Wegen Antisemitismusvorwürfen: ARD-Sender zeigen keine Roger-Waters-Konzerte mehr

Den ARD-Sendern gefällt die Haltung von Roger Waters gegenüber Israel nicht.
Berlin. Mehrere ARD-Sender verzichten auf eine Präsentation der Konzerte von Pink-Floyd-Star Roger Waters in Deutschland. Der RBB teilte am Montag mit, damit reagiere der Sender auf die Antisemitismusvorwürfe gegen Waters. Waters' Auftritte am 1. und 2. Juni 2018 in Berlin würden nicht von den RBB-Wellen Antenne Brandenburg und radioBerlin 88,8 präsentiert. Der Sender setze damit auch ein Zeichen gegen die Boykott-Aufrufe des Sängers zu Israel-Auftritten anderer Künstler. „Hier klar Position zu beziehen, ist für den RBB ein wichtiges Signal auch an die jüdischen Gemeinden in Berlin und Brandenburg“, erklärte Intendantin Patricia Schlesinger.
Andere ARD-Anstalten haben ebenfalls auf eine Präsentation von Waters verzichtet. Dazu gehören neben dem WDR und dem NDR auch der SWR und der BR, wie ein ARD-Sprecher auf Anfrage mitteilte. Der WDR hatte als erstes auf die Antisemitismusvorwürfe reagiert.
Waters hat mehrfach zum Boykott Israels aufgerufen und auf Konzerten Ballons in Schweineform aufsteigen lassen, auf denen neben anderen Symbolen wie dem Kruzifix auch der Davidstern zu sehen war. Der 74-jährige Musiker, Mitbegründer der Rockband Pink Floyd, die nicht zuletzt mit ihrem Album „The Wall“ Musikgeschichte geschrieben hat, gilt außerdem als Unterstützer der BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen). Die internationale Bewegung setzt sich für Sanktionen und einen Boykott Israels wegen der Palästinenserpolitik der israelischen Regierung ein.

Die 1965 gegründete Band Pink Floyd machte in jungen Jahren nicht nur mit Rüschenhemden und Seidenschals auf sich aufmerksam, sondern setzte in der experimentellen Untergrundszene neue Konzertmaßstäbe. Schon früh band die Band um den sensiblen Frontmann Syd Barrett (o. r.) bei ihren Gigs auch visuelle Effekte ein. Nach ersten Erfolgen mit dem Debütalbum 1967 verlor sich Barrett im Drogenmissbrauch, wurde immer unberechenbarer und schwankte zunehmend zwischen Genie und Wahnsinn. Doch auch er gehört zum musikalischen Erbe der Kultband.

Im Frühjahr 1968 gab die Band ihren Cheflyriker und Leadgitarristen Barrett auf, David Gilmour (l.) ersetzte ihn. Gemeinsam mit Schlagzeuger Nick Mason, Bassist Roger Waters und Keyboarder Rick Wright spielte Gilmour innerhalb von 15 Jahren elf Alben ein – darunter einige der erfolg- und einflussreichsten der Musikgeschichte.

Zu Beginn der 1970er setzten sich Roger Waters (l.) und David Gilmour als treibende Kräfte der Band durch. Waters war hauptsächlich für Inhalt, Konzeption und Texte verantwortlich, Gilmour für die Musik. Die wohl perfekte Symbiose gelang den Engländern bei der Platte „The Dark Side of the Moon“ (1973), die in den USA 741 Wochen in den Top 200 der Albumcharts verblieb. Auf „Wish you were here“ (1975) verarbeiteten die Musiker den unwürdigen Abgang von Syd Barrett.

So bescheiden und fast verlegen die vier Musiker sich in Interviews zeigten, so bombastisch wussten sie ihre Shows zu inszenieren: Mitte der 1970er Jahre waren Pink Floyd auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenszeit und galten als größte Band der Welt. Für das Cover des Albums „Animals“ wurde an der Londoner Battersea Power Station ein überdimensionales Ballon-Schwein fliegen gelassen (Foto). Die komplex arrangierten Liveshows ließen der Band inmitten visuellen Gimmicks und Effekten nur noch wenig musikalischen Freiraum. Der Frust wuchs – zumal sich Roger Waters zunehmend als Alleinherrscher in der Band durchzusetzen drohte.

Ein besonders persönliches Werk von Roger Waters wurde zum Inbegriff des floydschen Größenwahns: Zum Album „The Wall“ ließ die Band 1980 und 1981 während des Konzerts eine riesige Mauer zwischen Musiker und Publikum errichten. Wegen des großen und teuren Materialaufwands wurde die Show nur in vier Städten aufgeführt. Zwanzig Jahre später ging Roger Waters mit dem „The Wall“-Konzept erneut auf Tournee (Foto). Der berühmteste Song des Albums: „Another Brick In The Wall, Part II“ („Hey teacher, leave us kids alone“)

Der Streit in der Gruppe über Waters’ Starallüren war bereits 1979 eskaliert. Keyboarder Rick Wright wurde aus der Band geschmissen und später als offizieller Sessionmusiker wieder eingestellt. Auch zwischen Gilmour und Waters krachte es gehörig. Waters verließ die Band und erklärte Pink Floyd für tot. Doch Wright, Gilmour und Mason (v.l.) machten weiter und veröffentlichten 1987 ein neues Album: „A Momentary Lapse of Reason“

Der streitbare Waters überzog die drei ehemaligen Kollegen mit Klagen. Schließlich ging es beim Namen Pink Floyd um eine Marke, die viele Millionen wert war. Ohne ihn, so argumentierte Waters, dürfte sich die Band nicht Pink Floyd nennen.

Zum Höhepunkt der Rechtsstreitigkeiten, Ende der 1980er und Anfang der 1990er, war die Band Pink Floyd längst schon eine lebende Legende. Weltweit bekannt und von Millionen geliebt, dienten die Musik, der hohe Anspruch an Soundqualität und CD-Produktion und die Konzertshows als Inspiration für viele Künstler. Auf dem Foto huldigen drei Damen der Gruppe auf besondere Weise: Drei Albumcover von Pink Floyd zieren ihre Rücken.

Die Anfang der 1940er geborenen Musiker wurden älter – und ruhiger. Lagen zu Beginn ihrer Schaffenszeit nur wenige Monate zwischen Neuveröffentlichungen, ließen sich Gilmour, Mason und Wright sieben Jahre Zeit zwischen „A Momentary Lapse of Reason“ (1987) und „The Division Bell“ (1994). Für einige Jahre wurde es ruhig um die Band, und die Liebhaber von Gilmours Markenzeichen, seinen gefühlvollen Gitarrensoli auf der „Black Strat“, mussten auf Konzertfilme zurückgreifen.

Im Kinofilm zu Pink Floyds „The Wall“ spielte Bob Geldof die Hauptrolle, 2005 veranstaltete der Sänger das Charity-Event „Live 8“ – und in London kam es zu diesem Anlass wie aus heiterem Himmel zu einer spektakulären Wiedervereinigung: Erstmals seit fast einem Vierteljahrhundert standen die vier Mitglieder von Pink Floyd, die in den 70er Jahren die größten Erfolge miteinander gefeiert hatten, wieder gemeinsam auf der Bühne. Nach einer Setlist aus vier Liedern verabschiedeten sich David Gilmour, Roger Waters, Nick Mason und Rick Wright (v.l.) von der Welt – es war der letzte gemeinsame Auftritt. Ein Jahr später verstarb der frühere Bandleader Syd Barrett, zwei Jahre später Keyboarder Rick Wright.

Gigantismus auf die alten Tage: Roger Waters’ wichtigstes Werk, „The Wall“ trieb den Mittsechziger ab 2010 noch einmal in die Stadien und Konzerthallen dieser Welt. Mit neuen Effekten und viel mehr Showterminen, aber der gleichen Musik wie bereits 1980 ließ Waters 219 Mal die Mauer zwischen Publikum und Band aufrichten und umstürzen, riesige Karikaturen schweben (r.) und Modellflugzeuge auf die Bühne krachen.

Überraschendes Comeback: Zwanzig Jahre nach dem bis dato letzten Album, „The Division Bell“, kündigten Pink Floyd im Sommer 2014 mit „The Endless River“ eine neue Platte an. Hier geht's zur CD-Rezension.
Das in einigen Großstädten großflächig beworbene Album ist 53 Minuten lang und enthält bis auf einen Song nur Instrumentalmusik. Aufbewahrtes Material von den Aufnahmesessions zu „The Division Bell“ ermöglichen es, den verstorbenen Keyboarder Rick Wright ebenfalls Teil des Albums werden zu lassen.

Von Pink Floyd sind nur noch zwei Musiker übrig geblieben: Gitarrist und Sänger David Gilmour sowie Schlagzeuger Nick Mason. Zwei weitere Bandmitglieder sind mittlerweile verstorben, und Roger Waters will mit den ehemaligen Kollegen und ihrem neuen Album nichts zu tun haben: „Kapiert es endlich“, herrschte der Bassist seine Facebook-Fans kürzlich an: „Ich bin nicht Teil von Pink Floyd, ich habe die Band 1985 verlassen. Das ist 29 Jahre her.“
Konzertveranstalter Marek Lieberberg hat das Verhalten der ARD-Sender in einem Interview mit dem „Mannheimer Morgen“ (Dienstag-Ausgabe) als „absolut lächerlich“ bezeichnet. Waters habe zwar eine bedenkliche private Meinung zu Israel. Er sei offen Mitglied einer Boykottbewegung, die Lieberberg ablehne. „Aber ich kann und will ihm sein Recht auf Meinungsfreiheit nicht bestreiten“, so der Musikmanager, der selbst ein Kind von Holocaust-Überlebenden ist.
„Wenn die Öffentlich-Rechtlichen einen Beitrag leisten möchten, fände ich es beispielhaft, wenn vor allen Beiträgen über Luther oder Wagner-Aufführungen auf die teilweise blutrünstigen antisemitischen Theorien dieser Herrn hingewiesen würde. Da gäbe es wirklich Nachholbedarf.“ Demgegenüber sei das künstlerische Werk von Roger Waters weder antisemitisch oder anti-jüdisch, sagte Lieberberg, der Chef von Roger Waters' Tourveranstalter Live Nation ist. „Der Kanon von Roger Waters und Pink Floyd ist und bleibt genial.“





