Kolumne: Die KI zeigt sich als Münchhausensyndrom des Arbeitsmarkts

Kürzlich ging ein Zucken durch die Chefetagen der Wirtschaft. Das MIT hatte eine Studie veröffentlicht, nach der 95 Prozent aller KI-Pilotprojekte scheitern. Die Tumben folgerten daraus: alles Geldverschwendung und dass man sich nun also doch nicht so sehr mit der neuen Technologie beschäftigen müsse. Die Klügeren begannen nachzudenken, woran es denn wohl liegen mag.
Vor allem aber schielten viele auf eine andere Zahl: 400 Milliarden Dollar werfen die US-Tech-Unternehmen in diesem Jahr auf die Weiterentwicklung der KI. Mal zum Vergleich: Das Apollo-Programm für Amerikas Reise zum Mond kostete bereinigt in zehn Jahren zwischen 1960 und 1970 300 Milliarden. Bei der KI bringen die Unternehmen derzeit also die Finanzierung eines gesamten Apollo-Programms nicht in zehn Jahren auf, sondern alle zehn Monate. Wir sind gerade auf der Reise ins nächste Schwarze Loch.
Woher kommt die Produktivität, die solche Investitionen rechtfertigt? Jedenfalls nicht daraus, dass die meisten Menschen mit KI Katzenbilder erstellen oder Geburtstagsgedichte schreiben lassen. Die zentrale Frage lautet: Was macht KI mit dem Arbeitsmarkt und der Arbeitsproduktivität von Mitarbeitenden und Unternehmen?
Das MIT sagt: bislang nichts Gutes. Um das erklären zu können, müssen wir einen Schritt zurücktreten, um auf den Arbeitsmarkt zu schauen. Auf dem dreht sich die Diskussion bislang im Wesentlichen um Stelleneinsparungen. In unheilgeschwängertem Ton warnte Dario Amodei, Gründer des KI-Unternehmens Anthropic, vor einer massiven Jobvernichtung durch KI, vor allem in der Juristerei, der Finanzbranche und Beratung.
Die Hälfte aller Jobs auf Einstiegslevel könnte wegfallen. Viele Führungskräfte sind blöd genug, das für bare Münze zu nehmen. Mal schauen, wo in diesen Unternehmern künftig die Führungsjobs auf Partnerlevel herkommen, wenn kein Nachwuchs mehr in Sicht ist.
Auch die Investmentbank Goldman Sachs sagt: Sechs bis sieben Prozent der Jobs in den USA könnten durch KI verloren gehen. Abgesehen davon, dass Donald Trump das auch ohne KI schaffen wird: Woher kommen diese Zahlen?
Aus Mangel an einer ausdefinierten Strategie und klaren Vorgaben zeigt sich die KI an vielen Stellen als Münchhausensyndrom des Arbeitsmarkts. Sich am eigenen Schopfe aus dem Morast der verkrusteten Arbeitswelt ziehen? Das gelingt mit KI ebenso wenig, wie es Münchhausen mit dem eigenen Körper zu Pferde gelang.
Zum einen: Wie will man die Belegschaft für eine Technologie motivieren, die darauf angelegt ist, den eigenen Job abzuschaffen? So züchtet man nur eine Armee an heimlichen KI-Spezialisten heran, die für sich selbst mit den Tools umzugehen wissen. Auf die Produktivität des Unternehmens färbt das leider nicht ab. Keiner möchte zum eigenen Jobverlust beisteuern.
Führungskräfte reden oft nur über Effizienz. Experimente zeigen aber, dass dieses Argument für Mitarbeitende nicht funktioniert. Eine Gruppe von Rechtsgehilfen sollte KI nutzen, um ihre Produktivität zu erhöhen, eine andere, um nervtötende Aufgaben loszuwerden. Die zweite Gruppe war erfolgreich darin, KI anzuwenden und ihre Arbeitsergebnisse zu verbessern, die erste nicht.
Zum anderen: Schauen wir doch mal hin, was KI wirklich macht. Eine Studie der University of Pennsylvania und von OpenAI zeigt, dass KI nicht Jobs ersetzen wird, sondern einzelne Aufgaben in Berufsfeldern. 80 Prozent der Berufe werden in etwa zehn Prozent ihrer Aufgaben betroffen sein. Das ist eine völlig andere Aussage als das generelle Gerede vom Jobverlust.
Richtig angewendet, lassen sich durch KI-Modelle etwa 15 Prozent aller Aufgaben über alle Branchen hinweg schneller und effizienter erledigen – bei gleichbleibender Qualität. Bei richtiger strategischer Anwendung kann dieser Anteil auf etwa 50 Prozent wachsen. Das bedeutet: Jedes Unternehmen braucht eine Strategie, sollte die Grundlagentechnologien kaufen, nicht selbst entwickeln, um schnell zu sein, und die Belegschaft ordentlich schulen. Das alles passiert bislang kaum, wie die MIT-Studie zeigt.
Die vielleicht wichtigste Frage aber lautet: Warum analysieren wir immer nur innerhalb der Grenzen des Arbeitsmarkts, wie er derzeit aussieht? Wenn KI eine Allzwecktechnologie ist, müssten wir dann nicht mal fragen: Wie sieht die Arbeit der Zukunft aus?
In dieser Zukunft wird das Konzept „Job“ infrage gestellt. Dieses Bündel von Aufgaben, das ein Mensch ein Leben lang mit sich herumträgt. Es wird vielmehr wechselnde Konstellationen von Aufgaben geben, die Mensch und KI gemeinsam meistern. Dadurch können wir die Produktivität erhöhen. Wir können Arbeit aber auch schöner gestalten, indem die mühseligen Anteile von KI übernommen und die strategischen, kreativen beim Menschen verbleiben.
Das klappt nicht für alle Jobs? Mag sein. Aber mit KI ließen sich ganze Arbeitszyklen neu gestalten. Warum die Technologie nicht einsetzen, um für jede Nachbarschaft, jeden Ort eine perfekt koordinierte Tauschplattform zu organisieren, auf dem Leihgüter, Arbeitsleistung und soziale Aufgaben koordiniert werden können? Mit dem zusätzlichen Effekt, dass Menschen wieder mehr miteinander zu tun haben und sprechen?
Ich sehe die Gegenargumente schon auf mich einprasseln. Sind wir noch utopiefähig? Wenn ja, kann KI eine Riesenchance sein, Arbeit neu und besser zu gestalten. Wenn nein, wird sie uns gefangen nehmen und unsere Gesellschaft lahmlegen. Und das passiert bereits jetzt: Mitarbeitende nutzen KI, um eine Aufgabe oberflächlich zu erledigen. Nach außen sieht alles gut aus, schicke Präsentationen und Tabellen, die mit symmetrischen Abständen daherkommen. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das Ergebnis als Arbeitsmüll – „Workslop“ genannt.




Der Münchhausen des KI-Zeitalters zieht sich nicht selbst aus dem Sumpf. Er erschafft ihn, damit andere darin ersticken.
Erstpublikation: 07.10.2025, 19:54 Uhr.







