Morning Briefing: Merz erntet in Warschau den Ärger für Dobrindts Grenzregime

Fed-Entscheid: US-Zinsen bleiben unverändert
Liebe Leserinnen und Leser,
Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) lässt den Leitzins erneut unangetastet auf dem Niveau von 4,25 bis 4,5 Prozent. Das teilte sie am Mittwoch in Washington mit. Fed-Chef Jerome Powell stellte Investoren auf eine Phase ein, in der die Notenbank so lange wie möglich abwarten will, bevor sie eine Entscheidung zu ihrem weiteren Zinskurs trifft. Powell stellte klar:
Die US-Wirtschaft sei nach wie vor „solide“. Doch sowohl die Risiken für eine steigende Inflation hätten sich erhöht, als auch die Risiken für den Arbeitsmarkt.
In der gepflegten Sprache der Notenbanker entspricht das einer ebenso gepflegten Backpfeife für die handelspolitische Irrlichterei von US-Präsident Donald Trump. Der dürfte über den Zinsentscheid alles andere als erfreut sein. Trump hatte mehr als einmal deutlich gemacht, dass er die Leitzinsen der Fed für zu hoch hält – und in Powell den Schuldigen dafür sieht.

Leichtes Spiel in Paris...
Die erste Auslandsreise eines deutschen Bundeskanzlers führt traditionell nach Paris – unabhängig davon, ob man sich gerade besonders viel zu sagen hat. Bei seinem Antrittsbesuch gestern ließen Friedrich Merz und der französische Präsident Emmanuel Macron diesen Eindruck gar nicht erst aufkommen. Jetzt ist Schluss mit der Scholzschen Fischbrötchen-Stoffeligkeit, lautete das Signal.
Merz sprach von einem „deutsch-französischen Neustart für Europa“. Es gehe darum, dass in allen Politikbereichen ein „deutsch-französischer Reflex“ Einzug halte.
Konkret wurde es vor allem in der Verteidigungspolitik. Gemeinsame Rüstungsprogramme sollen beschleunigt werden, etwa beim Kampfpanzer der Zukunft. Geplant ist laut Macron auch ein
Eh bien, das hätte ein deutscher Bundeskanzler wahrscheinlich nicht ganz so explizit formuliert.

Eine neue Rolle soll der deutsch-französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat bekommen, der bislang eher ein Anhängsel der gemeinsamen Regierungskonsultationen war. In dieser Runde soll demnach auch Macrons Angebot erörtert werden, den Schutzschirm der französischen Nuklearwaffen auf Deutschland auszudehnen.
... schweres Geläuf in Warschau
Am Nachmittag, und das ist gar nicht mal so traditionell, flog Merz gleich nach Warschau weiter. Dort ging es ebenfalls um Militärisches: Deutschland und Polen wollen ihre Bahnstrecken ausbauen – auch um im Konfliktfall schneller Nato-Truppen verlegen zu können. Er könne sich noch an die Zeiten erinnern, in denen diese Infrastruktur an der Elbe endete, sagte Polens Regierungschef Donald Tusk in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Merz in Warschau:

Einiges an Wołowina (polnisch für „Beef“) gab es gestern in Sachen Flüchtlinge. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte an: Migranten würden an deutschen Grenzen auch bei Asylgesuchen zurückgewiesen. Eine gegenteilige Weisung aus dem Jahr 2015 habe er zurückgenommen. Die Grenzkontrollen sollten dazu weiter hochgefahren werden. Vulnerable Gruppen – Dobrindt nannte Kinder oder Schwangere – seien von den Zurückweisungen ausgenommen.
Dobrindt bezieht sich auf Paragraf 18 des Asylgesetzes. Dort ist geregelt, dass die Einreise verweigert werden kann, wenn jemand aus einem sicheren Staat einreist. Alle Nachbarstaaten in Deutschland gelten als sicher.
Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass dies nur in Abstimmung mit den Nachbarländern geschehen soll. Wobei Abstimmung nicht automatisch Zustimmung bedeutet, wie gestern beim Merz-Besuch in Warschau deutlich wurde. „Ich verstehe das Bedürfnis nach verstärkten Grenzkontrollen“, sagte Tusk. Aber das sollte vor allem für die EU-Außengrenzen gelten.
Merz vermied eine klare Aussage zu Dobrindt, betonte aber die nötigen Absprachen. Er habe noch auf dem Weg nach Warschau mit Dobrindt telefoniert und „ihn auch gebeten, diesen Kontakt jederzeit zu suchen mit den europäischen Nachbarn“.
Ich schaue eigentlich nie Krimis, aber für mich klingt das nach einer klassischen Good-Cop-Bad-Cop-Strategie.
US-Unterhändler berichtet von Ukraine-Vorschlag
Der Ukraine-Beauftragte von US-Präsident Donald Trump, Keith Kellogg, berichtet von angeblichen Kiewer Vorschlägen für einen Waffenstillstand – diese sollen eine entmilitarisierte Zone entlang der Front enthalten. Die Ukraine sei zu einem Einfrieren der Kämpfe mit Russland in den derzeitigen Positionen und zur Einrichtung eines 30 Kilometer breiten Sicherheitsstreifens bereit, sagte der Ex-General dem TV-Sender Fox News.

Aus der Ukraine gab es für diese Angaben keine Bestätigung. In Moskau sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow, Russland habe von den Amerikanern nichts zu einem ukrainischen Vorschlag für eine demilitarisierte Zone gehört.
Gerichtsaussage lässt Alphabet-Aktie einbrechen
Ein Apple-Manager hat mit wenigen Sätzen im Gerichtssaal die Aktie des Google-Konzerns Alphabet auf Talfahrt geschickt. Sie schloss gestern fünf Prozent niedriger. Der bei Apple für das Dienstleistungsgeschäft zuständige Eddy Cue sagte unter anderem, dass der iPhone-Konzern in Zukunft auch die neue KI-Suche zusätzlich zu Google in seinen Web-Browser Safari integrieren wolle.

Zudem gab es laut Cue im April erstmals einen Rückgang bei der klassischen Web-Suche in Safari. Er führte dies darauf zurück, dass Nutzer stattdessen KI-Software befragten, wie der Finanzdienst Bloomberg aus dem Gerichtssaal berichtete. In dem Prozess geht es um eine Wettbewerbsklage der US-Regierung gegen Google.
Goldman Sachs erwartet Comeback der Fusionen
Aktuell pausieren viele Firmen ihre Pläne für Fusionen und Übernahmen (M&A), neue Deals werden kaum angestoßen. Es sei „eine gewisse Stabilität und Verlässlichkeit beim Ausblick nötig“, bevor der M&A-Markt wieder Fahrt aufnehmen könne, sagt Tibor Kossa, Co-Leiter Investmentbanking in Deutschland und Österreich bei Goldman Sachs.
Sollte sich der Ausblick stabilisieren, etwa weil die USA eine Reihe von Handelsabkommen bekannt geben, könnte die Stimmung sich jedoch schnell drehen:
In den öffentlich verfügbaren Zahlen spiegelt sich der weitgehende Stillstand am Transaktionsmarkt noch nicht wider, wie unsere Grafik zeigt. Der scheinbare Widerspruch lässt sich aufklären: Da viele Transaktionen teils mehr als ein Jahr lang vorbereitet werden, dürfte sich der aktuelle Stillstand erst innerhalb der kommenden zwölf Monate in der Statistik zeigen.
Kinder aufgepasst: KI ersetzt nicht das Lernen
ChatGPT-Produktchef Nicholas Turley ist davon überzeugt, dass intelligente Chatbots das Lernen von Fremdsprachen für Kinder nicht ersetzen sollten. Turley sagte der Deutschen Presse-Agentur:
Er würde deshalb weiterhin empfehlen, sowohl Sprachen als auch andere Interessen zu verfolgen und die KI als Tutor zu nutzen statt als Ersatz.
In diesem Zusammenhang zwei Geständnisse:
Ich wünsche Ihnen einen polyglotten Donnerstag.
Herzliche Grüße,






Ihr
Christian Rickens





