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Gastkommentar – Global ChallengesWie die EU wieder wettbewerbsfähig wird

Europa ist wirtschaftlich abgehängt. Neun Schritte könnten die Position der EU auf dem Weltmarkt wieder stärken, ist Günther Oettinger überzeugt. 12.09.2024 - 03:49 Uhr Artikel anhören
Günther H. Oettinger ist Präsident von United Europe e.V. Er war Ministerpräsident von Baden-Württemberg und EU-Kommissar. Foto: Getty, obs

Die Ankündigungen bei VW in der vergangenen Woche hätten es nicht deutlicher vor Augen führen können: Europa ist wirtschaftlich abgehängt. Die EU wächst um ein Prozent im Jahr. Die USA wachsen dagegen um knapp drei Prozent und China noch weit stärker. Und dies, obwohl die USA eine voll ausgereifte Volkswirtschaft sind, also weniger Wachstumspotenzial haben. In der EU zählen dagegen einige Mitgliedstaaten noch zu den Schwellenländern.

Was kann Europa also tun, um die Wirtschaftsleistung wieder anzukurbeln? Neun Schritte könnten die EU auf dem Weltmarkt wieder wettbewerbsfähig machen.

1. Die Steigerung der Wirtschaftsleistung ist nicht alleine Sache der Wirtschaftsressorts. Die gesamte EU-Kommission in Brüssel sowie alle Ministerinnen und Minister in den Mitgliedstaaten müssen sich als Wirtschaftsförderer verstehen.

2. Der europäische Forschungsraum muss gestärkt werden. Die besten Köpfe von Europas Universitäten und Forschungseinrichtungen müssen mit der europäischen Wirtschaft arbeiten. Über das EU-Programm „Horizon Europe“ können wichtige technologische Projekte, insbesondere im digitalen Bereich kofinanziert werden. Das Finanzvolumen muss dafür erhöht werden.

3. Die EU braucht eine gemeinsame Energiepolitik. Die Energiepreise in Europa sind für Verbraucher hoch und für die Industrie zu hoch. Wir müssen Energie zu Kosten verfügbar machen, die nicht zu einer Deindustrialisierung führen.

Die gemeinsame Energiepolitik braucht eine grenzüberschreitende Infrastruktur für Strom, Gas und Wasserstoff. Mit der gemeinsamen Beschaffung von Rohstoffen kann die EU Skalierungseffekte nutzen und die Diversifikation stärken. Europa kann aus der verfehlten deutschen Energiewende nur lernen.

Kolumne „Global Challenges“
Die Idee

4. Klimaschutz ist notwendig, das steht außer Frage. Doch das Versprechen, dass der europäische Green Deal zu Wachstum und Arbeitsplätzen führt, ist trügerisch. Auch die Prognose des deutschen Bundeskanzlers, dass es zu einem grünen Wirtschaftswunder komme, hat sich als falsch erwiesen. Es braucht eine kluge Balance zwischen moderner Industriepolitik und pragmatischem Klimaschutz.

Die EU sollte ihre Handelspolitik nicht missionarisch überfrachten

5. Wichtige Handelsabkommen sind Türöffner in Wachstumsmärkte der Welt, werden in Europa jedoch oft blockiert. Mercosur, das Abkommen mit den lateinamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ist entscheidungsreif. Sein Abschluss darf nicht durch immer neue Auflagen und durchsichtige Ausreden verzögert werden.

Die Handels- und Außenwirtschaftspolitik muss europäische Interessen vertreten. Sie darf nicht missionarisch überfrachtet werden. Sonst riskieren wir, dass unsere Verhandlungspartner sich von uns abwenden und sich China oder gar Russland annähern.

Kürzere Lebens- und Wochenarbeitszeiten schwächen den Standort

6. Die Leitindustrie für Deutschland und für viele andere europäische Länder ist der Fahrzeugbau. Seit einigen Jahren verlieren die europäischen Hersteller und Zulieferer aber Anteile am Weltmarkt. China ist eindeutig auf der Überholspur. Es war ein Fehler, die Politik in die Technik eingreifen zu lassen und das Verbrenner-Aus 2035 vorzugeben. Die EU sollte es noch 2025 zurücknehmen. Damit würde sie Klarheit und Planungssicherheit für Entwickler und Investoren schaffen.

7. Um die Produktivität zu steigern, sollten die Tarifpartner und die Politik Mehrarbeit in der Woche und im Leben anstreben. Die Viertagewoche, Homeoffice und Rente vor dem 65. Lebensjahr schwächen die Attraktivität des Standorts Europa ungemein.

8. Die europäische Wirtschaft droht an der Bürokratie zu ersticken. Die Auflagen, Verbote und Gebote sowie die Berichtspflichten haben in der EU deutlich zugenommen. Die scheidende Kommission hatte sich 2019 „one in – one out“ vorgenommen, also für jede neue Regelung eine zu streichen. Die Bilanz nach fünf Jahren lautet jedoch: „four in – one out“.

9. Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank Mario Draghi hat gerade einen Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der EU vorgelegt. Herzstück seiner Vorschläge ist ein milliardenschweres Investitionsprogramm. Finanziert werden soll es durch neue Schulden, die die Mitgliedstaaten gemeinsam aufnehmen.

Als grundsätzliche Linie ist das nicht zu empfehlen. Nur in einem Bereich sollten über Schulden Investitionen getätigt werden: Die europäische Verteidigung braucht kurz- und mittelfristig mehr Geld, um unsere Sicherheit gegen Bedrohungen wie Putins hybride Kriegsführung zu stärken. Ein Förderprogramm für die Verteidigungsindustrie würde Arbeitsplätze schaffen und die Souveränität Europas erhöhen.

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Findet Europa den Weg aus der Krise? Das hängt allein vom politischen Willen der Entscheidungsträger ab. Sie können nun zeigen, wie ernst sie es mit der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und unserer Leistungsbereitschaft meinen. Noch ist es (vielleicht) nicht zu spät. Eine zukunftsweisende Wirtschaftspolitik muss jetzt die oberste Priorität werden!

Der Autor:
Günther H. Oettinger ist Präsident von United Europe e.V. Er war Ministerpräsident von Baden-Württemberg und EU-Kommissar.

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