Technologie: KI kann ihr Potenzial nur als Freund und Helfer ausschöpfen
Seit Monaten schwanken die Aktienmärkte zwischen Euphorie und Skepsis, wenn es darum geht, die wirtschaftlichen Vorteile beim Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) richtig einzuschätzen. Das spiegelt sich auch in einer neuen Befragung der Unternehmensberatung McKinsey bei weltweit 2000 Kunden wider: Demnach ist die Experimentierfreude bei den Firmen zwar groß, aber nur eine Minderheit weiß, die neue Technologie so zu nutzen, dass sie auch dauerhaft die Profitabilität und den Unternehmenswert erhöht.
Die Krux ist nach Ansicht der McKinsey-Berater, dass viele Manager KI vor allem als Mittel sehen, um die Effizienz in ihren Unternehmen zu erhöhen – was oft darauf hinausläuft, dass intelligente Maschinen menschliche Arbeitskräfte ersetzen. Wissenschaftler wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Daron Acemoglu und der Stanford-Professor Erik Brynjolfsson weisen jedoch schon länger darauf hin, dass KI vor allem ein Motor für Wachstum und Innovation sein kann.
Turing-Test führt in die Irre
Für die Gesellschaft und auch für die Unternehmen sei es vielversprechender, wenn die neuen Technologien genutzt würden, um die menschliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen, anstatt Arbeitsplätze durch Automation zu ersetzen. „Wenn wir diese Denkweise auf die gesamte Wirtschaft übertragen, würden wir nicht nur Kostensenkungen anstreben, sondern auch Verbesserungen in den Bereichen Qualität, Innovation und Wohlstand“, sagte Brynjolfsson der Wirtschaftszeitung „Financial Times“.
Nach Meinung des Stanford-Forschers hat uns der sogenannte „Turing-Test“ in die Irre geführt. Der britische Computerspezialist Alan Turing hatte bereits in den 1950er-Jahren KI daran gemessen, ob sie ähnlich leistungsfähig ist wie das menschliche Gehirn.
Damit schöpfe man jedoch das Wachstumspotenzial von KI nicht aus, sagt Brynjolfsson. Das sei etwa so, als wenn der Autopionier Henry Ford sich damit begnügt hätte, ein Fahrzeug zu entwickeln, das nur so schnell laufen oder gehen könne wie ein Mensch.
Statt den Menschen zu imitieren und zu ersetzen, sei es ökonomisch viel klüger, KI dort einzusetzen, wo die Technologie komparative Vorteile gegenüber dem Menschen habe. Mit anderen Worten: Die smarten Bots sollten sich darauf konzentrieren, Dinge zu tun, die der Mensch nicht könne.
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Der gleichen Meinung ist auch Nobelpreisträger Acemoglu vom renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er vergleicht die Intelligenz der Maschinen mit ihrer Nützlichkeit und kommt zu dem Ergebnis, dass Firmen produktiver und die Gesellschaft wohlhabender sein könnten, wenn KI die Leistungsfähigkeit des Menschen steigert, anstatt ihn zu ersetzen.
Die falsche Weichenstellung werde noch dadurch verstärkt, dass in den meisten Industrieländern Arbeit höher besteuert werde als Kapital. Die Fehlallokation sei auch der Grund dafür, warum die technologische Revolution die gesamtwirtschaftliche Produktivität in den meisten Industrieländern bislang kaum gesteigert habe. Bleibt es dabei, dann werde KI die Produktivität in der nächsten Dekade allenfalls um magere 0,05 Prozent pro Jahr steigern, sagt der Wirtschaftsnobelpreisträger voraus.
KI als Hebel gegen wirtschaftliche Ungleichheit
Bestätigt wird diese Einschätzung durch die McKinsey-Umfrage. Demnach experimentieren zwar fast 90 Prozent der befragten Firmen zumindest in einem Bereich mit KI.
Aber mehr als 60 Prozent sehen bislang keine nennenswerten Auswirkungen auf ihre Profitabilität. Und das, obwohl 80 Prozent der Unternehmen sich vom KI-Einsatz vor allem Effizienzgewinne erhoffen und dabei zumeist auf Automation setzen. Interessant ist, dass jene Firmen, die KI nicht nur als Job-Ersatz, sondern auch als Hebel für Wachstum und Innovation sehen, profitabler sind als der Rest.
KI für die Arbeitskräfte einzusetzen, anstatt diese mit intelligenten Maschinen zu ersetzen, hätte nach Meinung von Brynjolfsson und Acemoglu aber noch einen weiteren wichtigen Vorteil: Der technologische Fortschritt käme nicht nur jenen Tech-Konzernen zugute, die KI kontrollieren und über das dafür notwendige Kapital verfügen.
Diese Konzentration wirtschaftlicher Macht schaffe auch politische Macht, sagen die Wissenschaftler. Und das könne dazu führen, dass andere keine Möglichkeit hätten, das System zu verändern.