Wie es Merve Kayar mit ihrem Unternehmen E-Com Guide schafft, internationale Marken erfolgreich im deutschen Retail-Markt zu Millionenumsätzen zu führen
Merve Kayar
- 19.12.2024

Frau Kayar, die Marktstellung, die sie mit ihrem Unternehmen E-Com Guide Consultancy & Sales in den letzten Jahren erreicht haben, ist beeindruckend. Wie waren die ersten Schritte für ihren Erfolg beziehungsweise was hat sie anfänglich bewegt, sich in diesem Segment zu engagieren?
Merve Kayar: Ich hatte immer schon kaufmännische Interessen und liebte das Vernetzen. Schon im beschaulichen Schleswig im Norden von Deutschland, wo ich geboren und aufgewachsen bin, entpuppten sich kulturelle Unterschiede für mich als Chancen. Sowohl das türkisch-familiäre Umfeld, welches in diversen Geschäftsfeldern tätig ist, sowie der häufige Kontakt mit dem nahen skandinavischen Ausland inspirierten mich immer.So zog es mich nach dem Abitur nach Hamburg, dem Handelstor der Welt. Durch meine überdurchschnittlichen Leistungen erhielt ich für mein gesamtes Studium eine Begabtenförderung. So konnte ich neben dem Studium komplementäre Studiengänge im Ausland wahrnehmen. Besonders wichtig waren hierbei die Stadt London sowie diverse Besuche an der Elite Uni London School of Economics. Das Netzwerk, welches dort kreiert wurde, befeuerte mein Vorhaben hinsichtlich internationaler Kaufmannstätigkeiten kombiniert mit den modernen Vehikeln und Möglichkeiten unserer Zeit. Meine universitären Ausbildungen in Spanien wiederum hatten wichtige sprachliche Mehrwerte, die mir künftig dazu verhelfen sollten, weitere wichtige Märkte zu erschließen. Diverse Praktika an der Istanbuler Börse im Bereich "Derivative Markets" zeigten zusätzlich internationale Dimensionen und Größen auf, die für mich faszinierend waren. All diese Module erweiterten meinen Horizont. Der Ansporn wuchs, internationale Synergien im Bereich der Dienstleistungen wie auch dem Handel zu kreieren.
Das ist in jedem Fall ein sehr beeindruckender Werdegang. Wie waren denn die ersten Schritte, ihr eigenes Unternehmen aufzubauen?
MK: Durch diese ganzen Einblicke und vor allem dem Netzwerk aus London, wovon mein Unternehmen noch heute zerrt, wurde mir klar, dass noch mehr unterschiedliche Parteien zueinander finden mussten. Starke Parteien aus den jeweiligen eigenen Märkten sollten mehr über die Grenzen gehen. Die signifikanten kulturellen, rechtlichen und unternehmerischen Unterschiede waren und sind dabei Chance und Herausforderungen zugleich. Denn trotz der Globalisierung bilden nationale Restriktionen oder Förderungen sowie Unterschiede in der Kaufkraft und dem Konsumverhalten einzelner Länder individuelle Problemstellungen, die zunächst einer Moderation und im weiteren Verlauf einer professionellen Lösung bedürfen.Bereits während meiner Uni-Zeit habe ich erste Erfahrungen mit dem Handel auf Online-Plattformen gesammelt, in die ich zufällig durch Neugier und Recherche hereingefunden habe. Damals waren E-Commerce und das sogenannte Plattformgeschäft noch weit weg und überhaupt nicht Teil der Realität von Anbietern und Händlern. Der klassische Handel war dominant, während E-Commerce noch als Zukunftsmarkt ein Nischendasein pflegte.
Ich erforschte durch eigenes kleines Handeln die Funktionen der Plattformen und die Möglichkeiten, dort Handel zu betreiben – und das gerade mal in Deutschland. Von Kontaktherstellung, IT-Bedarf, bis hin zum Digital-Content und vieles mehr gab es signifikante Unterschiede. Ich bin am Hamburger Hafen zu Modeimporteuren gegangen und habe sie gebeten, mir ihre Ware für einen Zeitraum von zum Beispiel eine Woche zu reservieren. Im selben Atemzug habe ich diese Ware dann auf Online-Plattformen gelistet und abverkauft. Was als Zusatzverdienst für ein bisschen Taschengeld anfing, entpuppte sich langsam zu einem Sales Business inklusive Consulting und dem sogenannten Matchmaking, nämlich E-Com Guide Consultancy & Sales.
Was genau können wir uns unter "Matchmaking" vorstellen?
MK: Zusammengefasst bringen wir den richtigen Anbieter mit dem richtigen Vertriebsmarkt und der entscheidenden Einkaufsinstanz und den richtigen Entscheidern zusammen.Ein Markteintritt für ausländische Anbieter sowie der Vertrieb oder Vertriebserweiterung für bereits im deutsch-europäischen Markt vertretene Anbieter war früher ziemlich einfach. Es musste lediglich der zuständige Kontakt gefunden werden und mit einem einfachen Verkaufsgeschäft wurde das Geschäft vollendet.
Heute sind die Vertriebsmärkte facettenreich, komplex und voller Anforderungen geworden. Zudem hat das Thema Netzwerk signifikant an Relevanz gewonnen, da viele Entscheider und Einkäufer der marktführenden Online-Shops sowie den stationären Verkaufsflächen mit E-Mail-Anfragen so überflutet werden, dass Anbieter-Anfragen oft untergehen. Das bedeutet, dass Umsätze verloren gehen, weil richtige Parteien sich nicht finden.
Darüber hinaus müssen die Anbieter nicht nur mit einer Partei "gematcht" werden, sondern mit mehreren. Am Anfang steht die Auswahl des richtigen Vertriebsweges – und bereits hier passieren oft mangels Marktkenntnis die gravierendsten Fehler. Meist sind Anbietern große Vertriebskanäle bekannt. Diese müssen aber nicht unbedingt der richtige Partner sein, wo echter und profitabler Umsatz generiert wird.
Es folgen also zu den zu akquirierenden Märkten weitere Gewerke wie beispielsweise Logistiker, Anwälte, PR-Agenturen, Social-Media-Agenturen, Restpostenaufkäufer, Brand-Building- und Übersetzungsagenturen.
Um genau diese vielfältigen Aufgaben erstklassig zu erledigen, pflegt E-Com Guide ein kontinuierlich wachsendes Netzwerk an Entscheidern, Vertriebskanälen und Dienstleistern. Denn das "nicht funktionieren" eines einzigen Dienstleisters oder Vertriebspartners oder einer kann den wirtschaftlichen Erfolg stark verlangsamen oder im schlimmsten Fall verhindern.
Das heißt E-Com Guide dient als beratende Sales Agentur?

Also haben Sie die Branche von der Pike auf kennengelernt und über die Jahre das modulare Geschäft aufgebaut. Können sie uns einige Beispiele geben, mit was für Anforderungen Marken an E-Com Guide herantreten?
MK: Gerne. Beispielsweise gibt es in Deutschland viele kleine und mittelgroße Marken, die ihr volles vertriebliches Potenzial noch nicht genutzt haben. Vertriebsposten sind schwer zu besetzten; zumal der Anspruch an die Vertriebsleistung so breit gefächert ist. Dem können Unternehmen meist nicht nachkommen. Das fehlende Netzwerk ist ein zweiter großer Faktor. In Zeiten von LinkedIn, Social Media, ständig wechselnden Entscheidern gilt: Präsenz zeigen. An Events teilnehmen. Connecten. Direkt am und im Markt sein und entdecken, wo wirklich profitable Umsatz generiert wird. Dies erfordert viel Zeit; und zwar draußen auf der Fläche. Oft sind Unternehmen nur einige wenige Vertriebswege bekannt.Das heißt, trotz der lauten Präsenz von Plattformen sind noch weiter Vertriebsgebiete relevant?
MK: Definitiv. Genau da fängt die Kunst des modernen Vertriebs an. Bei der Platzierung von Marken muss ein Sales-Paket orchestriert werden, welches eine Balance zwischen Workload, Stock Management, Cashflow und weiteren Parametern erzeugt. Beispielsweise können wir einen Anbieter nicht auf endlos vielen Plattformen listen und in unterschiedlichsten Läger Ware streuen, was für Anbieter eine enorme Vorleistung bedeutet. Das Plattformgeschäft muss mit klassischem Handel kombiniert werden; beispielsweise mit cash-generierenden klassischen Handels-Deals. Selbstverständlich leben auch diese Gebiete noch. Und sind für viele Anbieter lebensnotwendig.Zurück zu den Beispielen? Welchen Bedarf haben Anbieter noch, die auf Sie zukommen?
MK: Der Faktor Zeit wird immer wichtiger. Anbieter nutzen uns als Abkürzung in den Markt. Trends und globale Dynamiken ändern sich in viel kürzeren Perioden als noch vor wenigen Jahren. Da bleibt für Anbieter keine Zeit, jeden Kontakt und jedes Wissen selbst zu erarbeiten und zu erforschen.Durch die Jahre gewachsene Kontakte können wir Marken, also Anbieter aller Art, viel schneller vermitteln. Das Networking hat einen so wichtigen Stellenwert im Business eingenommen wie noch nie. Unser Haupt-Tun ist die Wachstumsgenerierung von Marken und die Erkundung immer weiterer Absatzkanäle. Je nachdem auf welchem Entwicklungsstand die Marke sich befindet, kann man den nächstgrößeren, passenden Partner dazu holen. Genau das verstehen wir unter "Matchmaking". Bei Bedarf unterstützen wir Marken allerdings auch beim Onboarding und weiteren Schritten. Hierfür kann die Zusammenarbeit modular weiter ausgebaut werden.
Also gehen Ihre Matchmaking-Aktivitäten über Deutschland hinaus?
MK: Definitiv. Was sehr oft in der Praxis vorkommt, sind ausländische Anbieter, die in ihrem Heimatmarkt bereits erfolgreich sind und nun nach Deutschland oder gegebenenfalls nach Europa generell expandieren wollen. Diesen Anbietern ist bewusst, dass der deutsche Markt in Sachen Preisbildung, Marketing und Vertrieb andere Anforderungen stellt als beispielsweise der türkische oder asiatische Markt oder der skandinavische Markt. Aber auch andersherum gewinnt das Business neue Facetten. Deutsch-europäische Anbieter möchten an pulsierenden Wirtschaftsmärkten partizipieren wie beispielsweise den MANA-Staaten. Fast kein Consulting-Unternehmen kann diesen Bedarf decken.In beiden Fällen kann E-Com Guide im Zuge eines sogenannten Screenings genau ermitteln, was die Marke bereits hat und was dort für einen erfolgreichen Markt Eintritt noch fehlt. Das heißt, wir fangen die Marken noch vor unseren vertrieblichen Aktivitäten auf und begleiten sie von der formellen Gründung bis hin zu jeglichen weiteren "Vergermanisierungsschritten". So arbeiten wir zum Beispiel eng mit Anwälten und Notaren zusammen, und können die Gründung einer deutschen Kapitalgesellschaft für die Marke begleiten. Ebenso können wir im Zuge eines Workshops bei der Preisbildung für einzelne Produkte helfen, denn oft wissen die Marken nicht, was im deutschen Einzelhandel für Ihr Produkt als angemessener Preis wahrgenommen wird. Danach folgen Logistik und Fulfillment, Marketing auf den sozialen Medien und Markenbildung, denn schließlich sind die ausländischen Marken in der Regel noch unbekannt in Deutschland.
Das klingt logisch und nachvollziehbar. Jetzt sind sie nicht der einzige Anbieter auf dem Beratermarkt. Was unterscheidet sie vom Wettbewerb?

Des Weiteren fokussieren sich viele Agenturen auf nur ein Vertriebsgebiet, was bequem ist. Wir entdecken jeden Tag mögliche Absatzgebiete von Kaufhausketten bis hin zu Quick Delivery oder Apps, Marktplätze bis hin zu direkt einkaufende Multibrand Online Shops. Zwar hat E-Com Guide mit der digitalen Vertriebswelt begonnen, aber sehr zeitnah ebenfalls stationäre Touchpoints ausgebaut.
Die Interkulturalität ist wichtig. Wir bringen nicht nur mehrere Sprachen, sondern auch Auslandserfahrung in das Unternehmen.
Ein weiterer Faktor sind New Brands und New Business, die meist in Agenturen keinen Platz finden. Wir sehen deren Potentiale und bauen diese gerne vertrieblich aus.
Hierfür haben wir modulare Honorar-Prinzipien, das heißt, wir stellen jedem Kunden die für ihn relevante Leistung in Rechnung und stellen im selben Atemzug sicher, dass unsere über Jahre angesammelte Expertise fair und angemessen entlohnt wird.
Und wie es scheint, seid ihr einer der wenigen, die Beratung und Vertrieb vereinen.
MK: Dies ist etwas, was mir auch öfter in Gesprächen mit Branchenteilnehmern aus Deutschland gesagt wird. Denn auf der einen Seite sind wir Strategen, die eine Marke bereits vor dem Markteintritt nach Deutschland ausführlichst über Chancen und Risiken beraten können und bei der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen unterstützen.Und auf der anderen Seite sind wir ganz klar Vertriebler, die immer mit dem Ohr im Markt genau wissen, auf welcher Plattform sich gerade welche Produkte gut verkaufen oder wo sich gerade im Online- oder Offline-Handel Chancen ergeben, die es zu nutzen gilt. Diese Kombination ist äußerst selten.
Vor allem aber: Wir lieben Menschen. Und zu netzwerken.