Jürgens Weinlese: „Kennen Sie den Witz: Wie wird man in Bordeaux Millionär?“

Der deutsche Weinkönig des Bordeaux führt die Geschäfte mit seiner Ehefrau.
Entertainer, Charmeur, Marketingprofi - diese und ähnliche Begriffe fallen, wenn Geschäftskunden Graf Stephan von Neipperg charakterisieren sollen. Er hat zusammen mit seiner Frau Sigweis von Neipperg im Bordeaux, der größten zusammenhängenden Region weltweit für Spitzenweine, die Zahl seiner Weingüter nach und nach vergrößert. Das Gespräch über Bordeaux-Weine, Klimawandel, Preisgestaltung, Margen von Händlern und vielen weiteren Dingen aus der Weinwelt entstand während eines gemeinsamen Mittagsessen - und war gleichzeitig eine vergnügliche, kurzweilige Charmeoffensive des Ehepaars. Weil der Smalltalk zwischen den eigentlich Fragen einen hohen Unterhaltungswert besaß, ist dieser Teil des Gesprächs kursiv gesetzt.
Herr Graf von Neipperg, wieviel Weingüter haben Sie im Bordeaux?
Stephan von Neipperg: Jetzt muss ich mal nachrechnen. (Ehefrau Sigweis von Neipperg lacht und schüttelt den Kopf) Fünf Weingüter gehören uns vollständig, an anderen sind wir beteiligt – wie zum Beispiel am Chateau Gairaud, wo unser Süßwein produziert wird.
Wie haben Sie es denn geschafft, als Deutscher hier im Bordeaux eine solche Erfolgsgeschichte zu schreiben?
Sigweis von Neipperg: Als wir in den 80er Jahren hier ankamen und das Weingut Canon La Gaffelière übernahmen, waren wir unbedarft. Vielleicht war das junge, unbedarfte unser Erfolgsgeheimnis. Wir hatten nicht viel zu verlieren. Das Weingut war damals nicht die beste Adresse. Wir mussten beispielsweise zwei Winter ohne Heizung überstehen. Mein Mann musste damals Öl schleppen, um den Backofen anzumachen. Aber wir sind hier sehr nett aufgenommen worden.
Stephan von Neipperg: Aber nur, weil Du eine wahnsinnig hübsche Frau bist. Das mögen die Franzosen. Investieren in Bordeaux ist ja eigentlich einfach. Man muss ja nur ein bekanntes Weingut wie Chateau Petrus kaufen. Das kann jeder. Aber wir haben in Weingüter investiert, die nicht so bekannt waren. Das ist schon deutlich schwieriger. Da dauert es zehn bis 15 Jahre, um zu einer bekannten Marke zu werden.
Verkaufen Sie dann als deutscher Winzer im Bordeaux viele Weine in ihr Heimatland?
Stephan von Neipperg: Deutschland macht weniger als zehn Prozent aus. Die meisten Deutschen haben sich anfangs echauffiert, dass einer aus ihrer Heimat hier im Bordeaux Weine herstellt und auch noch Erfolg hat. Das hat sich erst geändert, als die amerikanische Presse positiv über uns geschrieben hat. Das habe ich an sich nicht verstanden.
Sigweis von Neipperg: Schmeckt Ihnen das Fleisch?
Danke, sehr gut.
Stephan von Neipperg: Das Geflügel habe ich heute morgen geschossen.
Sigweis von Neipperg: Ich musste es rupfen. Mein Mann hat sie hoffentlich vorgewarnt, dass bei uns rustikal gekocht wird. Was trinken wir denn dazu?
Stephan von Neipperg: Im rechten Glas ist ein 2000er Canon La Gaffelière, im linken ein 2001er La Mondotte.
Sigweis von Neipperg: Herr Röder, Sie sollten öfter kommen. Ansonsten bekomme ich nur die Zweitweine.
Stephan von Neipperg: Das sind alles Weine, denen man noch ein wenig Zeit geben kann. Sie können in zehn Jahren wiederkommen, dann sind die Weine immer noch präsent.
Wie war die Verkostung des neuen Jahrgangs 2014?
Stephan von Neipperg: Gut. Wir haben private Verkostungen mit unseren Partnern veranstaltet, dazu kamen Weinjournalisten. Insgesamt kamen an diesen drei, vier Tagen rund 800 Personen zu Besuch. Keine Korken- oder Glasverkäufer und auch keine Banker, mit denen wir zusammenarbeiten.
Hat sich eigentlich viel geändert, nachdem Robert Parker als einflussreichster Weinjournalist mit diesem neuen Jahrgang aufgehört hat, die hochwertigen Bordeaux-Wein zu verkosten und anschließend zu bewerten?
Stephan von Neipperg: Früher haben sich alle nach Robert Parker gerichtet, das ist nun vorbei. Von den Weinjournalisten haben wir fünf bis sechs, die wir ernst nehmen, 20 die nett sind. Anschließend werden nach dieser Verkostung die Preise gestaltet, was ein komplizierter Vorgang ist. Der Wein muss in einem sehr frühen Stadium bewertet werden, dazu spielen der Jahrgang und die gesamte Region auch noch eine wichtige Rolle.
Wird das einige Weingüter in Schwierigkeiten bringen, vor allem die, die spezielle Weine für den Parker-Geschmack produziert haben?
Stephan von Neipperg: Der Journalist kann schreiben was er will. Dessen Meinung wird letztendlich überschätzt. Ich glaube, dass im Endeffekt der Konsument entscheidet und kein Weinkritiker. Wenn ein Weinliebhaber einen Wein aufmacht und ihn als gut empfindet, das ist viel wichtiger.
Haben Sie ihre Preise für den 2014er-Jahrgang erhöht?
Stephan von Neipperg: Ja. Der Preis für unseren Spitzenwein La Mondotte 2014 liegt bei knapp unter 140 Euro – höher als im vergangenen Jahr. Der Jahrgang 2013 hinterließ einfachere Weine, da waren wir niedrig mit unseren Preisen. Nun ist der Jahrgang 2014 klar besser, also muss ich höhere Preise nehmen.
Aber um auf Robert Parker zurückkommen: Der sagt, die Preise von Bordeaux-Weinen sind im Schnitt 30 Prozent zu hoch.
Stephan von Neipperg: Das gilt nur für bestimmte Weine. Sogar Parker meint auch, dass manche Weine im Bordeaux sehr günstig sind. Ich glaube, dass Bordeaux-Weine im Prinzip nicht überteuert sind. Dieser Vorwurf gilt nur für maximal 20 Marken. Doch auf die wird nur geschaut. Und Parker sitzt in Amerika, dort bekommt er die Weine jetzt sowieso 20 Prozent günstiger aufgrund des schwächer gewordenen Euro gegenüber dem Dollar.
Wie gehen Sie vor, um den richtigen Preis zu bestimmen?
Stephan von Neipperg: Nehmen wir ein Beispiel: Ein Winzer will seinen Jahrgang 2014 auf dem Markt verkaufen und einen Preis finden. Weil er nach dem erstklassigen Jahrgang 2009 auch 2010 die Preise erhöht hat, hat er schlecht verkauft und noch 2010er auf Lager. Und zusätzlich noch seine Weine von den eher schwächeren Jahrgängen 2011 und 2013 nicht verkauft. Dann stimmt der Preis nicht. Und davon gibt es einige Weingüter. Umgekehrt liegen Sie richtig mit dem Preis, wenn sie die Jahrgänge von 2010 bis 2013 allesamt verkauft haben.
Aber die mächtigen Wein-Händler in London haben einen Brandbrief verfasst und sich beschwert, dass sie an Bordeaux-Weinen ihrer Ansicht nach zu wenig Geld verdienen.
Stephan von Neipperg: Das sind die Typen, die während des China-Booms ein extrem gutes Geschäft gemacht haben. Schauen sie sich nun deren Bilanzen an. Die haben sich halbiert, seit es diesen China-Boom nicht mehr gibt. Die regen sich über Bordeaux-Weine auf und haben nicht gemerkt, dass viele davon gar nicht teuer sind. Wir reden von einem ganz kleinen Markt von teuren Weinen.
Aber es gab doch Exzesse bei den Preisen, oder?
Stephan von Neipperg: Um ein Beispiel zu nennen: Der Preis für eine Flasche Carruades de Lafite ist beispielsweise von 20 auf 400 Euro gestiegen. Den hat dann auch niemand mehr gekauft. Früher sind diese Tropfen von einem chinesischen Markt aufgesaugt worden, den es heutzutage nicht mehr gibt. Es gibt halt Leute, die glauben, dass man alles aus einer Sache ausschlachten kann. Die lieber den Hype bevorzugen – anstatt ihre Weine wie vorher auf dem globalen Markt zu verkaufen.
Wie haben Sie sich verhalten?
Stephan von Neipperg: Wir haben beispielsweise zwischen 2009 und 2010 unsere Preise nicht erhöht, unsere Weine auch weiterhin weltweit verkauft und uns nicht auf China konzentriert. Dadurch haben wir keine Probleme jetzt.
Verkaufen Sie ihre Weine eigentlich direkt, oder verkaufen Sie wie in Bordeaux üblich an die Zwischenhändler, die sogenannten Negociants?
Stephan von Neipperg: Wir verkaufen in erster Linie an die Negociants. Einige Weine, die nicht so bekannt sind, verkaufen wir direkt. Aber wir sind auch selber Negociants.
Lohnt sich das Geschäft als Zwischenhändler denn?
Stephan von Neipperg: Man muss es richtig machen. Damit meine ich, man muss auch warten können, bis ein guter Jahrgang kommt. Manche Händler brauchen aber das Geld sofort und machen das Geschäft nur über eine geringe Marge. Das ist gut für den Kunden, aber nicht für mich als Zwischenhändler.
Warum gehen Sie denn den Umweg über Zwischenhändler?
Stephan von Neipperg: Gehen Sie mal von unserer Struktur aus. Wir verwalten ungefähr 300 Hektar und ich habe kein Verkaufsteam. Dadurch habe ich Kosten in Höhe von rund 15 Prozent weniger. Ansonsten bräuchte ich einen Verkäufer, der spezialisiert ist auf Europa, vielleicht sogar Nordeuropa. Einen, der seine Expertise im amerikanischen Markt hat und einen in Asien. Deswegen kann ich dem Handel auch eine Marge zwischen 15 und 18 Prozent zahlen. Diese Marge sieht er in schwierigen Jahren aber nicht.
Gelten diese Margen auch für Ihr Deutschlandgeschäft?
Stephan von Neipperg: Auch unsere deutschen Importeure wie Alpina oder Unger können keine hohen Margen nehmen. Denn für Bordeaux-Weine gilt: Jeder kann als Verkäufer in den Markt einsteigen, es gibt keine Exklusivität. Das ist bei Spitzenweine aus anderen Regionen anders.
Welche meinen Sie?
Stephan von Neipperg: Betrachten Sie doch mal die Spitzenweine aus Italien, die kriegen sie auch nicht umsonst. Das gilt auch für spezielle Weine aus Kalifornien. Die werden exklusiv mit einer hohen Marge verkauft. Ähnlich wie bei den Burgunder-Weinen. Die sind im Preis extrem teurer, teurer als Bordeaux-Weine. Aber auch da spricht keiner davon, dass die zu teuer geworden sind. Deswegen sind natürlich auch die britischen Händler verärgert, weil sie mit Bordeaux-Weinen nur eine Marge von zehn Prozent erzielen können Das Teure an Bordeaux-Weinen ist: Der Importeur verdient zu wenig Geld.
Wie hoch sind denn Margen bei Weinen aus anderen Regionen?
Stephan von Neipperg: Nehmen Sie einen bekannten Wein aus Italien, ohne einen Namen zu nennen. Der verkauft monopolartig an einen Importeur. Und der nimmt eine Marge von 40 Prozent. Dann wird der Händler natürlich schauen, dass der Wein überall verkauft wird.
Aber Sie stecken doch mit dem Wein von ihrem Gut in Bulgarien in einer ähnlichen Situation. Sie verkaufen den doch an die börsennotierte Hawesko?
Stephan von Neipperg: Mein Wein aus Bulgarien wird exklusiv verkauft, alle sind froh, kein Problem. Die Marge ist nicht so hoch, wie ich sie gerade genannt habe. Alle können damit leben.
Warum setzen sie auf Händler wie Unger oder Alpina in Deutschland?
Stephan von Neipperg: Die Händler sind mittlerweile Spezialisten geworden, das setzt sich immer mehr durch. Nehmen Sie zum Beispiel die Familie Unger. Die haben die Möglichkeit, Weine einzulagern. Nehmen Sie beispielsweise eine La Mondotte oder La Gaffelière vom Jahrgang 2014. Wann ist der trinkreif? In acht, zehn Jahren. Sie trinken gerade eine La Gaffelière, der 15 Jahre alt ist. Wie schmeckt der Ihnen, Herr Röder?
Vorzüglich, Herr von Neipperg.
Stephan von Neipperg, an seine Frau gewandt: Darf ich weiter reden?
Sigweis von Neipperg: Ich höre Dir andächtig zu
Wenn meine Frau das sagt, höre ich meist auf zu reden. Und Sie, Herr von Neipperg, Sie haben genauso reagiert wie ich bei meiner Frau reagiere .
Sigweis von Neipperg: Nur weil ich ihn schweigend anhimmele?
Herr von Neipperg, Sie wurden gerade unterbrochen.
Stephan von Neipperg: Mein Fazit: In den großen Jahrgängen ist die Marge da, in den kleinen Jahrgängen ist die Marge klein. Der Markt braucht länger, um sich entscheiden zu können. Die Weine aus den sogenannten kleinen Jahrgängen sind ja oft nicht schlecht. Viele machen jetzt Flaschen vom Jahrgang 2007 auf, es sind köstliche Weine. Und was wurde dieser Jahrgang vorher kaputtgeschrieben und kaputtgeredet.
Welche Jahrgänge werden denn jetzt verkauft?
Stephan von Neipperg: Was wir jetzt am Markt sehen sind die Jahrgänge 2008, 2011 und 2012. Das sind Weine, da erkennt man wie sie sind. Ein 2006er wäre noch besser, aber den kriegt man kaum. Das Problem dabei ist: Wer hält ein Lager mit den damit verbundenen Kosten, bis der Endkonsument solch einen Wein kaufen will? Aber mal eine Gegenfrage: Kennen Sie den Witz: Wie wird man in Bordeaux Millionär?
Nein.
Stephan von Neipperg: Man fängt als Milliardär an.
Aber über diesen Witz kann man doch nur den Kopf schütteln. Bordeaux ist die größte zusammenhängende Region für Qualitätswein, für Bordeaux-Weine werden weltweit die höchsten Preise gezahlt. Und dann soll man hier Geld verlieren?
Stephan von Neipperg: Die Weine, über die wir reden, bilden vielleicht nur drei oder vier Prozent des Gesamtmarktes. Vielleicht geht es 20 Prozent der hiesigen Winzer gut.
Und die anderen?
Stephan von Neipperg: Es gibt viele tausende Hektar, deren Eigentümern geht es schlechter als einem Landwirt. Manche Bordeaux-Winzer produzieren 900 Liter Wein und kriegen dafür 1200, 1300 Euro. Das ist eine Katastrophe. Die können nicht mehr investieren, da geht gar nichts mehr. Das ist schon tragisch, was dort passiert. Auf der anderen Seite hat man einen Mehrwert, nur weil man eine bekannte Appellation ist – wie Pomerol, Margaux, Pauliac beispielsweise.
Sind Sie neben ihrem Weingut in Bulgarien noch in anderen Ländern aktiv?
Stephan von Neipperg: Wir haben uns gerade an einem südafrikanischen Weingut mit Namen Capaia beteiligt. Die Frage lautet natürlich: Muss ich nach Südafrika jetzt? Man kann nicht alles richtig machen, man macht aber auch nicht alles falsch. Das Bodenpotenzial dort ist super, das Weingut ist sehr gut. Doch gibt es natürlich politische und wirtschaftliche Hindernisse.
Sigweis von Neipperg: Was man aus einem guten Gefühl heraus macht, braucht man sich im Leben nicht vorzuwerfen. Ich glaube, dass sich Ehrlichkeit und Authenzität lohnt. Das spürt auch der Verbraucher.
Werden ihre Weine verstärkt als ein Investment gekauft, also als Geldanlage?
Stephan von Neipperg: Wir versuchen dem soweit wie möglich zu entgehen. Aber dagegen wehren können wir uns nicht. Sollen die Anleger das machen. Die sollen sich aber nicht bei uns beschweren, wenn sie Geld dabei verlieren. Ich bin in einer Familie mit acht Kindern aufgewachsen. Da wurde Spekulation eher belächelt.
Gibt es keine Geldanlage mit ihren Weinen?
Stephan von Neipperg: Natürlich wird mit unserem Wein La Mondotte spekuliert, die Preise für ältere Jahrgänge schwanken.
Sigweis von Neipperg: Die Preise sind teilweise um 300 Prozent gestiegen, aber davon haben wir am wenigsten profitiert.
Stephan von Neipperg: Den Preis des 2001er La Mondotte, der hier auf dem Tisch steht, den kenne ich gar nicht. Das interessiert mich auch nicht. Das ist mir nicht wichtig. Was mir wichtig ist, dass dieser Wein, der auf einem sehr speziellen Boden wächst mit 75 Jahre alten Reben, solch eine Qualität hat.
Spüren Sie eigentlich hier in Bordeaux den Klimawandel? Ernten Sie früher?
Stephan von Neipperg: Wir wissen seit vielen hundert Jahren, dass es Klimawandel gibt. Das ist nicht neu. Es gab ja auch Eiszeiten. 1998 und 1990 haben wir um den 15. September herum die Trauben gelesen. Die ersten großen Jahre davor haben wir im Oktober gelesen. Was ist daran Klimawandel?
Gibt es gar keine Veränderungen?
Stephan von Neipperg: Was wir feststellen können ist, dass die Natur vielleicht exzessiver geworden ist. In manchen Jahren ist es exzessiv nass, exzessiv trocken oder exzessiv stürmisch und manchmal hagelt es sehr viel. Das sind Parameter, die wir nachvollziehen können. Aber es nicht so, dass wir jetzt alle Rebstöcke rausreißen und die Syrah-Traube pflanzen, die heißeren Temperaturen standhält, stimmt's? (mit Blick auf die Ehefrau). Oder einen guten Müller-Thurgau.




Seitdem Müller-Thurgau in Rivaner umbenannt wurde, geht das bestimmt noch.
Stephan von Neipperg: Vielleicht sollten wir Prosecco produzieren.
Vielen Dank für das Interview, das leckere Essen und die leckeren Weine, Frau und Herr von Neipperg.






