Interview: Kunstsammlerin Erika Hoffmann: „Kunst muss ein Stachel sein“

2018 schenkte sie ihre Kollektion den Staatlichen Museen von Dresden. Hier steht sie vor Antiken im „Gläsernen Depot“ des Albertinums.
Berlin. Erika Hoffmann ist Kunstsammlerin und war über ihren 2001 verstorbenen Mann Rolf Hoffmann eng mit dessen Familienunternehmen van Laack verbunden. Für den Hemdenhersteller hatte sie 1972 eine Blusen-Kollektion entworfen. 2018 schenkte sie den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden 1200 Kunstwerke, darunter Arbeiten von Gerhard Richter, Wolfgang Tillmans und Pipilotti Rist.
Warum? „Mir schien, dass unsere Sammlung die der fabelhaften Dresdner Sammlungen Alter Kunst gut ergänzen könnte. Außerdem konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als unsere Werke im Dialog mit solchen in den Dresdner Museen zu sehen,“ sagt Erika Hoffmann über ihr Geschenk von unschätzbarem Wert im Interview mit dem Handelsblatt.
Solch selbstlose Geschenke einer Mäzenatin sind selten in Deutschland. Meist fordern Gönner die Umbenennung eines Museums oder gleich den Neubau eines Hauses für ihre Schätze. Nicht so Erika Hoffmann. Sie lebt für die geistige Auseinandersetzung mit der Kunst. „Dadurch, dass man sich einer bestimmten Idee verschreibt, bekommt das Leben einen anderen Sinn“, sagt Erika Hoffmann und erzählt von ihren Erlebnissen mit der Kunst und den Künstlern.
Lesen Sie hier das komplette Interview:
Frau Hoffmann, Sie haben Ihre Kunstsammlung erst zusammen mit Ihrem 2001 verstorbenen Ehemann Rolf aufgebaut, danach allein fortgeführt. Vor zwei Jahren schenkten Sie die 1 200 Werke den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), darunter Arbeiten von Monica Bonvicini, Miriam Cahn, Isa Genzken, Felix Gonzalez-Torres, Bruce Nauman, Pipilotti Rist, Nancy Spero, Frank Stella, Wolfgang Tillmans und Andy Warhol. Warum?
Mir schien, dass unsere Sammlung die der fabelhaften Dresdner Sammlungen Alter Kunst gut ergänzen könnte. Außerdem konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als unsere Werke im Dialog mit solchen in den Dresdner Museen zu sehen.
Sind Sie zufrieden mit der bisherigen Integration in diesem Verbund, der ja aus 15 Museen besteht?
Vor dem Hintergrund, dass die Unterschiede zwischen einer Privatsammlung und einem staatlichen Museum generell gewaltig sind, bin ich zufrieden.
Worin liegen die größten Unterschiede?
Bei der zeitgenössischen Kunst geht es mir vor allem um das Sehen, Zeigen und Diskutieren. Auch darum, dass man gemeinsam über sie nachdenken kann. In Museen geht es aber vorrangig um das Bewahren.
Das ist aber ja auch wichtig. Was stört Sie daran?
Die Sicherheitsvorkehrungen sind inzwischen so gewaltig, dass die Besucher nie so nah an eine Arbeit herankommen wie bei uns hier. Bei uns nehmen die Besucher den Alltag der Sophie-Gips-Höfe und die Kunstwerke gleichzeitig wahr. Diese beiden Realitäten im Blick zu haben war mir immer wichtig. Im Museum aber sind die Fenster blind. Das sind Dinge, die ich jetzt erst in vollem Umfang realisiere.
Bereuen Sie Ihre Entscheidung deshalb inzwischen?
Nein, keineswegs. Die Auseinandersetzung über die Unterschiede ist für beide Seiten lehrreich. Und ich glaube an den Erfolg.
Wer kümmert sich in Dresden um die Sammlung Hoffmann?
Die SKD haben aus eigenen Mitteln eine Kuratorin und eine Restauratorin für die Schenkung angestellt. Ich verfolge mit Freude, wie gut die Integration dank deren Professionalität voranschreitet.
Dresden ist eine Stadt der Künste, aber auch eine der rechten Szene, wie die Pegida-Aufmärsche immer wieder zeigen. Haben Sie sich bewusst für Dresden entschieden?
Natürlich habe ich eine gewisse Mission. Schon in den frühen 1990er-Jahren empfanden mein Mann und ich, dass es besonders in Dresden notwendig sei, zeitgenössische Kunst erfahrbar zu machen, auch in all ihrer Hinfälligkeit. Kunst muss ein Stachel sein gegen die Bequemlichkeit des Denkens und die Illusion von Dauer.
Wie kann das gelingen?
Sperrige zeitgenössische Kunst wie unsere kann im Dialog mit den Schätzen, die die Kurfürsten und Könige über Jahrhunderte angehäuft haben, zu neuen Sichtweisen führen. Die Alte Kunst ist ja auf das Schönste in Dresden wiederhergestellt.
So schön, dass Künstler sie verbal attackieren ...
Gegen diese Pracht hat die zeitgenössische Kunst immer revoltiert. In den 1960er-Jahren hieß es, man müsse Museen und Konzerthallen sprengen. Es solle nicht alles ewig währen. Der Betrachter solle sich klarmachen: Alles ist vergänglich.
Gelingt die Übertragung des Störfaktors aus dem Museum auf die Straße in Dresden?
Da bin ich nicht allzu hoffnungsfroh. Aber wenn unsere Schenkung Menschen im Museum erreichte, dann wäre schon etwas gewonnen. Bei mir zu Hause gelingt es uns dank unserer Vermittlung doch immer wieder, Menschen zu bewegen, wie sie uns nachher glücklich schreiben. Auf der Straße etwas zu ändern erscheint mir nahezu unmöglich.
Und doch war die Entscheidung für Dresden ja eine bewusste politische Willensentscheidung – oder?
Oh ja. Aber ohne die Generaldirektorin Marion Ackermann, die so furchtlos und begeisterungsfähig und voller Ideen ist, wäre es dazu doch nicht gekommen.

Im Japanischen Palais ist jeder Betrachter eingeladen, ein Bonbon in Goldfolie zu nehmen, zu lutschen und so an der Energie des Kunstwerks teilzuhaben. Oder dem „Virus“, wie Felix Gonzalez-Torres vieldeutig sagte.
Wie oft schauen Sie sich den Fortgang in Dresden an?
Ich bin gar nicht so oft vor Ort, nur alle zwei Monate. Aber wir haben jeden Tag Kontakt. Eigene Ausstellungen bereiten wir hier vor, nehmen andererseits Wünsche und Vorschläge aus Dresden auf.
Warum hat es die zeitgenössische Kunst so schwer in Dresden?
Die Erfahrung der Dresdner mit einer Beinahe-Auslöschung im Zweiten Weltkrieg und die dadurch gesteigerte Identifikation mit ihren historischen Schätzen lässt sie die zeitgenössische Kunst als Bedrohung empfinden.
Erschlagen rekonstruierte Barockräume nicht so manche Arbeit aus Alltagsmaterialen?
Da haben Sie recht. Es ist für mich überraschend, dass Arbeiten in dieser Umgebung ganz anders verstanden werden, als ich sie bisher gesehen habe. Ich denke zum Beispiel an Monica Bonvicinis in feinstes Handschuhleder verschnürten Hammer in einer Vitrine der Dresdner Rüstkammer – in Nachbarschaft zu den mit Elfenbein und Gold verzierten Werkzeugen des Kurfürsten August von Sachsen aus dem 16. Jahrhundert. Im Japanischen Palais jedoch, das nicht so komplett restauriert ist wie das wiederaufgebaute Schloss auf der anderen Elbseite, wurden Werke aus der Schenkung bereits mehrfach sehr eindrucksvoll gezeigt.
Wo lagern Ihre 1 200 Kunstwerke?
Noch lagern viele in einer insgesamt fünfjährigen Übergangszeit hier, weil ich selbst noch damit spielen will. Ich muss ja lernen loszulassen. Die 15 großartigen Dresdner Direktoren können aber jederzeit hier abrufen, was ihnen ins Konzept für aktuelle und künftige Ausstellungen passt. Sie wählen freudig.
Wie muss man sich die vorhin erwähnten Konfrontationen vorstellen?
Ein frühes Schüttbild von Hermann Nitsch aus unserer Sammlung, das „Kreuzwegstation“ heißt, wird zurzeit gegenüber von Caspar David Friedrichs berühmtem „Tetschener Altar“ gezeigt …

Die Mäzenin auf der Pressekonferenz zur Schenkung ihrer Sammlung im Residenzschloss.
… ein gemaltes Gipfelkreuz im Abendrot ist von einem vergoldeten Rahmen umgeben, der die Eucharistie herausstellt.
Ein Text erläutert den Besuchern beide Kunstwerke. Bei Friedrich symbolisieren die geschnitzten Weizengarben und Traubenranken im Rahmen das Abendmahl. Sie erinnern an den Kreuzestod Jesu, während das Kreuz selbst mit dem Korpus zur Empörung von Friedrichs Zeitgenossen nur ein Motiv in einer hochromantischen Landschaft ist. Gegenüber hängt das abstrakte Bild von Nitsch, der mit Farbe und inzwischen nachgedunkeltem Blut in der Art des 1961 aktuellen Action-Paintings arbeitete. Geht es bei beiden Werken um eine mystische Verwandlung? Das bleibt eine interessante Frage.
Was hat Ihnen die Konfrontation von Nitsch und Friedrich klargemacht?
Bisher habe ich Nitschs Arbeit und Performance eher auf das Orgiastisch-Dionysische bezogen, wie er es in seinen Büchern beschreibt, seine Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche eher als Teil der Konfrontation mit der konservativen Gesellschaft der 1950er-Jahre Österreichs betrachtet.
Wer erarbeitet die jährlich wechselnden Ausstellungen in Ihren Berliner Privaträumen, die jeden Samstag mit einer Führung zu besichtigen sind?
Seit dem Tod meines Mannes habe ich diese allein konzipiert. Für die aktuelle Einrichtung sind erstmals die „Docents“ genannten Begleiter unserer Besucher verantwortlich. Sie hat einen Schwerpunkt bei der Raumerfahrung, bei Dreidimensionalität und Skulptur und sollte noch bis Mitte Juni zu sehen sein. Danach folgt eine Einrichtung der Sammlungsleiterin Elke Giffeler. Das letzte Wort vor dem endgültigen Umzug habe dann ich – unter dem nur halb ironischen Motto „Alles muss raus“.
Worin besteht der Reiz, Ausstellungen zusammenzustellen?
Bei jeder neuen Einrichtung lerne ich durch eine andere Zusammenstellung etwas Neues kennen. Habe ich Nachbarschaften buchstäblich vor Augen, offenbaren sie mir etwas, das mir vorher so noch nicht klar war.
Erwerben Sie eigentlich immer noch Kunst?
Nein, ich bin jetzt keine Sammlerin mehr. Ich lasse mich nur noch selten zu einem Ankauf hinreißen und auch nur dann, wenn mich etwas in der direkten Begegnung fesselt.
Warum widmen Sie ausgerechnet dem japanischen Fotografen Hiroshi Sugimoto aktuell eine große Wand? Worin liegt seine Dringlichkeit?
Als wir Ende der 1980er-Jahre in Tokio waren, sahen wir zu, wie Sugimoto 50 seiner „Seascapes“ für eine Ausstellung arrangierte. Wir hatten noch nie von ihm gehört und konnten nur staunen. Überall in der Welt die gleiche Ansicht von Meer und Horizont aufzunehmen – was für eine Idee! Jeder Moment von Stille oder Lichterscheinung ist anders, einzigartig und zugleich ewig. Die völlige Ruhe des zentralen Horizonts hat uns überwältigt.
Sie sagten einmal, Kunst habe Ihr Leben verändert. Inwieweit?
Es fing an mit persönlichen Gesprächen mit den Zero-Künstlern Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker. Die Freiheit und Unbeirrbarkeit, mit der die Künstler handelten, beeindruckte uns. Wir begannen, Werke zu erwerben, um damit zu leben, um jeden Tag inspiriert zu werden. Später, in Köln zum Beispiel, haben wir den Umbau einer ehemaligen Fabrik zu unserem neuen Zuhause so gestaltet, dass die Kunst zur Hauptsache wurde.
Hier in Berlin konnten Sie sich noch stärker an der Kunst ausrichten.
Wir waren wohl unersättlich im Sehen. Und wollten ins Risiko gehen, wie wir das bei den Künstlern beobachtet hatten. Dadurch, dass man sich einer bestimmten Idee verschreibt, bekommt das Leben einen anderen Sinn.
Haben Sie noch die Werke konstruktivistischer Künstlerinnen und Künstler?
Die wenigen Bilder der 1910er- und 1920er-Jahre, die wir erwerben konnten, sind eenfalls für Dresden bestimmt.
Sie lebten in den 1960er-Jahren in Mönchengladbach. Was schenkten Sie kürzlich auch dem Museum Abteiberg?
Susanne Titz, die Direktorin, hat sich ausgesucht, was ihre Sammlung gut ergänzt. Das waren ein Film von Steve McQueen, einer von Gordon Matta-Clark, ein Plakatstapel von Felix Gonzalez-Torres, gemeinsam mit Christopher Wool, zwei Boden‧arbeiten von Mike Kelly und eine Betonskulptur von Isa Genzken.
Was verdanken Sie dem Gründungsdirektor des Abteiberg-Museums, Johannes Cladders?
Cladders verdanken wir die Initiation, die Möglichkeit, uns in bis dahin unbekannten Gefilden zu orientieren, zu einer Zeit, als wir uns nach Erfahrungen jenseits unseres normalen Berufs- und Familienlebens sehnten. Das, was Cladders von Minimalismus und Konzeptkunst im Museum zeigte, begriffen wir damals noch nicht. Wir standen ratlos vor Richard Longs zu Kreisen angeordneten trockenen Zweigen oder Lawrence Weiners auf Notizzetteln an die Wand gehefteten Sätzen. Aber neben vielen anderen Künstlern haben wir den wunderbaren Belgier Marcel Broodthaers hier kennen gelernt und sofort ins Herz geschlossen. Wir lernten von ihm: Wenn wir alles anzweifeln, was andere Leute toll finden, was der Kanon oder Mainstream vorgibt, können wir immer noch unsere eigene Meinung haben.
Wie reagierten Sie?
Das hat mich umgedreht. Mein Leben lang war ich darauf gerichtet gewesen, mich anzupassen, zu lernen, welche Kriterien Sammler und Museumsleute hatten. Wir haben uns aber schließlich getraut, nur zu erwerben, was uns persönlich anspricht.
Sie haben Andy Warhol, Blinky Palermo, Gerhard Richter und Isa Genzken persönlich kennen gelernt.
Wir mochten François Morellets spielerische Art, mit Form und Sprache umzugehen, besonders. Das exakte Gegenteil deutscher Ernsthaftigkeit. Was Kunst vermag, hat Morellet so ausgedrückt: „Als Künstler breite ich nur das Tischtuch aus, auf dem der Betrachter sein Picknick verzehrt. Der Betrachter möge ruhig sein Picknick auspacken. Aber sich auch im Klaren darüber sein, dass das, was er isst, nicht das himmlische Manna ist, sondern das, was er selbst mitgebracht hat.“
Frau Hoffmann, vielen Dank für das Interview.
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