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Gastkommentar – Beyond the obviousDeutschland ist ein Sanierungsfall – und muss so behandelt werden

Viele Politiker tun so, als wäre Deutschland ein reiches Land, das sich locker Lieblingsprojekte leisten kann. Allerdings verlieren wir in Wahrheit rapide den Anschluss, klagt Daniel Stelter.Daniel Stelter 13.08.2023 - 10:22 Uhr
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Dem Autor zufolge wird vergessen, dass bereits viel investiert wird – etwa in Klimaschutz.

Foto: dpa

Für die Politik ist klar: Deutschland ist ein reiches Land. Genau deshalb glauben Politiker auch, wir könnten es uns leisten, XY zu tun. Nicht ganz zufällig ist XY das individuelle politische Lieblingsthema. Seien es noch mehr Klimaschutz, noch mehr Sozialleistungen, noch mehr humanitäre Hilfe, noch mehr europäische Solidarität oder was beliebig gerade diskutiert wird.

Dabei wird gern vergessen, dass wir in diese Themen bereits erheblich investieren und dass immer mehr dieser Forderungen selten dazu geeignet sind, die Leistungsfähigkeit unseres Staates zu erhöhen. Stattdessen dienen sie nur einer nicht nachhaltigen Klientelbefriedigung. Es schwingt stets mit, dass der Staat im Zweifel nur seine Einnahmen erhöhen müsse, um Gutes zu tun.

Wie immer bei solchen Aussagen kommt es auf den Vergleich an. Natürlich ist Deutschland eines der wirtschaftsstärksten Länder der Welt. Seit Jahren jedoch verlieren wir mehr und mehr den Anschluss an die Spitze.

So erreichten wir beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Jahr 2011 immerhin noch 75 Prozent des Niveaus der Vereinigten Staaten, heute liegt der Wert bei 68 Prozent, wie Daten der Weltbank zeigen. Was harmlos klingt, hat erhebliche Bedeutung. Hätte sich unsere Wirtschaft wie jene der USA entwickelt, läge das BIP pro Kopf inflationsbereinigt rund 4000 Euro höher. 4000 Euro mehr Einkommen für jeden Einwohner dieses Landes.

Mittlerweile erreichen wir einer Studie zufolge nurmehr das Niveau des US-Bundesstaats South Carolina, der erst in den vergangenen Jahren – auch dank der Investitionen von BMW und Mercedes – in das Mittelfeld der US-Staaten aufgestiegen ist.

Ursachen für die Entwicklung

Die Ursachen für diese unbefriedigende Entwicklung liegen auf der Hand: seit Jahren stagniert hierzulande die Produktivitätsentwicklung als Folge unzureichender öffentlicher und privater Investitionen und unzureichender Leistungen des Bildungssystems.

Der Autor: Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums „beyond the obvious“, Unternehmensberater und Autor. Jeden Sonntag geht auf www.think-bto.com sein Podcast online.

Foto: Robert Recker/ Berlin

Zugleich wanderten Millionen Menschen zu, die überwiegend entweder nicht am Erwerbsleben teilnehmen oder im Niedriglohnsektor aktiv sind, wie Daten vom Statistischen Bundesamt (Destatis) zeigen. Die verschärft einsetzende Alterung der Bevölkerung erhöht den Anteil der Rentner zulasten der Erwerbstätigen. All dies bedeutet: Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf dürfte noch langsamer wachsen als in der Vergangenheit. Die Verteilungskonflikte intensivieren sich weiter.

Die Politik verschließt die Augen vor dieser fundamentalen Gefährdung unseres Wohlstands und des gesellschaftlichen Friedens. Wahlweise wird von einem „grünen Wirtschaftswunder“ geträumt – welches nach Meinung der meisten Ökonomen nicht in Sicht ist –, oder es wird gleich auf alternative Kriterien für die Messung von Wohlstand ausgewichen, wie es das Wirtschaftsministerium vorbereitet.

Zugleich fokussiert man sich auf die Verteilung des nicht mehr wachsenden Gewinns und bedauert zunehmende Armut, ohne dazuzusagen, dass diese Zunahme zu großen Teilen Folge der Zuwanderung ist. Seit Jahren sinkt die Anzahl der deutschen Sozialhilfeempfänger, während jene von Menschen mit Migrationshintergrund steigt, wie Destatis-Zahlen zeigen. Bei der Kinderarmut gilt dies ebenfalls.

Deutschland ist ein Sanierungsfall – und muss so behandelt werden

Deutschland mag noch ein reiches Land sein, wir fallen aber beschleunigt zurück. Der produktive Kern der Volkswirtschaft stagniert und droht angesichts von Energiekosten, Fachkräftemangel und politisch befördertem Strukturwandel nachhaltig zu schrumpfen.

Die Kosten der Versorgung der steigenden Zahl von Ruheständlern, für die nicht vorgesorgt wurde, steigen absehbar deutlich an, während es wenig Hoffnung auf eine rasche Steigerung der Produktivität der Erwerbsbevölkerung gibt.

Die Verlockung für die Politik ist groß, weiter auf das Motto „Augen zu und umverteilen“ zu setzen. Dabei brauchen wir eine Agenda 2030 – Reduktion von Transfers, Erhöhung der Anreize zur Beteiligung am Arbeitsmarkt, Qualifikationsoffensive und Investitionen in das produktive Kapital der Volkswirtschaft. Schluss mit Verschleierung und politischen Wunschprojekten. Deutschland ist ein Sanierungsfall, und als solchen müssen wir unser Land behandeln.

Verwandte Themen Wirtschaftspolitik Deutschland Konjunktur

Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums „beyond the obvious“, Unternehmensberater und Autor. Jeden Sonntag geht auf www.think-bto.com sein Podcast online.

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