Der Chefökonom: Ohne wachstumspolitische Offensive wird die Rezession Deutschlands Wohlstand auf Dauer mindern

Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal so stark eingebrochen wie noch nie.
Düsseldorf. Im Frühjahr diskutierten die Konjunkturexperten darüber, wie lange es nach dem Corona-Lockdown dauert, bis die deutsche Wirtschaft wieder ihr Vorkrisenniveau erreichen werde. Zunächst wurde durchweg ein V-förmiger Verlauf erwartet: Dem drastischen Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Leistung im ersten Halbjahr werde eine dynamische Erholung folgen, sodass bereits im Laufe des Jahres 2021 die massive Rezession überwunden sei.
Zwischenzeitlich sind viele Prognostiker skeptischer geworden. Die Mehrheit geht heute davon aus, dass das Vorkrisenniveau nicht vor der zweiten Hälfte des Jahres 2022 wieder erreicht werde. Angesichts des desaströsen zweiten Quartals ändern daran die zuletzt steigenden Erwartungen von Unternehmen und Konsumenten nichts Grundlegendes. Die verbesserte Stimmung in der Wirtschaft ähnelt eher der Erleichterung, die ein Delinquent im Mittelalter empfand, wenn der Folterknecht mit dem Anziehen der Daumenschrauben aufhörte.

Prof. Bert Rürup ist Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI) und Chefökonom des Handelsblatts. Er war viele Jahre Mitglied und Vorsitzender des Sachverständigenrats sowie Berater mehrerer Bundesregierungen und ausländischer Regierungen. Mehr zu seiner Arbeit und seinem Team unter research.handelsblatt.com.
Wenn nun aber die Wirtschaft erst in anderthalb Jahren wieder so viel produziert wie zu Beginn dieses Jahres, dann fehlt der Wertschöpfungszuwachs von zwei Jahren. Es bleibt ein beachtlicher Wohlstandsverlust – eine Tatsache, die oft verdrängt wird. Um diesen Verlust aufzuholen und damit die Coronakrise auf Dauer gesamtwirtschaftlich ungeschehen zu machen, müsste die Volkswirtschaft in den Jahren danach kräftiger wachsen, als sie dies in Vor-Corona-Zeiten tat. Technisch ausgedrückt: Das Potenzialwachstum müsste steigen.





