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Gastkommentar - Global ChallengesWir brauchen wieder Vertrauen in multilaterale Institutionen

Der Zukunftsgipfel der UN kann den Grundstein dafür legen: Ziel sind Abkommen, die einen gemeinsamen Grundkonsens der Staaten schaffen. Von Volker Perthes. 31.07.2024 - 21:43 Uhr
Volker Perthes ist freier ‧Autor und Senior Distinguished Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und ‧Politik (SWP). Er war Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen. Foto: Reuters, picture alliance [M]

Die Beziehungen zwischen Staaten entsprechen immer weniger einer regelgebundenen Ordnung. Wir erleben eine „Epidemie der Straflosigkeit“ (UN-Generalsekretär Antonio Guterres) – in der Ukraine, im Gazastreifen und vorher beim Angriff der Hamas auf Israel, in Drohnen- und Raketenangriffen quer über den Nahen und Mittleren Osten, im Sudan, in Myanmar oder im Ostkongo.

Staaten und nicht-staatliche Akteure verfolgen ihre Interessen ohne Rücksicht auf völkerrechtliche Normen. Alle wissen, dass sie aufgrund der geopolitischen Spannungen zwischen den großen Mächten keine gemeinsame Reaktion der internationalen Gemeinschaft befürchten müssen.

Nicht dass internationale Normen nicht schon früher verletzt worden wären – man denke etwa an den Irakkrieg. Normverletzungen setzen Normen nicht außer Kraft. Wenn Verstöße gegen gemeinsam vereinbarte Standards aber zur Regel werden, dann, so Guterres, kollabiert auch das Vertrauen in Institutionen wie den Sicherheitsrat, die UN als Ganzes, Weltbank und IWF oder eben das Völkerrecht.

Guterres will nun im September mit einem „Zukunftsgipfel“ in New York einen Reformprozess anschieben und verlorenes Vertrauen wieder aufbauen. Deutschland und Namibia wurden gemeinsam verpflichtet, den Text für einen „Pakt für die Zukunft“ zu erstellen.

Es geht nicht um ein neues Regelwerk, sondern um Vertrauen in das existierende

Im Januar haben die deutsche Vertreterin bei den UN, Antje Leendertse, und ihr namibischer Kollege Neville Gertze einen ersten Entwurf vorgelegt. Seither versuchen sie, eine für möglichst alle Mitgliedstaaten zustimmungsfähige Version zu verhandeln.

Das verlangt Kompromisse, die hinter den Erwartungen ambitionierter Akteure zurückbleiben werden, wohl aber der Rückverständigung auf einen globalen Grundkonsens unter den gegenwärtigen geopolitischen Bedingungen dienen können.

Neue gegenseitige Verpflichtungen zu Nachhaltigkeit und Entwicklungsfinanzierung etwa reflektieren die Interessen verschiedener Staatengruppen. Ähnliches gilt für die eher prinzipielle Feststellung, dass Menschenrechte nicht ohne globale Entwicklung garantiert werden können, und für Bekenntnisse zu mehr Fairness und Repräsentativität in den UN-Gremien oder bei Weltbank und IWF.

Auch wenn eine klare Vereinbarung zur Erweiterung des Sicherheitsrats ausbleiben dürfte, werden die fünf permanenten Mitglieder des Rats sich Reformforderungen nicht grundsätzlich entgegenstellen können: Der Zukunftsgipfel ist ein Treffen der Generalversammlung. Hier hat jeder Staat eine Stimme, es gibt kein Veto. Jeder „Pakt“, der zur Abstimmung vorliegt, wird die Interessen der Mehrheit der Staaten - also des globalen Südens - reflektieren oder eben nicht beschlossen werden.

Letztlich geht es hier nicht um den großen Entwurf für ein neues Regelwerk, das ohnehin von großen und mittleren Mächten gleich wieder ignoriert würde. Stattdessen sollte der Gipfel ein Stück Vertrauen in das System zurückbringen, gerade bei denjenigen, die sich am „receiving end“ globaler Schocks befinden: Das sind vor allem Staaten und Gesellschaften im globalen Süden. Die Folgen der Pandemie für Entwicklung und Entwicklungsfinanzierung, die Ausdünnung humanitärer Hilfe, kriegsbedingte Flüchtlingsströme und die Effekte des Klimawandels sind dort besonders spürbar.

Die Staaten müssen sich ihrer gemeinsamen Prinzipien versichern

Vertrauensbildende Maßnahmen sind zunächst immer kleine, aber zielgerichtete Schritte. Ihr Ziel und Zweck ist, die Relevanz und Legitimität multilateraler Institutionen, vor allem der Vereinten Nationen, wieder zu stärken.

Das muss mit einer Rückverständigung auf gemeinsame Prinzipien beginnen. Ideen dazu gibt es in den bisherigen Entwürfen des „Pakts“: Dazu gehört die Selbstverpflichtung, Gewalt global zu reduzieren – nicht nur zwischen, sondern auch in den Staaten –, ein Bekenntnis zum Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten und zu präventiver Diplomatie als Kernaufgabe der UN sowie eine gemeinsame Verpflichtung auf Rüstungskontrollverhandlungen für neue Bereiche wie die Künstliche Intelligenz.

Die Ernsthaftigkeit der Mitgliedstaaten wird sich daran messen lassen, ob sie sich auf konkrete Aktionspunkte einigen können: beim letzten Punkt etwa darauf, ein Abkommen zum Verbot autonomer Waffen zu erarbeiten, die selbstständig über Zielauswahl und Einsatz entscheiden können, also Menschen die Entscheidung zum letalen Waffeneinsatz „abnehmen“. Ausgeschlossen ist eine solche Einigung nicht.

Unverzichtbar, gerade wenn im September bei den meisten Themen nur ein Minimalkonsens zu erwarten ist, ist die Vereinbarung eines Follow-up-Mechanismus, der die Umsetzung vereinbarter Maßnahmen überprüft und dokumentiert. Nur so hätte der „Zukunftspakt“ auch selbst eine Zukunft.

Der Autor: Volker Perthes war Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen. Derzeit ist er freier Autor und Senior Distinguished Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

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