Geldpolitik EZB-Präsidentin Lagarde lässt die Geldschleusen offen
Frankfurt Das Gedränge der Fotografen ist groß bei der ersten Pressekonferenz von Christine Lagarde als Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB). „Passen Sie auf, dass Sie sich nicht verletzen“, sagt sie.
Damit macht die Französin gleich zu Beginn deutlich: Es wird künftig etwas mehr menscheln als unter ihrem Vorgänger Mario Draghi. Er war mehr durch eine stoische, nur ab und zu von trockenem Humor unterbrochene Ruhe aufgefallen.
Zunächst liest sie allerdings ein Eingangsstatement vor, das annähernd identisch ist mit jenem, das Draghi im November bei seiner letzten Pressekonferenz vortrug. Die Botschaft der EZB hat sich durch den Wechsel an der Spitze nicht verändert: Es gibt Hoffnungsschimmer, aber die Inflation ist noch so schwach, dass es einer „breiten geldpolitischen Unterstützung“ bedarf.
Dann aber hält sie kurz inne. Sie wolle zunächst ein paar Worte sagen, bevor sie die Fragen der Journalisten beantworte. „Ich werde meinen eigenen Stil haben“, betont sie. Man solle sie nicht mit Draghi vergleichen. Sie bittet die Finanzexperten, nicht jedes ihrer Worte überzuinterpretieren und daraus Signale für künftige Entscheidungen abzulesen.
Dass sich unter ihrer Führung einiges ändern wird, macht Lagarde danach deutlich. Sie kündigt eine Überprüfung der Strategie der EZB an und verspricht: „Wir werden jeden Stein umdrehen.“
So soll etwa untersucht werden, ob Wohnkosten künftig stärker bei der Inflationsmessung berücksichtigt werden sollten. Weil Hauspreise und Mieten steigen, spielt dieser Punkt in der Öffentlichkeit eine große Rolle. Lagarde sagt: „Haushalte haben ihre eigene Wahrnehmung von Inflation.“
Bei Experten trifft das auf Zustimmung. Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands, sagt: „Dass sie bereits bei ihrem Amtsantritt eine grundlegende Überprüfung der bisherigen Geldpolitik angekündigt hat, ist ein gutes Zeichen.“ Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe hält es für nicht überraschend, dass Lagarde zum Einstand den geldpolitischen Kurs der EZB bestätigt habe. Er geht aber davon aus, dass sie die Geldpolitik 2020 weiter lockern muss.
„Weder Taube noch Falke“
Geldpolitisch ließ der EZB-Rat wie erwartet alles beim Alten. Der derzeit entscheidende Einlagenzins bleibt bei minus 0,5 Prozent. Seit Anfang November kauft die Notenbank außerdem wieder zusätzliche Anleihen in Höhe von monatlich 20 Milliarden Euro. Zuvor hatte sie lediglich auslaufende Papiere aus ihrem Bestand ersetzt.
Nach wie vor geht die Notenbank davon aus, dass die Risiken für das Wachstum im Euro-Raum tendenziell zunehmen. Allerdings gebe es erste Anzeichen für eine Stabilisierung des Wachstums, sagte Lagarde.
Nach den neuen Prognosen erwartet die EZB, dass das Wachstum im gemeinsamen Währungsraum im kommenden Jahr bei 1,1 Prozent liegt und dann auf jeweils 1,4 Prozent in den Jahren 2021 und 2022 ansteigt. Bei der Inflation erwartet sie für 2020 einen Wert von 1,1 Prozent und danach einen Anstieg auf 1,4 Prozent im Jahr 2021 und 1,6 Prozent für 2022.
Lagarde gibt sich sichtlich Mühe, anders als ihr Vorgänger zu wirken, sich zugleich aber nicht festzulegen. Sie verspricht: „Wenn ich etwas nicht weiß, dann sage ich, dass ich es nicht weiß.“ Sie spricht viele Themen an, mit denen sich die EZB beschäftigen muss – von den technologischen Herausforderungen über den Klimawandel bis zur nach ihrer Meinung wachsenden sozialen Ungleichheit.
Am Herzen liegt ihr offenbar der Klimaschutz: Sie lobt EU-Präsidentin Ursula von der Leyen dafür, dass diese ihn in den Mittelpunkt ihrer Präsidentschaft stellt. Sie bedauert auch, dass bei der Taxonomie, der einheitlichen Definition von Nachhaltigkeit, die Diskussion noch keine Einigkeit erbracht hat – ein Thema, das mit Geldpolitik zunächst einmal gar nichts zu tun hat. Auf der anderen Seite gibt sie keinen konkreten Hinweis, auf welche Weise und wie sehr die EZB klimapolitische Ziele unterstützen könnte.
Möglichkeiten böte etwa das Anleihekaufprogramm. Doch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat sich bereits dafür ausgesprochen, dass die EZB dabei am Grundsatz der Marktneutralität festhält.
Das würde bedeuten, dass sie weiterhin die Anleihen entsprechend ihrem Gewicht in den jeweiligen Indizes kauft, also zum Beispiel auch von Ölkonzernen oder Betreibern von Kohlekraftwerken. „Eine Geldpolitik, die explizit umweltpolitische Ziele verfolgt, läuft Gefahr, sich zu übernehmen“, sagte Weidmann jüngst. Lagarde hält sich ihre Position noch offen.

Seit Anfang November wird die Notenbank von Christine Lagarde geführt.
Auch geldpolitisch legt sie sich bewusst nicht fest. „Ich bin weder eine Taube noch ein Falke“, sagt sie – also keine Anhängerin einer explizit weichen oder harten Geldpolitik. Immer wieder betont sie, dass sie alle „am Tisch“ – im EZB-Rat – mitnehmen will. Auf die Frage, ob sie eher niedrige Zinsen oder Anleihekäufe als Instrument bevorzugt, betont sie, alle Instrumente zusammen bildeten ein Paket.
Sehr genau erklärt sie dann, welche Maßnahme sich wie auf welchen Teil der „Zinskurve“ auswirke. Damit macht die Juristin deutlich, dass sie durchaus bei dem unter Geldpolitikern üblichen Ökonomen-Sprech mithalten kann. Sie kündigt an, dass sie vor unterschiedlichem Publikum in jeweils etwas anderer Sprache Geldpolitik erklären will – und bittet, auch daraus keine falschen Schlüsse zu ziehen.
Weidmann steht aus ordnungspolitischen Gründen vor allem Anleihekäufen kritisch gegenüber, Ignazio Visco, der Chef der italienischen Notenbank, hält dagegen Minuszinsen für ein auf Dauer nicht empfehlenswertes Konzept. Lagarde wiederholt mit ihrem Standpunkt, dass beides zusammenwirken solle, die Auffassung von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane.
Er hatte im Wesentlichen das „Paket“ konzipiert, das die EZB in einer spannungsreichen Sitzung im September beschlossen hatte. Es enthält eine Zinssenkung plus neue Anleihezukäufe.
Zu ihrem vorsichtigen Vorgehen gehört auch, nichts auszuschließen. Das gilt selbst für Aktienkäufe durch die Notenbank oder sogenanntes Helikoptergeld, also direkte Überweisungen der Notenbank an die Bürger. „Damit muss sich der EZB-Rat beschäftigen“, sagt sie.
Einen ersten Fan hat die neue Chefin bereits gefunden: Robert Holzmann, den Chef der österreichischen Notenbank. Nach einem Treffen des EZB-Rats in lockerer Atmosphäre sagte er der „Kronen-Zeitung“: „Frau Lagarde, die selbst weder raucht noch trinkt, hat in einer Hütte im Park französischen Käse und Wein servieren lassen, wir durften sogar Zigarre rauchen.“
Dabei hatte Holzmann zuvor die seiner Meinung nach zu weiche Politik der EZB deutlich kritisiert. Am Ende ihrer ersten Pressekonferenz wird Lagarde gefragt, wo sie mögliche Grenzen für Anleihekäufe sehe – ein eher technisches Thema. Sie antwortet auf einmal ganz im kurzen Stil Draghis: „Darüber haben wir nicht gesprochen.“
Mehr: Die Währungshüter der EZB haben erstmals unter der Leitung ihrer neuen Präsidentin getagt. Die Pressekonferenz mit Christine Lagarde zum Nachlesen.
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