Shortlist des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises: Wofür es sich lohnt zu arbeiten – und wofür nicht
Demonstration für eine bessere Work-Life-Balance.
Foto: dpaDüsseldorf. Am Morgen des 24. Februars wachte Sara Weber auf, schaute aufs Handy und sah, dass Russland die Ukraine angriff. Der Krieg in Europa, er war da. Sie sah Panzer, Explosionen, verzweifelte Menschen, war erschüttert, traurig und wütend. Und dann?
Dann setzte sie sich an den Schreibtisch, um einen Workshop vorzubereiten. „Und dachte mir: Was mache ich hier eigentlich? Alles um uns herum scheint kaputtzugehen, und wir arbeiten einfach weiter. Arbeiten uns kaputt„, schreibt Weber in ihrem Buch mit dem passenden Titel „Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?“
Von der Coronapandemie direkt in den Ukrainekrieg, dazu noch die Klimakrise – das hat deutlich gemacht, was eigentlich schon lange klar ist. Die Welt ändert sich, die Unternehmen ändern sich, doch die Art zu arbeiten ist immer noch die gleiche. Das kann nicht funktionieren. „Aber wir sind zu ausgebrannt, um etwas daran zu ändern“, schreibt Weber.
Die ehemalige Redaktionsleiterin des Karrierenetzwerks LinkedIn in Deutschland analysiert darin anschaulich, was passieren muss, um dem kollektiven Burn-out noch zu entrinnen, und richtet einen eindringlichen Appell an Mitarbeiter ebenso wie Führungskräfte.
Webers Buch ist zweigeteilt – zum einen liefert sie eine Bestandsaufnahme der Situation, in der sich die Arbeitnehmer von heute befinden. Zum anderen analysiert sie im hinteren, größeren Teil die Probleme ebenjener Arbeitswelt – und deren mögliche Lösungen.
Der Status quo ist schnell zusammengefasst: Die Deutschen sind erschöpft, haben keine Lust mehr zu arbeiten, kündigen zuhauf ihre Jobs, was den Fachkräftemangel noch anheizt. Die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen zieht sich durch alle Schichten und Fachrichtungen, ob Wissenschaftler oder Fahrradkurier, ob Arzt oder Lagerarbeiter. Oft sind die Gründe sogar die gleichen.
Weber selbst hat erlebt, wie es ist, nicht mehr zu können. „Unsere Welt steht in Flammen. Und wir? Brennen aus, um bloß keine Deadline zu reißen.“ Als sie nicht mehr konnte, kündigte sie ihren Job. „Weil ich einfach nicht mehr konnte. Weil ich ausgebrannt war. Von der Arbeit. Vom Streben nach immer mehr Produktivität. Von meiner ‚Karriere‘.“
Wenn Deutschland nicht aufpasst, nimmt diese Gefahr des Ausgebranntseins weiter zu. Die Coronapandemie hat eine Entwicklung beschleunigt, die sich seit Langem anbahnte. „Früher war das Versprechen klar: Wer hart arbeitet, wird es mal besser haben. Dieses Versprechen funktioniert nicht mehr“, schreibt sie. Junge Menschen könnten sich trotz harter Arbeit nicht leisten, eine Immobilie zu kaufen, wüssten nicht, ob sie eine Rente bekommen, von der sie leben können, hätten angesichts der Klimakrise womöglich gar keine Lebensgrundlage mehr. Warum also arbeiten bis zum Umfallen?
„Was wir jetzt brauchen, sind Lösungen“, schreibt Weber. Wie muss sie aussehen, die Arbeit der Zukunft?
Stichwort Zeit: Die 40-Stunden-Woche für eine Vollzeitstelle stammt aus einer Zeit, „in der in der Regel die Männer zur Arbeit gegangen sind und Geld verdient haben, während die Frauen ihnen zu Hause den Rücken freihielten“. Heute arbeiten 75 Prozent der Mütter, wenn auch größtenteils in Teilzeit. Das bedeutet, dass oft niemand mehr den ganzen Tag Zeit hat, „sich um Kinderbetreuung, Haushalt, Kochen, Einkaufen und all die andere Sorgearbeit zu kümmern“. Und die 40-Stunden-Woche stammt aus einer Zeit, in der die Technologie weit weniger fortgeschritten war als heute. Folgerichtig stellt Weber die Frage: „Wenn also mehr Leute arbeiten und die Technologie besser geworden ist, warum arbeiten wir dann nicht weniger?“
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Stichwort Raum: Die Vorteile des Homeoffice haben alle in der Pandemie kennengelernt. Um nicht das Gefühl zu haben, ständig erreichbar sein zu müssen, den Rechner permanent nebenher laufen lassen zu müssen, muss diese Form des Arbeitens aber richtig gelernt werden. Wie schaffen Teams eine ordentliche Kommunikation trotz räumlicher Trennung? Welches Format ist das sinnvollste? Wie schaffen Chef und Untergebene untereinander Vertrauen, wie ein Teamgefühl? Wie es schon Airbnb-Chef Brian Chesky sagte: „Die richtige Lösung sollte das Beste der digitalen Welt und das Beste der physischen Welt verbinden.“
So dekliniert Weber Thema um Thema durch und schafft eine Arbeitswelt, wie sie in Zukunft aussehen sollte; sie belegt ihre Thesen mit vielen Beispielen, in denen es gut funktioniert.
Ihr Buch ist ein Plädoyer an Arbeitnehmer, mutig eine „Bewegung anzustoßen für neue, bessere, gerechtere Arbeit für alle“. Und an Politiker, Führungskräfte und Arbeitgeber, ebenso mutig neue Wege auszuprobieren und dies zu ermöglichen.