag im Januar dieses Jahres auf dem Niveau vom Frühjahr 2010, die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie zuletzt 2014, und im vergangenen Jahr waren die realen Ausrüstungsinvestitionen so niedrig wie im Jahr 2016, und die Bauinvestitionen waren sogar geringer als 2011.

Kurzum, Deutschlands Soziale Marktwirtschaft löst seit geraumer Zeit ihr implizites Versprechen, Wohlstandssteigerungen für alle zu ermöglichen, nicht mehr ein.

Die Folgen: Populismus, Demokratie- und Politikverdrossenheit sowie Ausländerfeindlichkeit sind rasant gestiegen. Ferner bedingen die seit Langem bekannten Probleme der Sozialversicherungen einen rasanten Anstieg der Lohnnebenkosten, der die Entwicklung von Nettolöhnen und -renten dämpft.

Sollten die Rentenpläne von Union und SPD Realität werden – Ausweitung der Mütterrente und Festschreibung des Rentenniveaus bei 48 Prozent –, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die 50-Prozent-Marke bei den Sozialabgaben erreicht sein wird. Gelingt es einem Bundeskanzler Friedrich Merz nicht, diesen Trend brechen, wird seine Koalition womöglich als die letzte bürgerliche Regierung der Bundesrepublik in die Geschichtsbücher eingehen.

Jetzt, zu Beginn dieser für Deutschland mutmaßlich entscheidenden Legislaturperiode, wäre der richtige Zeitpunkt, um die Bürger auf Einschnitte im Sozialstaat vorzubereiten, so wie es 1997 Bundespräsident Roman Herzog und 2003 Kanzler Gerhard Schröder taten. Schröder sagte damals im Bundestag: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen. Alle Kräfte der Gesellschaft werden ihren Beitrag leisten müssen.“

Mit diesen Worten kündigte er im Bundestag die „Agenda 2010“ an, die entscheidend dazu beitrug, Deutschland vom kranken Mann Europas in einen Wachstumsmotor zu verwandeln.

Ob solch eine Wende noch einmal möglich ist, ist ungewiss. Denn der bevorstehende Alterungsschub der Bevölkerung wird zu einer veritablen Belastungsprobe nicht nur für den Sozialstaat, sondern für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft werden.

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Klar ist: Für dieses seit Langem bestens bekannte Problem gibt es keine schmerzlose Antwort. Es kann nur darum gehen, die Lasten möglichst „fair“ auf die Generationen zu verteilen und sie durch qualifizierte Zuwanderung und aus der „stillen Reserve“ mobilisierte Arbeitskräfte abzufedern.

Immer mehr junge Wähler verlassen demokratische Mitte

Auch wenn es kein allgemeingültiges Kriterium für „fair“ gibt, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD eine Unwucht zulasten der nachwachsenden Generation aufweist. Dies zeigt sich in der deutlich höheren Staatsverschuldung, der Rentenniveaugarantie und Steuervergünstigungen für arbeitende Rentner.

Bei solch einer Politik kann es nicht verwundern, dass mehr als die Hälfte der 18- bis 24-jährigen Wähler sich von der demokratischen Mitte abwandten und bei der Bundestagswahl Linkspartei, AfD oder BSW wählten, Parteien, die – scheinbar – einfache Lösungen propagieren.

Was Deutschland braucht, ist eine Politik, die eine umfassende Modernisierung vorantreibt. Ein nachhaltig leistungsfähiger Sozialstaat ist ohne reales Wirtschaftswachstum nicht möglich. Das wiederum  erfordert ein höheres Angebot an Arbeit und Kapital, also mutige, private Investoren, die mit der Aussicht auf Gewinne bereit sind, Risiken einzugehen, sowie qualifizierte, leistungsbereite Arbeitnehmer.

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Überbordende Bürokratie, sprunghafte Politikentscheidungen, hohe Steuern auf Einkommen und Gewinne sowie fehlenden Sanktionen für Grundsicherungsempfänger bei Arbeitsverweigerung lähmen diese Bereitschaft. Es ist wenig sinnvoll, viel Geld für Rüstung und die Modernisierung der Infrastruktur bereitzustellen, ohne die bestehenden Investitionshemmnisse abzubauen und Effizienzaspekten einen höheren Stellenwert beizumessen.

Eine neue Studie der Boston Consulting Group zeigt beispielsweise, dass allein durch eine optimierte Energiewende die Stromkosten für Industrie und private Verbraucher um knapp 20 Prozent sinken und bis 2035 Investitionen in Höhe von 370 Milliarden Euro eingespart werden könnten – ohne die Klimaziele zu gefährden. Bei der Sanierung der Bahn oder der Modernisierung der Bundeswehr ließen sich vermutlich ähnliche Effizienzreserven ermitteln.

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Vor fast 23 Jahren veröffentlichte der Sachverständigenrat sein Jahresgutachten „Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum“. Vieles davon mutet heute erstaunlich aktuell an. Vielleicht sollten sich die Parteivorsitzenden von Union und SPD sowie ihre Berater einen Tag Auszeit bei ihren Koalitionsverhandlungen nehmen und diese Zeit zur Lektüre nutzen.

Denn viele Chancen, einen Turnaround zu schaffen, hat Deutschland nicht mehr.

Mehr: Finanzen, Wirtschaft, Sicherheit und Migration – Das wird der schwarz-rote Deutschland-Plan

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