Martin Kippenberger Bonn erinnert an einen Künstler, der die Blamage nicht scheute

Blick in die Ausstellung „Bitteschön Dankeschön“ in der Bundeskunsthalle Bonn: Im Vordergrund stehen die „Laterne an Betrunkene“ (1988) und die „Hühnerdisko“ (1988). Im Hintergrund links ist eines der bekannten Unterhosen-Bilder „Ohne Titel (Selbstporträt)“ von 1988 zu sehen.
Bonn Warum Martin Kippenberger so notorisch scheinbar lächerliche Werke produzierte, ist für viele erklärungsbedürftig. Daran ändert sich auch 23 Jahre nach seinem frühen Tod mit 46 Jahren nichts.
Dem Künstler, der für ein Selbstporträt Picasso in der Unterhose mimte und dabei die unvorteilhafteste nur denkbare Figur machte, war nichts heilig, am allerwenigsten das eigene Tun. „Blamiere Dich täglich“ schien sein klug gewählter Leitsatz, Sieben und Filtern von Anregungen seine künstlerischen Methoden.
In den Achtzigern war er das „Enfant terrible“ deutscher Gegenwartskunst; und irgendwie ist er es immer noch, da sich das Etikett auch posthum nicht abnutzt. Warum das so ist, lässt sich in Bonn in der Bundeskunsthalle besichtigen, wo sein Lebenswerk in einer wahrhaft opulenten Schau ausgebreitet wird (bis 16.2.).
Es ist nicht einfach, das vielgestaltige Œuvre auf den Punkt zu bringen; vielleicht sogar unmöglich, wenn man allein schon die verschiedenen Ausdrucksmittel Revue passieren lässt, derer er sich bediente.
Kippenberger posierte, schauspielerte, fotografierte, machte Musik, riss Witze, schrieb Bücher und gestaltete Plakate. Er beschränkte sich nicht nur auf das Malen, Zeichnen und Bildhauern, wie die Bonner Ausstellung suggeriert. Er probierte mehr aus als seine gleichaltrigen Künstlerfreunde, die in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre ihre Kunstkarrieren starteten und als „Junge Wilde“ den neu entfachten Hunger auf Malerei stillten.
Kippenberger ging mehr auf Risiko, leistete sich die größere ironische Distanz zum Kunstbetrieb, wurde „Dienstleister“ für „Vermittlung, Beratung, Bilder“. Zusammen mit der späteren Galeristin Gisela Capitain, die heute seinen Nachlass verwaltet, gründete er 1978 „Kippenbergers Büro“ – eine Art subkulturelles Kreativzentrum für Ausstellungen, Lesungen, Film-, Fernseh- und Diaabende.

Blick in die Retrospektive in der Bundeskunsthalle in Bonn mit dem „Entwurf für ein Müttergenesungswerk in Gütersloh“ (Mitte hinten) und Paderborn (vorne), beide 1985 entstanden. Die drei Gemälde stammen aus den Jahren 1984 und 1985.
„Kippenbergers Büro“ sorgte für steten Austausch, Ideenzufluss und hielt den Künstler im Gespräch. Malerei ging jedoch zuerst nicht daraus hervor. Sehr zum Bedauern des Galeristen Max Hetzler, der Kippenberger 1979 kennen lernte. Als Anfang der Achtzigerjahre das Geld aus einer Erbschaft für Kippenberger versiegte, stellte der Künstler sein Geschäftsmodell um, zunächst auf Malerei.
Es gehören schon Intelligenz und Frechheit dazu, erfolgreich an den Kunstbetrieb anzudocken, ohne sich platt anzubiedern. Zum Beispiel indem man die Kunstproduktion delegiert, sie gleichsam „von außen“ betrachten lässt, sie in anderen Aggregatzuständen vielfach wiederverwertet und daraus die Impulse saugt.
Seinerzeit ein gefragter deutscher Gegenwartskünstler
So ließ der Künstler die zwölfteilige Serie „Werner Kippenberger. Lieber Maler, male mir“ (1981) vom Plakatunternehmen Werner malen. Zwei Assistenten übernahmen die Herstellung der mit kleinen Figürchen besetzten Gemälde aus der Installation „Heavy Burschi“ (1989/90), deren Vorlagen Bilder aus eigenen Katalogen lieferten.
In ihrem Zentrum steht ein großer Container mit den Trümmern der anschließend zerstörten, zuvor abfotografierten Bilder, während die farbigen Fotos in großem Format rundum an den Wänden hängen. Diese Fotos zeichnete der Künstler später von Hand spiegelverkehrt auf Hotelpapier ab und machte daraus einen neuen Katalog. Fotos vom Container übertrug er für eine Editionsausstellung per Serigrafie auf Spanplatten.

Ausstellungsansicht der Serie „Ohne Titel (Fred the frog)“ aus dem Jahr 1990.
Vielleicht ist es die mit Humor gepaarte Kompromisslosigkeit, die den „bad guy“ des Kunstbetriebs zu einem der gefragtesten deutschen Gegenwartskünstler auf dem Markt gemacht hat. Für Sammler wie Wilhelm Schürmann war die Begegnung mit dem Künstler jedenfalls eine Offenbarung. Damals in den Achtzigern kostete eine Arbeit gerade mal 800 D-Mark, es gab gefühlt drei Kunden, und die Galerien waren froh, dass sich überhaupt jemand dafür interessierte.
30 Jahre später muss man für einschlägige Gemälde siebenstellige Summen ausgeben. 5,5 Millionen Dollar bot der Kunsthändler Jeffrey Deitch im Mai 2014 bei Christie’s in New York für eines der Großformate aus der Serie „Lieber Maler, male mir“.
Zweistellige Millionen-Dollar-Beträge sind fällig, wer es auf eines der begehrten Selbstporträts als Picasso in weißer Unterhose abgesehen hat. So wie jene chinesische Restaurantketten-Besitzerin namens Zhang Lan, die in derselben Christie’s-Auktion in New York 19 Millionen Dollar bewilligte.
Mehr: Sammlung Gaby und Wilhelm Schürmann – Lesen Sie hier, welche Eigenschaften ein Kunstwerk haben sollte, dass die Sammler zum Kauf überzeugt.
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