Gastkommentar – Expertenrat: Was Manager tun können, um das 60-plus-Syndrom auszutricksen

Im Alter sollten Führungskräfte versuchen, außerberuflichen Aktivitäten mehr Bedeutung beizumessen – und Hobbys entwickeln.
In meinem vorhergehenden Beitrag berichtete ich über die derzeit stark zunehmenden Ängste von Führungskräften und Unternehmern, die 60 Jahre und älter sind. Durch die Pandemie verstärkt fürchten sie, zum alten Eisen gehörend bald aufs Abstellgleis geschoben zu werden.
Die niedrige Quote von lediglich 13,5 Prozent an Dax-Vorständen der Generation 60+ belegt, dass es sich bei ihren Ängsten nicht um Paranoia der älteren Führungsgeneration handelt.
Die Frage, die sich aufdrängt, lautet nun: Was kann man gegen einen Leistungsabfall ab 60 tun, und wie lässt sich der nächste Lebensabschnitt frühzeitig planen?
Die medizinische Wissenschaft sagt uns, dass es ab einem gewissen Alter Veränderungen von Leistungs- und hirnphysiologischen Parametern gibt. Wort- und Namensfindung, Konzentration und Merkfähigkeit sind leicht reduziert, das Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigt, die Auffassungsgabe gemindert, das Denkvermögen verlangsamt.
Gleichzeitig ist die Kritikfähigkeit regelhaft vermindert, die Frustrationstoleranz erniedrigt. Gerade unter emotionalem Druck kann die zwischenmenschliche Interaktion gestört sein mit der Folge inadäquaten Sozialverhaltens. Forschungsergebnisse bei Schachspielern der Universität von Padua weisen bei Profis um die 60 Jahre eine nachlassende Reaktionsgeschwindigkeit und eine „löchrigere“ Gedächtnisleistung nach. Gegenüber Spielern Anfang 40 ist der Leistungsabfall größer als zehn Prozent.
Droht älteren Managern ein berufliches Schachmatt?
Sind diese Daten übertragbar im Sinne eines beruflichen Schachmatt von Topmanagern 60+? Nur zum Teil: Es gibt auch gegenläufige Befunde. Auch mit über 60 ist das menschliche Gehirn noch in der Lage, mit Wachstum auf das Erlernen neuer Herausforderungen zu reagieren, die sogenannte Neuroplastizität. Diese dauert allerdings länger als bei jüngeren Menschen.
Mein Rat: Heute kümmert sich fast jede Führungspersönlichkeit der Wirtschaft um ihren Körper. Es wird Sport gemacht und nach Plan genau das Richtige gegessen. Kaum einer trainiert jedoch sein Gehirn systematisch.
Genauso wie für alle vitalen Parameter ein Check-up gemacht wird, sollten auch die Gehirnleistungen wie Konzentrations- und Merkfähigkeit gemessen werden. Am besten, man fängt schon in den 50ern an, dann erfährt man, ob man mit zunehmendem Alter tatsächlich nachlässt oder nicht.
Viele Personen in gehobenen Positionen mit hohem Bildungsstand, Spitzeneinkommen und Status fühlen sich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch und geistig-mental fit. Gut für das Selbstwertgefühl, wenn sie es auch schwarz auf weiß belegen können.
Welche weiteren Handlungsempfehlungen gibt es für die Generation ab 60? Ganz wichtig: Gefährden Sie nie Ihre Gesundheit. Jüngere Führungskräfte gehen gern auch einmal über das persönliche Limit. Das geht meistens gut. Ab einem gewissen Alter können die Folgen jedoch dramatisch sein. Tinnitus, Herzrhythmusstörungen und andere stressbedingte Krankheiten verschwinden nicht mehr so einfach wie in jüngeren Jahren.
Hören Sie auf Ihre innere Stimme und Feedback von Familie, Freunden und Experten. Legen Sie bewusst Pausen ein.
Wie Manager Resilienz aufbauen können
Sie können aktiv den Aufbau von Resilienz fördern. Es gibt dazu Unmengen von Tipps. Lesen Sie sich ein und finden Sie die Verhaltensregeln heraus, die Ihnen zu einer Stärkung Ihres körperlichen, geistigen, sozialen und emotionalen Kapitals verhelfen.
Beginnen Sie zudem frühzeitig mit der Planung des nächsten Lebensabschnitts. Spätestens nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben brauchen Führungskräfte eine intakte Familie, Freunde, Hobbys und sinnstiftende Lebensinhalte. Das muss vorbereitet sein.
Eine Metaanalyse aus insgesamt 148 Studien belegt, dass gute soziale Beziehungen für ein gesundes und langes Leben am wichtigsten sind. Sie stehen mit Abstand an erster Stelle. Viele ältere Topmanager haben hingegen ihr privates Glück regelhaft aufs Spiel gesetzt, sind allein, getrennt, geschieden.
Zur Vorbereitung des neuen Lebensabschnitts gehört es, sich künftige Prioritäten zu setzen, alte Gewohnheiten kritisch zu hinterfragen, Rituale und Alltagsrhythmen neu zu justieren, neue Dinge wie das Spielen eines Musikinstruments, das Erlenen einer neuen Sportart und anderes auszuprobieren.
Kreativität ist gefragt, auch müssen Verhaltensweisen wie Empathie, Menschlichkeit, Kooperation und Vertrauen wieder trainiert werden, die möglicherweise im „Haifischbecken Unternehmen“ verloren gegangen sind. Viele Führungskräfte haben bei zeitlich hoher Taktung und der immensen Verdichtung der Arbeitsaufgaben bis Anfang 60 schlicht verlernt, in eine gesunde und stabile Psyche und soziale Kontakte zu investieren.
Neue Aufgabe suchen kann helfen
Last, but not least: Ehemalige Topleute brauchen eine Aufgabe. Wer für Karrieren im Alter als Aufsichtsrat, Business-Angel, Berater oder Stifter vielleicht nicht ganz infrage kommt, sollte es eine Nummer kleiner machen.
Um nicht von 100 auf null gebremst zu werden, kann man in gemeinnützigen Organisationen sinnstiftend mitwirken. Soziales Engagement ist auch in Vereinen und Kirchen auslebbar oder im Rahmen einer universitären Lehrtätigkeit.
In jedem Fall: Gehen Sie, wenn es am schönsten ist, bevor Sie gegangen werden!

Mehr: Das 60-plus-Syndrom: Was ältere Manager in die Sinnkrise stürzt










