Gastkommentar – Homo oeconomicus: Die Regeln für Organspenden in Deutschland sollten reformiert werden

In vielen anderen Staaten sind Überkreuzspenden bereits möglich.
Ende Juni diskutiert das Bundesgesundheitsministerium mit Vertretern der Medizin, Patienten, Organspendern und Juristen über die Frage, ob der Spenderkreis für Lebendorganspenden vergrößert werden sollte. Das ist eine Chance für Reformen, die viele Experten und Betroffene seit Langem fordern.
In Deutschland erleiden jedes Jahr viele Menschen, die auf der Warteliste für eine Niere stehen, irreversible Gesundheitsschäden, weil kein geeignetes postmortal entnommenes Spenderorgan zur Verfügung steht. Personen, die sich „offenkundig nahestehen“, wie Verwandte und Ehegatten, können dem Gesetz nach eine Niere auch unter Lebenden spenden. Gesunde Spender gehen dabei ein geringes Gesundheitsrisiko ein, um die Situation ihrer Nächsten grundlegend zu verbessern. Nieren von Nahestehenden scheiden allerdings häufig wegen Gewebeunverträglichkeit aus.
In einem solchen Fall könnte eine Überkreuzspende helfen. Angenommen, Sie können Ihrem Kind wegen Inkompatibilität keine Niere spenden, und mir geht es genauso. Doch Sie könnten meinem Kind und ich Ihrem eine Niere spenden. Dann könnten wir mit einer Überkreuzspende unseren Kindern Hoffnung auf ein längeres Leben und eine höhere Lebensqualität schenken.
Aber in Deutschland wäre diese Hilfe bei Strafe für den Arzt verboten, wenn innerhalb der jeweiligen Spender-Empfänger-Paare das geforderte Näheverhältnis nicht besteht. Damit wird kriminalisiert, was ansonsten in unserer Gesellschaft als uneigennütziger Akt anerkannt wird. Und so müssen wir schlimmstenfalls zusehen, wie unsere Kinder irreversible Schädigungen erleiden oder gar auf der Warteliste sterben, obwohl es mit der Überkreuzspende einen Ausweg gäbe.
In vielen Ländern spielen Lebendorganspenden eine zunehmend wichtige Rolle. Während die USA, Großbritannien und die Niederlande bereits seit Langem Überkreuzspenden organisieren, sind in den vergangenen Jahren viele andere Länder sowie die Mehrzahl der europäischen Staaten gefolgt, einschließlich Belgien, Italien, Schweden und Spanien.
Überkreuzspende erhält Zustimmung
Dabei zeigt sich, dass sich Überkreuzspenden auf vielfältige Weise ausgestalten lassen und so den unterschiedlichen rechtlichen und ethischen Anforderungen gerecht werden können. Alvin Roth erhielt 2012 den Wirtschaftsnobelpreis unter anderem für seine angewandten Arbeiten zur Ausgestaltung der Überkreuzspende.

Der Wirtschaftswissenschaftler lehrt seit 2003 als Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Universität zu Köln.


In Deutschland lassen sich die notwendigen Reformen für die Überkreuzspende im bisherigen Werterahmen vollziehen, der die Freiwilligkeit und Uneigennützigkeit der Organspende voraussetzt. Organhandel kann durch institutionelle Vorkehrungen zuverlässig ausgeschlossen werden.
Die Überkreuzspende erhält in einer neuen Umfrage große Zustimmung, und zwar gleichermaßen in Deutschland, wo sie noch verboten ist, wie in Ländern, in denen sie erlaubt ist. Es spricht viel für eine Reform.
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