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Experten-Interview „Keine Anerkennung, keine Verhandlungen, kein Geld – das ist keine Strategie im Umgang mit den Taliban“

Der Afghanistan-Kenner Markus Kaim warnt davor, dem Land am Hindukusch den Rücken zu kehren. Nur durch Verhandlungen ließen sich Terrorgefahren und Flüchtlingsströme abwenden.
16.08.2021 - 14:14 Uhr 1 Kommentar
Männer, Frauen und Kinder versuchen auf der Flucht vor den Taliban, in das Innere des Internationalen Flughafens von Kabul zu kommen. Quelle: Reuters
Chaos am Flughafen in Kabul

Männer, Frauen und Kinder versuchen auf der Flucht vor den Taliban, in das Innere des Internationalen Flughafens von Kabul zu kommen.

(Foto: Reuters)

Berlin Bundesaußenminister Heiko Maas hat den neuen Machthabern in Kabul indirekt mit Isolation gedroht. Nach Meinung von Markus Kaim, Afghanistan-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, ist das das falsche Rezept. Nur in Verhandlungen mit den Taliban könne der Westen sicherstellen, dass sich in Afghanistan nicht neue Terrornetzwerke bildeten.

Herr Kaim, als der Westen unter der Führung der USA vor 20 Jahren in Afghanistan militärisch eingriff, ging es vor allem darum, die Terrorgefahr durch al-Qaida zu bannen. Droht uns nun nach der Machtübernahme der Taliban eine neue Terrorwelle?
Nein, eine unmittelbare Terrorgefahr aus Afghanistan sehe ich nicht. Nach Einschätzung der US-Geheimdienste bräuchte eine Terrororganisation wie al-Qaida zwei Jahre, um in der Lage zu sein, von dort aus wieder Anschläge auf westliche Metropolen auszuführen. Außerdem: Der Westen verabschiedet sich jetzt zwar von der Idee, in Afghanistan einen demokratischen Staat aufzubauen. Wir wenden uns aber nicht von der Terrorbekämpfung ab.

Wie soll das aussehen?
Die USA verhandeln bereits über Flugbasen in der Region zum Beispiel in Pakistan und werden auch ihre Flugzeugträger für Luftschläge nutzen. Man wird den Terror also weiter bekämpfen, aber mit anderen Mitteln.

Müsste sich auch Deutschland an dieser Terrorbekämpfung in der Region beteiligen?
Das ist die richtige Schlussfolgerung aus der aktuellen Lage: Auch Deutschland steht in der Pflicht. Im Moment gibt es von Bundesaußenminister Heiko Maas und anderen eine Trotzreaktion nach dem Motto: keine Anerkennung, keine Verhandlungen, kein Geld. Das ist menschlich zwar verständlich, ist aber keine Strategie für eine geopolitisch wichtige Region.

Was schlagen Sie stattdessen vor?
Über kurz oder lang wird man die Herrschaft der Taliban akzeptieren müssen. Vor allem, wenn man auf die neuen Machthaber in Kabul einwirken will, den Terrorismus zu bekämpfen. Das geht nur, wenn man mit ihnen redet. Würde sich der Westen aus der Region verabschieden, würde er Russland und China das Feld überlassen.

Leiter der Forschungsgruppe „Sicherheitspolitik“ der Stiftung Wissenschaft und Politik - Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Berlin. Quelle: PR

Leiter der Forschungsgruppe „Sicherheitspolitik“ der Stiftung Wissenschaft und Politik - Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Berlin.

(Foto: PR)

Welche Interessen haben Moskau und Peking in der Region?
Beide haben ein überragendes Interesse daran, dass die Taliban-Herrschaft möglichst stabil ist und der Funke des islamistischen Extremismus nicht in ihre Länder überspringt. Konkret bedeutet das, China und Russland werden den Machtanspruch der Taliban akzeptieren und keine Kritik an deren illiberaler Gesellschaftsordnung üben. Außerdem gibt es ökonomische Interessen an den Rohstoffvorkommen in Afghanistan. Peking könnte auch versuchen, das Land am Hindukusch stärker in seine Neue Seidenstraße einzubinden.

„Deutschland könnte die Führung für eine regionale Initiative übernehmen“

Noch einmal zurück zu Deutschland: Wie kann sich Berlin künftig in der Region sinnvoll engagieren?
Es gibt eine Reihe von guten Vorschlägen: zum Beispiel eine neue Flüchtlingswelle zu verhindern, indem man die Menschen in ihrer Region hält – etwa im Iran oder in Pakistan. Deutschland könnte die Führung für eine regionale Flüchtlingsinitiative übernehmen und sich dabei mit den anderen Europäern und den Vereinten Nationen abstimmen.

Das klingt nach einem neuen Flüchtlingsdeal, wie es ihn schon mit der Türkei gibt: Wir geben das Geld, ihr kümmert euch um die Flüchtlinge.
Ja, darauf wird es hinauslaufen. Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet hat gesagt, die Zustände von 2015 dürfen sich nicht wiederholen. Dann müssen wir den Iran und Pakistan einbinden. Gegenüber dem neuen Präsidenten in Teheran könnte man damit signalisieren, dass es trotz aller politischer Differenzen ein gemeinsames Interesse an der Versorgung der Flüchtlinge gibt. Sollten sich die Flüchtlinge in Richtung Türkei bewegen, gibt man dem dortigen Präsidenten Erdogan einen neuen Hebel in die Hand.

Können die Europäer das allein stemmen, oder brauchen sie dafür die USA?
Wer die Forderung der EU nach strategischer Autonomie im Ohr hat, wundert sich schon, was gerade in Afghanistan geschieht. Wir hängen weiterhin am Rockzipfel der USA und sollten uns das auch eingestehen. Auch politisch ist Europa nicht in der Lage, eine eigene Strategie für die Region zu entwickeln.

Sind die Taliban von heute noch mit denen von vor 20 Jahren vergleichbar?
Das ist schwer zu sagen. Aber vieles sieht doch sehr ähnlich aus. Erneut geht es ihnen darum, einen islamischen Gottesstaat zu errichten. Das bedeutet den Ausschluss von politischen Parteien, keine Wahlen, keine Frauenrechte. Das kann dem Westen nicht gefallen. Den Beteuerungen von scheinbar gemäßigten Taliban schenke ich keinen Glauben.
Herr Kaim, vielen Dank für das Interview.

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1 Kommentar zu "Experten-Interview: „Keine Anerkennung, keine Verhandlungen, kein Geld – das ist keine Strategie im Umgang mit den Taliban“"

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  • Ich bin immer fuer Verhandlungen und immer gegen Intervention. Schaumermal was die
    Taliban uns anbieten.

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