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Gastkommentar – Global ChallengesOrbán führt die Union, die er so gern hasst

„Make Europe great again“, lautet das Motto für die EU-Ratspräsidentschaft Ungarns. Was klingt wie eine Bekehrung Orbáns, ist vielmehr Ausdruck seiner Verachtung, argumentiert Tibor Dessewffy. 04.07.2024 - 11:14 Uhr
Tibor Dessewffy ist Leiter des Forschungszentrums für digitale Soziologie an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest und Ratsmitglied des Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR). Foto: ap, ELTE [M]

Im kommunikativen Werkzeugkasten der rechtsextremen Bewegungen spielen Trollen und das Schüren von Konflikten weltweit eine zentrale Rolle. Bei den oft geschmacklosen Beiträgen geht es nicht nur darum, Aufmerksamkeit zu erregen, sondern auch darum, die Verachtung für die bestehende Ordnung zum Ausdruck zu bringen.

Ungarn hat am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Die Entscheidung der ungarischen Regierung, als Motto dafür eine Version von Trumps „Make America great again“-Parole zu wählen, nämlich „Make Europe great again“, kann wie eine Art Scherz verstanden werden, der von Orbáns Anhängern gefeiert wird.

Diese Entscheidung ist nicht nur deshalb provokant, weil Trumps Wahlspruch antieuropäisch konnotiert war, sondern auch weil erneut deutlich wird, dass Orbán – wohl als einziger europäischer Politiker – Trump offen unterstützt und auf seine Rückkehr hofft.

Diese weltpolitische Dimension verdeutlicht die Tragweite dieser EU-Ratspräsidentschaft. Bei ihr geht es in der Regel darum, reibungslose Abläufe und administrative Kontinuität zu gewährleisten.

Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass der ungarische Ratsvorsitz diese Aufgaben nicht angemessen erfüllen wird. Gleichwohl gibt es drei Faktoren, die darauf hindeuten, dass diese Präsidentschaft alles andere als ereignisarm sein wird.

Drei Faktoren sind Ungarns Präsidentschaft wichtig

Erstens fand sich Orbán, der sich seit Langem als Global Player positioniert, nach den EU-Wahlen in einem Machtvakuum wieder: Er konnte sich weder der von Meloni geführten Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR) anschließen noch der Fraktion Identität und Demokratie. Nun hat er ein neues Bündnis mit österreichischen, tschechischen und portugiesischen Extremisten geschlossen, die zusammen eine kleine Anzahl von Abgeordneten im Europäischen Parlament stellen.

Kolumne „Global Challenges“
Die Idee

Orbán sieht sich nicht als einfacher Fußballspieler, sondern als Stürmer und in der Lage, die verachteten, gealterten, hilflosen europäischen Verteidiger geschickt auszumanövrieren. Noch vor einem Monat hatte niemand vorausgesehen, dass Marine Le Pen in diesem Jahr die stärkste Partei stellen würde – sowohl bei den Europawahlen als auch im ersten Wahlgang zum französischen Parlament. Ein Erfolg, zu dem Orbán einen wesentlichen Beitrag geleistet hat.

2022 unterstützte eine von Orbáns Leuten geführte ungarische Bank Le Pens Wahlkampf mit mehr als zehn Millionen Euro. Während seiner Präsidentschaft wird sich Orbán bemühen, seinen Einfluss bei den Parteien, die sich gegen die europäische Integration aussprechen, zu vergrößern und die Anti-Brüssel-Rhetorik zu normalisieren. Er wird jedes Mittel nutzen, um seine extremistische Fraktion zu stärken.

Zweitens wird Orbán die EU-Ratspräsidentschaft für seine weltpolitischen Schachzüge nutzen, insbesondere mit Blick auf die US-Wahl, von deren Ausgang er sich eine Stärkung seines politischen Einflusses verspricht. Er verbindet ernsthafte, wenn auch vielleicht illusorische Hoffnungen mit Trumps Sieg.

Sollte Trump gewinnen, wird er Orbáns besondere freundschaftliche Beziehungen zur Kommunistischen Partei Chinas sehr wahrscheinlich nicht dulden. Dieses Problem ist indes eines für die Zukunft. Bis dahin wird Orbán seine EU-Präsidentschaft nutzen, um so viele Versuche zu unternehmen, sowohl mit Trump als auch mit Xi in Kontakt zu treten, wie dies im engen Rahmen der EU möglich ist.

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Drittens wird Orbán mehr Spielraum haben, um durch Vetos, administrative Verzögerungen und Hinhaltetaktiken Maßnahmen gegen Russland zu behindern. Dies gibt ihm neue taktische Mittel an die Hand, um seine langjährige Strategie der Schwächung der EU im Interesse Putins zu stützen.

Jüngst blockierte er die von der EU geforderte Verurteilung von in Russland verbotenen Medien, darunter einem ungarischen Onlineportal. Orbán geht mit dem Schlagwort „Frieden“ hausieren, was de facto jedoch auf die Anerkennung von Putins Gebietsansprüchen hinausläuft. Es ist unwahrscheinlich, dass die ungarische Präsidentschaft die Unterstützung für die Ukraine oder Maßnahmen, die russischen Interessen schaden könnten, voranbringen wird.

Die Pro-EU-Kräfte müssen ein Gegengewicht zu Orbáns Manövern schaffen

Wichtiger als Ungarns Verhalten als Ratsvorsitz in den nächsten sechs Monaten ist jedoch, wie die EU darauf reagieren wird. Die entscheidende Frage ist, ob es Orbán gelingen wird, wesentliche Integrationsprozesse und Reformen zu verlangsamen oder gar aufzuhalten, mit denen Entscheidungsprozesse gestrafft werden und Schurkenstaaten in die Schranken gewiesen werden sollen.

Die Pro-EU-Kräfte müssen ihre Zusammenarbeit verbessern, um ein Gegengewicht zu Orbáns Manövern zu schaffen. Durch engere Absprachen können EU-Befürworter dafür sorgen, dass die Gemeinschaft widerstandsfähig bleibt und ihre Rolle als Hüterin der europäischen zentralen Werte wahrt.

Sie können verhindern, dass ein einzelnes Mitglied die kollektive Entscheidungsfindung zu Fall bringt, und zugleich geschlossen für Themen eintreten, die für die Menschen in der EU zentral sind. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Europa in der Lage ist, die Integrität und den Kurs inmitten eines ausgesprochen starken Drucks von innen und außen zu halten.

Verwandte Themen US-Wahlen Europäische Union Außenpolitik Russland

Der Autor: Tibor Dessewffy ist Leiter des Forschungszentrums für digitale Soziologie an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest und Ratsmitglied des Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR).

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