Folgen der Afghanistan-Krise Drohnen, Granaten und Schallkanonen: Griechenland sichert seine Grenzen gegen Afghanistan-Flüchtlinge

Momentan ist die Unterkunft nur zur Hälfte ausgelastet, doch das könnte sich bald ändern.
Athen Noch ist die Lage entspannt im Flüchtlingslager Mavrovouni auf der griechischen Ägäisinsel Lesbos. 3800 Menschen leben in der Zeltstadt am Rand der Inselhauptstadt Mytilini. Anfang des Jahres hatte das Camp noch doppelt so viele Bewohner. Jetzt ist die Hälfte der 8000 Schlafplätze frei.
Die Pritschen könnten bald gebraucht werden. Und zwar, wenn in den nächsten Wochen und Monaten womöglich Schutzsuchende aus Afghanistan von der türkischen Küste zu den griechischen Ägäisinseln kommen.
Derzeit schaffen es nur wenige Schlauchboote. Die Patrouillen der griechischen Küstenwache fangen die meisten Boote ab und zwingen sie, in Richtung Türkei abzudrehen. Von Anfang Januar bis zum 15. August kamen nur 1609 Migranten auf den griechischen Inseln an, zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum waren es 8714 gewesen.
Doch die Lage könnte sich bald ändern: Auf Lesbos und Chios, Samos, Kos und Leros erinnern sich die Menschen noch gut an den Sommer 2015. Damals kamen an manchen Tagen mehr als 10.000 syrische Flüchtlinge zu den Ägäisinseln. Notis Mitarakis, Griechenlands Minister für Migrations- und Asylpolitik, sagte: „Wir wollen solche Szenen, wie wir sie 2015 erlebt haben, nie wieder sehen.“
Griechenland will nicht noch einmal unvorbereitet in eine neue Flüchtlingskrise schlittern wie vor sechs Jahren. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis berief diese Woche eine Sondersitzung des Nationalen Sicherheitsrats ein. Dabei sei es vor allem um die Sicherung der Grenzen gegangen, berichten Personen, die mit den Beratungen vertraut sind.
Mehr Präsenz am Grenzfluss Evros
Die griechische Küstenwache fährt bereits mehr Patrouillen in der Ägäis, Polizei und Armee verstärken ihre Präsenz am Grenzfluss Evros. Die Vorräte an Blendgranaten und Tränengas werden aufgestockt. Am Freitag inspizierten Verteidigungsminister Nikos Panagiotopoulos, der Generalstabschef und der für die Polizei zuständige Minister Michalis Chrysochoidis ihre Truppen an der Evros-Grenze.
In der Ägäis sind Kriegsschiffe der Nato unterwegs, darunter eine Fregatte der Bundesmarine. Der Verband unterstützt die griechische Küstenwache bei der Überwachung der Seegrenze zur Türkei.
Deren Methoden sind allerdings umstritten: Menschenrechtler und Hilfsorganisationen prangern Pushbacks an, also völkerrechtswidriges Abdrängen von Flüchtlingsbooten in türkische Gewässer. Die griechische Regierung weist die Vorwürfe zurück und beruft sich auf ihr Recht, die Grenzen des Landes zu sichern.
Auch an der 200 Kilometer langen Landgrenze zur Türkei gibt es laut Nichtregierungsorganisationen Pushbacks. Dort hat Griechenland deutlich aufgerüstet, seit der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan im März 2020 Zehntausende Migranten an die Grenze bringen ließ. Sie belagerten wochenlang den Übergang Kastanies. Mit Unterstützung der EU-Agentur Frontex sowie dem Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas verteidigten die Griechen ihre Grenze.

Die größte Sorge in Athen ist, dass der türkische Staatschef erneut versuchen könnte, die Migranten politisch zu instrumentalisieren.
Mit Drohnen will die Grenzpolizei jetzt Migranten schon aufspüren, bevor sie sich der Grenze nähern. Einen besonders neuralgischen Abschnitt hat Griechenland mit einem 26 Kilometer langen, drei Meter hohen Stahlzaun gesichert. Dazu kommen Beobachtungstürme, Nachsicht- und Wärmebildkameras.
Am Evros installieren die Griechen derzeit elf Radarkameras. Sie sind auf hohen Masten montiert und sollen es den griechischen Grenzschützern erlauben, die Bewegungen von Fahrzeugen und Personen bis zu einer Distanz von 15 Kilometern auf der türkischen Seite der Grenze zu verfolgen. Frontex setzt zur Grenzbeobachtung am Evros außerdem ein unbemanntes Luftschiff ein, das Wärmebildkameras und andere Beobachtungsinstrumente an Bord hat.
Die griechische Grenzpolizei experimentiert außerdem mit einer Schallkanone. Das Gerät, von Fachleuten LRAD (Long Range Acoustic Device) genannt, sendet ein gebündeltes, schrilles Signal aus. Es soll Migranten in die Flucht schlagen. Die Technik ist allerdings umstritten, weil die ohrenbetäubenden Töne im Nahbereich zu starken Schmerzen führen und bleibende gesundheitliche Schäden verursachen können.
Irreguläre Grenzübergänge deutlich zurückgegangen
Die starke Grenzsicherung zeigt Wirkung: In diesem Jahr ging die Zahl der irregulären Grenzübertritte um 70 Prozent zurück. Migrationsminister Mitarakis sieht bisher keine Anzeichen für einen Anstieg der Zahlen. Er warnt aber, die Situation sei „dynamisch“. Wie sie sich entwickle, hänge „sehr stark von den Flüchtlingsströmen in der Türkei und der Haltung der Regierung in Ankara ab“.
Das Nachbarland beherbergt schon jetzt über vier Millionen Migranten, darunter geschätzt eine halbe Million Menschen aus Afghanistan. Sie kamen in den vergangenen Jahren über den Iran ins Land.
Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz betrachtet zwar die Türkei statt der EU als den „richtigeren Ort“ für afghanische Flüchtlinge. Die Regierung in Ankara will davon aber nichts wissen. In einer Erklärung des türkischen Außenministeriums heißt es: „Die Türkei wird weder Grenzwächter noch Flüchtlingslager der EU sein.“
Die größte Sorge in Athen ist, dass Erdogan erneut versuchen könnte, die Migranten politisch zu instrumentalisieren wie im März 2020. An diesem Freitagabend wird Mitsotakis mit dem türkischen Präsidenten wegen des möglichen Zustroms von Flüchtlingen aus Afghanistan telefonieren.
Migrationsminister Mitarakis plädiert dafür, den EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei aus dem Jahr 2016 „zu stärken und die Türkei zu unterstützen“. Eines müsse „völlig klar“ sein, unterstreicht Mitarakis: „Unser Land wird definitiv nicht das Eingangstor für eine neue Flüchtlingswelle sein.“
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