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GastkommentarIm KI-Zeitalter ist das wertvollste Kapital der Mensch

Für Innovationen braucht es die klügsten Köpfe. Die EU sollte daher von ihrer eher projektbasierten Forschung abrücken, fordern Nuria Oliver, Bernhard Schölkopf und Yann LeCun. 10.02.2025 - 11:55 Uhr Artikel anhören
Die Autorin und die Autoren: Nuria Oliver, Bernhard Schölkopf und Yann LeCun gehören zu den führenden Forschenden im Bereich Künstliche Intelligenz. Foto: GETTY IMAGES / Privat

Künstliche Intelligenz ist keine Science-Fiction mehr – sie verändert unsere Welt bereits grundlegend. Europäische Politikerinnen und Politiker haben in den letzten Jahren oft beklagt, dass der Kontinent den „Anschluss an die KI-Entwicklung verpasst“ habe. Nun hoffen sie, dass Europa zumindest bei der nächsten Welle technologischer Veränderungen – sei es Blockchain, Quantencomputing oder ein anderes aufstrebendes Feld – nicht erneut ins Hintertreffen gerät. Doch KI hat sich in rasantem Tempo weiterentwickelt, und es ist wahrscheinlich, dass wir erst den Anfang dieser Entwicklung sehen. Sie ist gekommen, um zu bleiben, und ihre Auswirkungen sind tiefgreifend.

Die Debatte dreht sich längst nicht mehr darum, ob KI die Welt verändern wird, sondern sie nimmt in den Blick, wie wir uns darauf vorbereiten sollten. Während die ersten beiden industriellen Revolutionen die Verarbeitung von Energie mechanisierten, mechanisiert die aktuelle Transformation die Informationsverarbeitung – ein Bereich, der viel näher an dem liegt, was uns Menschen ausmacht. Anders als Dampfmaschinen oder Fließbänder, die mit menschlicher Muskelkraft und manuellen Fähigkeiten konkurrierten, konkurriert KI mit einer der wesentlichen Eigenschaften des Menschen: der Intelligenz.

Auch die wissenschaftliche Gemeinschaft ringt mit diesen Veränderungen. Alle bedeutenden KI-Zentren weltweit haben in ihrem Kern herausragende akademische Institutionen. Der Weg von der Forschung zur praktischen Anwendung ist in diesem Bereich oft kürzer als in den meisten Wissenschaftsfeldern. Sollte man daher KI-Grundlagenforschung finanzieren und auf das Entstehen von Innovationsökosystemen hoffen? Oder sollten wir uns eher auf den Transfer bereits existierender Technologien konzentrieren und die Bedürfnisse bestehender Industrien priorisieren?

Technologie

„AI Action Summit“ – Macron will Europa bei KI wachrütteln

Für Wissenschaftler in experimentellen Disziplinen wie Physik, Chemie und Biologie verändert KI fundamental, wie Erkenntnisse gewonnen werden. Für Galileo Galilei ist das „Buch der Natur“ in der Sprache der Mathematik geschrieben. Solange die untersuchten Phänomene einfach genug waren, konnten Menschen sie in mathematischen Modellen beschreiben. Heute können KI-gestützte Systeme viel komplexere Vorhersagemodelle aus riesigen Datenmengen ableiten – und bilden damit das Fundament eines neuen wissenschaftlichen Paradigmas für eine komplexe Welt.

Der Einfluss von KI geht weit über Wirtschaft und Forschung hinaus. KI prägt, wie politische Meinungen entstehen, wie Rechtssysteme Gesetze auslegen und anwenden und wie Nationen in der Geopolitik konkurrieren – von der Wirtschaft bis hin zur Kriegsführung. Kein Bereich der Gesellschaft bleibt unberührt – selbst die Kunst verändert sich, da KI-generierte Inhalte die traditionelle Vorstellung menschlichen Ausdrucks herausfordern und manchmal verfremden.

Daher gibt es viele unterschiedliche Meinungen darüber, welcher Weg der beste ist. Sollten wir auf Innovation und Zusammenarbeit durch offene Forschung und Open Source setzen? Oder sollten Sicherheit und Regulierung Vorrang haben?

KI-Modelle

Deepseek und Stargate: Wo Europa Chancen im KI-Wettrennen hat

Selbst innerhalb der Wissenschaft gibt es nur in einem Punkt Einigkeit – dass große Investitionen in Rechenkapazitäten nötig sind. Während einige KI-Forscher eine Institution für Grundlagenforschung nach dem Vorbild der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern) oder dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) fordern, plädieren Wissenschaftler aus Fachdisziplinen für eine groß angelegte Initiative, die sich auf die Anwendung von KI in den Naturwissenschaften konzentriert. Auf den ersten Blick scheint dies ein unlösbarer gordischer Knoten zu sein – doch eine unerwartete Entwicklung in China könnte einen alternativen Weg aufzeigen.

Das KI-Modell Deepseek, das von einem kleinen, zuvor wenig bekannten Team entwickelt wurde, hat sich schnell zum ernst zu nehmenden Konkurrenten für die modernsten Sprachmodelle entwickelt – und das zu einem Bruchteil der Kosten. Anders als proprietäre Modelle wie ChatGPT wurde Deepseek als Open-Source-Software veröffentlicht und steht Forschern und Unternehmen weltweit zur Verfügung.

Hinter Deepseek stehen vor allem Absolventen der besten Universitäten Chinas und ein privater Investor, der Talent über alles stellte. Dieser Erfolg erinnert uns an eine entscheidende Wahrheit: Auch in der KI entstehen technologische Innovationen durch Menschen, nicht durch Rechenzentren oder Supercomputer.

Der Schlüssel zu bahnbrechenden Innovationen darin besteht, die klügsten Köpfe zu identifizieren und anzuziehen.
Nuria Oliver, Bernhard Schölkopf und Yann LeCun

Die erfolgreichsten wissenschaftlichen Organisationen und Programme Europas wie die Max-Planck-Gesellschaft und der Europäische Forschungsrat (ERC) glauben, dass der Schlüssel zu bahnbrechenden Innovationen darin besteht, die klügsten Köpfe zu identifizieren und anzuziehen. Entscheidend sind langfristige finanzielle Unterstützung für ihre Forschung und größtmögliche wissenschaftliche Freiheit. Dieses Prinzip hat nicht nur das US-amerikanische Wissenschaftssystem geprägt, sondern auch führende industrielle Forschungslabore.

Doch in der EU droht dieses Prinzip durch eine Tendenz zur projektbasierten statt personenzentrierten Forschung in den Hintergrund zu geraten. Politikerinnen und Politikern gibt das die Illusion, sie würden die Innovationen direkt steuern. Dabei sind Investitionen in Talent und Wissen langfristig weit wirkungsvoller, auch wenn sie nicht sofort sichtbare Ergebnisse liefern. Während Maschinen und Gebäude langfristig an Wert verlieren, wächst Humankapital mit der Zeit und zieht weitere Ressourcen an.

Die kürzlich von der Europäischen Kommission angekündigte Gründung eines Europäischen KI-Forschungsrats könnte für Europa die Wende bringen, wenn sie richtig umgesetzt wird. Sie soll führende KI-Zentren auf dem Kontinent fördern und vernetzen.

Wir fordern die Europäische Kommission auf, einen talentfokussierten Ansatz zu verfolgen.
Nuria Oliver, Bernhard Schölkopf und Yann LeCun

Eine solche Struktur wurde in den letzten sechs Jahren bereits durch Ellis, das „European Laboratory for Learning and Intelligent Systems“ aufgebaut. Es wächst und gedeiht trotz fehlender institutioneller Finanzierung, weil exzellente Forscherinnen und Forscher zusammenarbeiten und sich freiwillig engagieren – und Europa trotz aller Hürden nicht aufgeben.

Wir begrüßen die mutige und ambitionierte Initiative der Europäischen Kommission und fordern sie auf, einen talentfokussierten Ansatz zu verfolgen, der Exzellenz und Forschungsfreiheit in den Mittelpunkt stellt. Dies wäre ein starkes Signal in einer Welt, in der viele der talentiertesten Studierenden und Nachwuchsforscher eine Karriere in der KI anstreben und dabei hochmobil sind. In einer Zeit, in der KI dabei ist, Wirtschaften, Gesellschaften und unsere Zukunft grundlegend zu verändern, muss Europa sein wertvollstes Kapital erkennen und fördern: seine Menschen.

Die Autorin und die Autoren:
Nuria Oliver ist Direktorin der ELLIS Unit Alicante Foundation und des Institute of Humanity-Centric AI.
Bernhard Schölkopf ist Wissenschaftlicher Direktor des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme und des ELLIS Institute Tübingen.
Yann LeCun ist Chefwissenschaftler bei Meta und Professor an der New York University.

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Erstpublikation: 10.02.2025, 04:00 Uhr.

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