Gastkommentar – Expertenrat: Euphorie und weniger Fett: Was ist dran am neuen Hype Eisbaden?

Wer sich ins kalte Nass wagt, erfährt häufig ein Stimmungshoch.
Auch wenn wir uns dem Frühjahr entgegen bewegen, möchte ich heute einen Trend dieses Winters aufgreifen: Eisbaden. David Beckham, Lady Gaga und viele andere Prominente praktizieren es inzwischen. Und auch unter Managerinnen und Managern hat das Schwimmen in kaltem Wasser einen überraschenden Hype erlebt.
Bislang kannten wir das Phänomen vornehmlich von Bildern, auf denen Skandinavier, Kanadier oder Russen vor dem schmerzhaften Sprung ins eiskalte Wasser nicht zurückschreckten. Kann das auch für uns Mitteleuropäer gesund sein?
Gewisse Erfahrungen mit eiskaltem Wasser haben auch wir. Unter Sportlern gehört seit einigen Jahren die „Eistonne“ zur Regeneration nach dem Wettkampf zum Repertoire. Physiotherapeuten gerade im Fußball setzen sie gern kurz nach dem Schlusspfiff ein. Subjektiv berichten viele Sportler nach dieser Schocktherapie, dass sie sich nach einem Spiel schneller wieder fit und weniger müde fühlen.
Beim aktuellen Trend des regelmäßigen Eisbadens ganz normaler Menschen geht es jedoch nicht um die Regeration nach körperlicher Anstrengung. Begründer ist der Niederländer Wim Hof aus Nijmegen, den die Szene nur „Iceman“ nennt.
Die Protagonisten beteuern: Schwimmen im kalten Wasser ist gut für Leib und Seele. Dabei ist der winterliche Sprung in den nahen Bach Teil eines breiteren Gesundheitskonzepts mit Atmung, Konzentration und viel Disziplin.
Euphorisierende Wirkung garantiert
Fakt ist: Wer es in eiskaltem Wasser ein bis zwei Minuten aushält, kann sich einer euphorisierenden Wirkung sicher sein. Dies hängt mit dem Anstieg der Serotonin- und Dopaminspiegel zusammen.
Bekannt ist, dass Dopamin die Konzentrationsfähigkeit fördert. Neuere Studien belegen, dass „Eisbader“ sich über mehrere Stunden frisch und erholt fühlen. Probanden berichten über besagten Konzentrationseffekt und auch über eine Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit.
Im kalten Wasser erhöht sich zunächst die Adrenalin-Ausschüttung massiv. In der Folge kommt es aber zu einem Überwiegen des parasympathischen Nervensystems. Die Herzfrequenz wird langsamer, und der Blutdruck sinkt wieder ab. Ähnliches vollzieht sich im Körper auch bei einem kurzen schnellen Lauf.
Wer diesen Winter vor dem Gang ins Büro oder dem Start im Homeoffice in kaltem Wasser geschwommen ist und sich die folgenden Stunden frisch und leistungsfähig gefühlt hat, hat sich das also nicht nur eingebildet.
Mit Kälte zu weniger Gewicht
Seit längerer Zeit schon werden Patienten mit rheumatischen Krankheiten wie beispielsweise Arthritis einer Kältetherapie unterzogen. Das Schmerzempfinden wird dadurch teilweise blockiert.
Ähnliche Erfahrungen wurden mit degenerativen Gelenkveränderungen wie Arthrose gemacht. Und auch Hexenschuss und Rückenschmerzen allgemein können gut auf eine Kältebehandlung ansprechen.
Tierversuche sowie Untersuchungen am Menschen haben überdies gezeigt, dass Kälte das sogenannte „braune Fett“ im Körper aktivieren kann. Durch die Oxidation von braunem Fett produziert unser Körper Wärme. Wenn unser braunes Fett in der Masse abnimmt, nehmen wir auch deutlich an Gewicht ab.
Erhöht Kältebaden die Immunabwehr?
Ein zentrales Argument für das kalte Bad im Winter hat mit unserem Immunsystem zu tun. Wim Hof und Forscher an der niederländischen Universität Redwood in Nijmegen haben versucht, Zusammenhänge aufzuzeigen.
Denn viele Anhänger dieser Kältetherapie haben die Erfahrung gemacht, dass sie keine Infekte mehr bekommen haben. Unisono berichten sie, ohne Grippe und Erkältung durch den Winter zu kommen! Die Eisschwimmer sind davon überzeugt, dass sie diese Aktivität „abhärtet“.
Immunologen stehen dieser These jedoch skeptisch gegenüber. Sie glauben nicht, dass ein gesundes, gut funktionierendes Immunsystem durch Eisbaden noch weiter stabilisiert werden kann.
Diese Wissenschaftler gehen davon aus, dass Menschen, die sich gern solchen extremen Bedingungen aussetzen, grundsätzlich einen gesünderen Lebensstil pflegen. Sie bewegen sich mehr, sind aktiver, öfter an der frischen Luft und deshalb grundsätzlich gesünder und weniger häufig an Infekten erkrankt.
Regeneration nach Sportverletzungen
Weniger umstritten ist, dass das Eintauchen in kaltes Wasser ein probates Mittel in der Rehabilitation nach Sportverletzungen ist. Die Kälte fördert die reaktive Mehrdurchblutung der Muskulatur und beschleunigt dadurch die Regenerationsvorgänge.
Dadurch werden angefallene Stoffwechselendprodukte und Entzündungsreaktionen deutlich gehemmt, ähnlich wie bei lokalen Kälteanwendungen bei Verstauchungen oder generell bei Verletzungen nicht nur im Sport.
Was ist zu beachten?
Wer körperlich gesund ist, kann jederzeit bei entsprechender Eingewöhnung im kalten Wasser schwimmen und baden. Für Personen mit hohem Blutdruck bedeutet Eisbaden hingegen ein Risiko, sie müssen medikamentös gut eingestellt sein, wenn sie ins Eisbad gehen. Insgesamt raten Ärzte zur Vorsicht bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Kalt baden sollte man am besten in einer Gruppe oder mindestens zu zweit. Es besteht zumindest theoretisch die Gefahr, dass es zu einem Kälteschock kommt. Generell sollte das eisige Bad nicht länger als fünf Minuten dauern. Während des Bades sollte man eine Badekappe oder eine Mütze aufsetzen und mit dem Kopf nicht untertauchen. Anschließend viel Bewegung und warme Kleidung sind obligatorisch.
Vor dem ersten Eisbad können Willige mit kaltem Duschen zu Hause „trainieren“. Ideal wäre es, mit dem Kältetraining schon im Sommer zu beginnen und so oft wie möglich ins Wasser zu gehen.
Wenn es Herbst und langsam kälter wird, sollte man weiterhin im Freien Schwimmen und sich so an die kälteren Temperaturen gewöhnen.
Für Kurzentschlossene und Gesunde sind natürlich auch die Monate März und April nicht zu spät, um den Einstieg ins Eisbaden zu wagen.
Das Wasser in der Natur wird noch länger kalt genug bleiben, um zu testen, ob dieser neue Trend etwas für Sie ist.

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