Gastkommentar – Homo oeconomicus: Die geplante Reform der EU-Budgetregeln gibt der EU-Kommission zu viel Macht

Die Kommission will geringere Schuldenquoten in den Mitgliedsländern.
Die EU-Kommission hat im November ihre Vorschläge für eine Reform der EU-Budgetregeln vorgelegt. Der deutsche und der französische Finanzminister haben das Kommissionspapier in einer gemeinsamen Stellungnahme als Verhandlungsgrundlage akzeptiert. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema ist wichtig: Neue Grundsätze für die EU-Aufsicht über die Finanzpolitik der Mitgliedstaaten sind schon lange überfällig.
Der Kommissionsvorschlag konzentriert sich darauf, die Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung zu verringern. Um geringere Schuldenquoten zu gewährleisten, würde die Kommission für jedes EU-Mitgliedsland eine in die Zukunft gerichtete Analyse der Schuldentragfähigkeit durchführen.
Für Länder, deren Staatsverschuldung als sehr oder mittel problematisch eingestuft wird, würden auf dieser Basis Grenzen für die Staatsausgaben der folgenden Jahre festgelegt. Wenn keine außergewöhnlichen Ereignisse eintreten, sollen die Regierungen für mindestens vier Jahre die mit der Kommission verhandelten Ausgabengrenzen nicht ändern können.
Hält ein Land mit einem laut Kommissionsanalyse erheblichen Schuldenproblem diese Grenzen nicht ein, wird dem Vorschlag zufolge zwingend ein Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits eingeleitet. Für alle anderen Länder, die sich nicht an die Ausgabenregel halten, würde die Kommission die Einleitung eines Defizitverfahrens in Betracht ziehen. Dieser Ermessensspielraum birgt ein Risiko für Ungleichbehandlung.
Die Mitgliedstaaten könnten sich nach dem Kommissionsvorschlag zu Investitionen und Reformen verpflichten, um den Plan zeitlich zu strecken. Es ist jedoch unklar, welche Kriterien die Kommission heranziehen würde, um zwischen guten und schlechten Investitionen und Reformen zu unterscheiden.

Philipp Heimberger ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW).
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Es droht eine Reform, die den nationalen Regierungen keine ausreichenden Spielräume gibt, um die klimapolitisch notwendigen Investitionen in die Umstellung der Energie- und Transportsysteme zu tätigen.
Europäisches Parlament muss eingebunden sein
Die Kommission würde mit einer Reform nach ihren Vorschlägen viel Macht gewinnen. Dementsprechend genau muss man ihr auf die Finger schauen.



Die Analyse der zukünftigen Schuldentragfähigkeit hängt von Annahmen zu Wachstum und Zinsen ab, die auf Erwartungen zu Entscheidungen der Europäischen Zentralbank und der EU-Wirtschaftspolitik beruhen. Ändern sich die Annahmen, führt das zu großen Abweichungen der prognostizierten Schuldenentwicklungen und damit der Ausgabenspielräume einzelner Mitgliedstaaten.
Zentrale Annahmen, die den Analysen der Kommission zur Schuldentragfähigkeit zugrunde liegen, beinhalten also politische Einschätzungen; sie sollten unbedingt durch das Europäische Parlament kontrolliert werden. Die nationalen Parlamente sollten den von der Regierung mit der Kommission ausgehandelten Plänen zustimmen müssen, um die demokratische Legitimität zu stärken.
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