Gastkommentar: Warum NRW seine Vergabeverfahren radikal vereinfacht

Stellen Sie sich vor, es gäbe bei öffentlichen Vergaben nicht mehr zig Formulare und Vorschriften, sondern einfach: Freiheit. Willkommen beim Vergabetyp E wie einfach für Kommunen.
Statt immer neuer Vorschriften schafft das Land Nordrhein-Westfalen welche ab. Das klingt zunächst unscheinbar, doch es ist entscheidend dafür, wie Städte und Gemeinden öffentliche Gelder in Milliardenhöhe einsetzen – und ob sie vor Ort Wirkung entfalten.
Bislang galt in Nordrhein-Westfalen: Wenn Kommunen Aufträge vergeben wollten, die unter den EU-Schwellenwerten lagen – etwa für Bauprojekte, Lieferungen oder Dienstleistungen –, mussten sie dabei landesrechtliche Regeln beachten.
Mit dem sogenannten Unterschwellenbereich sind Vergaben gemeint, bei denen der Wert der Leistung, die ausgeschrieben wird, festgesetzte EU-Schwellenwerte nicht überschreiten darf. In dem Bereich hat NRW ebenso wie die übrigen Bundesländer noch einmal eigene, zusätzliche Vorgaben erlassen – quasi Landesrecht on top. Und viele Kommunen haben dann obendrein noch ihre eigenen Vergaberichtlinien festgelegt.
Bürokratiemonster statt fairer Wettbewerb
Das Ergebnis war ein Bürokratiemonster. Die ursprüngliche Idee der Unterschwellenvergabe wurde damit ad absurdum geführt: Sie sollte eigentlich fairen Wettbewerb fördern und die Verwaltungspraxis vereinheitlichen.
Die Grenzwerte liegen derzeit für Liefer- und Dienstleistungen bei 221.000 Euro und für Bauleistungen bei rund 5,5 Millionen Euro. Rund 80 Prozent aller kommunalen Vergabeverfahren in Nordrhein-Westfalen laufen unterhalb dieser Schwellen.
Ihr Auftragswert macht aber nur 40 bis 50 Prozent aller Vergaben in NRW aus. Das sind zwar immerhin rund vier Milliarden Euro jährlich. Aber der Verwaltungsaufwand dafür ist immens.
Darum streicht NRW diese Regeln jetzt. Ab dem 1. Januar 2026 gilt der Vergabetyp E wie einfach für Kommunen. Kommunen erhalten volle Entscheidungsfreiheit ohne landesrechtliches Klein-Klein: Sie können ihre Verfahren selbst gestalten, solange sie die Grundprinzipien der Vergabe von Transparenz, Wirtschaftlichkeit und Gleichbehandlung einhalten.
Für die Kommunen bedeutet das mehr Effizienz und Personalentlastung. Für die Wirtschaft – insbesondere für regionale Betriebe, Handwerksunternehmen und Start-ups – entstehen faire Chancen, weil sie leichter Angebote abgeben können. Und für die Gesellschaft bedeutet es mehr Qualität und Nachhaltigkeit bei öffentlichen Investitionen.
Ende des Billigprinzips
Der neue kommunale Vergabetyp E bedeutet zudem das Ende des Billigprinzips. Bisher galt: Den Zuschlag bekommt der, der am billigsten geboten hat. Das war nicht nur gelebte Praxis, sondern auch eine Vorgabe: Der niedrigste Preis war das Hauptkriterium.
Damit standen Qualität, Service, Nachhaltigkeit nicht vornan. Aber jeder weiß: Wer billig kauft, kauft doppelt.
Ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen: Eine Kommune wollte ihren Marktplatz mit Städtebaufördermitteln erneuern. Vor der Tür gibt es einen Steinbruch, der Grauwacken produziert, regional, ökologisch, kurze Wege. Doch am Ende gewann ein Anbieter aus China – nur, weil er billiger war.
Ab 2026 wird der wirtschaftlichste Anbieter zählen. Das bedeutet, das Angebot mit dem besten Gesamtpaket ist ausschlaggebend. Davon profitiert auch die Wirtschaft. Gerade kleine und mittlere Unternehmen, Start-ups oder Handwerksbetriebe können sich künftig leichter beteiligen.
Angebote werden unkomplizierter, Verfahren transparenter, Chancen fairer verteilt. Sind wir ehrlich: Viele Kleinunternehmen haben sich doch bisher an Vergaben gar nicht beteiligt, weil der Aufwand höher als der Gewinn mit dem Auftrag war. Das soll sich nun ändern.
Nordrhein-Westfalen sendet damit ein Signal in die Republik: Bürokratierückbau mit einer Stärkung und zugleich Entlastung der Kommunen ist möglich.




Die Autorin: Ina Scharrenbach ist Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen






