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EnergieDeutschland muss sein Atomgesetz ändern

Schweden hat einen ausgewogenen Strommix aus allen fossilfreien Stromquellen, einschließlich der Kernkraft. Ein Vorbild für Deutschland? Ein Gastkommentar von Staffan Reveman. 25.11.2024 - 16:58 Uhr Artikel anhören
Staffan Reveman ist schwedischer Energieexperte und Publizist. Foto: imago, privat

In Schweden sind wir allgemein der Meinung, dass die deutsche Energiepolitik völlig fehlgeleitet, ideologisch, egoistisch und rücksichtslos ist. Ich bin entsetzt, wie sich Europas größte Industrienation in eine energiepolitische Sackgasse manövriert hat, die das Land sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch schwächt und die Erreichung der Klimaziele des Pariser Abkommens konterkariert.

Der Bedarf an fossilfreiem Strom wird sich zukünftig noch sehr viel weiter erhöhen

Die Krise, in der sich Deutschland befindet, gibt in Schweden Anlass zur Sorge. Die energiepolitischen Entscheidungen wurden von den Deutschen mit einem breiten politischen Konsens getroffen. Da fast alle führenden Politiker mitverantwortlich sind, besteht kein Interesse an Selbstkritik. Sogar Industrie- und Gewerkschaftsvertreter haben den Ausstieg aus der Kernenergie in einer Atmosphäre des „grünen Konsenses“ opportunistisch durchgewunken.

» Lesen Sie auch: CDU und CSU bereiten die Rückkehr der Kernkraft vor – „Der Rückbau hat noch nicht begonnen“

In Deutschland, wie auch in Schweden, ist ein Wandel im Gange, der den Bedarf an fossilfreiem Strom erhöhen wird. 2030 wird der Bruttostrombedarf mindestens 50 Prozent höher sein als heute. Dies ist mehr als frühere Prognosen und wirft die Frage auf, woher der Strom kommen soll.

Schweden wird doppelt so viel Strom benötigen wie heute, weil Schweden stromintensiver ist als Deutschland. Deutschland hat achtmal mehr Einwohner, verbraucht aber nur dreimal so viel Strom. Der Unterschied beruht auf dem in Deutschland traditionell hohen Verbrauch von fossilem Erdgas und Kohle.

Auch wenn die Wind- und Solarenergie weiter ausgebaut wird, bleibt das Problem, dass diese Stromquellen wetterabhängig sind. Mehr als 2,6 Millionen Photovoltaikanlagen und gut 30.000 Windkraftanlagen wurden bisher installiert. Zu oft liefern sie fast nichts.

Der Ausstieg aus der fossilfreien Kernenergie hat für die Emissionen Folgen: In den ersten drei Quartalen 2024 stießen die deutschen Kohle- und Gaskraftwerke über 100 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus. Die Tatsache, dass die Emissionen in der Vergangenheit noch höher waren, ist keine Entschuldigung.

Der Ausstieg aus der Kernenergie kostete bisher unnötig eine Milliarde Tonnen CO2-Emissionen

Wäre die Kernenergie beibehalten worden, könnte Deutschland heute eine nahezu fossilfreie, wetterunabhängige und wirtschaftliche Stromerzeugung haben. Die letzten sechs perfekt funktionierenden Kernreaktoren, die Deutschland unter der jetzigen Regierungskoalition abgeschaltet hat, produzierten jährlich fast doppelt so viel Strom wie ganz Dänemark verbraucht.

Dass Deutschland mit dem Ausstieg aus der Kernenergie rund eine Milliarde Tonnen CO2-Emissionen unnötig in die gemeinsame Atmosphäre aller Länder geblasen hat, wird billigend in Kauf genommen. Der großflächige Ausbau von Wind- und Sonnenenergie wird immer wieder als Entschuldigung für dieses Verhalten angeführt.

Es gibt kein Verständnis und keine Entschuldigung dafür, perfekt funktionierende Kernkraftwerke abzuschalten, wie es Deutschland getan hat, um weiterhin Kohle zu verbrennen.
Staffan Reveman

Schweden betreibt sechs Reaktoren und will weitere bauen. Es wird konsequent an der Dekarbonisierung der Volkswirtschaft mit einem vernünftigen und ausgewogenen Strommix gearbeitet, der aus allen fossilfreien Stromquellen, einschließlich der Kernkraft, besteht. Das schwedische Umweltgericht hat die Endlagerung von Brennstäben genehmigt. Die Verbrennung von Kohle zur Stromerzeugung ist in Schweden verpönt und gilt als rücksichtslos. Es gibt kein Verständnis und keine Entschuldigung dafür, perfekt funktionierende Kernkraftwerke abzuschalten, wie es Deutschland getan hat, um weiterhin Kohle zu verbrennen.

„Wir haben kein Stromproblem – wir haben ein Gasproblem“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck 2022, als er die Abschaltung der letzten drei Reaktoren beschloss. Jetzt sagt derselbe Minister zusammen mit der Bundesnetzagentur, dass die Industrie ihre Produktion und ihren Stromverbrauch möglichst an die Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom anpassen soll.

Seit April 2023 ist Deutschland zu einem Nettoimporteur von Strom geworden. Fast die Hälfte der Importe kommen aus Frankreich. Eine neue Verbindungsleitung nach Schweden wird gewünscht, aber von Schweden abgelehnt, da die hohe Nachfrage aus Deutschland die Strompreise in Südschweden unnötig in die Höhe treibt.

Deutschland muss aufwachen und sein Atomgesetz ändern.
Staffan Reveman

Nun ist der Plan, dass Indien grünen Wasserstoff nach Deutschland liefern soll, der mit erneuerbarem Strom produziert wird. Da die indische Stromproduktion zu 70 Prozent durch Kohleverstromung erfolgt, dürfte das Projekt der deutschen Stahlindustrie nicht helfen. Sicherheitshalber sagte der deutsche Wirtschaftsminister kürzlich, man solle mit Wasserstoff für die Stahlindustrie „nicht so pingelig sein“, vorerst könne man stattdessen auch fossiles Erdgas verwenden. Er hat die Stahlindustrie mit sieben Milliarden subventioniert, um Hochöfen durch Lichtbogenöfen zu ersetzen, diese mit wetterunabhängigem erneuerbarem Strom, den es nicht gibt, zu betreiben und grünen Wasserstoff, den es nicht gibt, zur Direktreduktion einzusetzen.

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Seit den 1970er-Jahren bin ich froh, in Deutschland zu leben, einem beeindruckenden Land, das jetzt in einer tiefen Krise steckt, vornehmlich durch eine verfehlte Energiepolitik verursacht. Deutschland muss aufwachen und sein Atomgesetz ändern.

Der Autor:
Staffan Reveman ist schwedischer Energieexperte und Publizist.

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