Volkswagen: Diese Faktoren erklären Toyotas Vorsprung vor VW

Noch vor wenigen Jahren lag VW mit über zehn Millionen produzierten Fahrzeugen vor Toyota. Heute ist Japans Branchenprimus der einzige Hersteller, der zuverlässig diese prestigeträchtige Zielmarke erreicht – und das auch noch hochprofitabel. Die Japaner verzeichnen Jahr für Jahr Rekordabsätze und -gewinne, erzielen zweistellige Gewinnmargen und sind an der Börse mit 223 Milliarden Dollar etwa viermal so viel wert wie die Wolfsburger. Volkswagen hingegen schockierte die Nation Anfang September mit der Nachricht, nicht genug Autos zu verkaufen, um die heimischen Fabriken auszulasten. Ein Vergleich mit Toyota zeigt, warum die Krise bei VW kein Zufall ist. Allein die Zahl der Mitarbeiter erklärt einen Großteil der Kluft. VW beschäftigte Ende 2023 rund 650.000 Menschen. Toyota verkaufte im selben Jahr mit 270.000 Mitarbeitern rund zwei Millionen Autos mehr, 11,2 Millionen. Die Japaner produzieren also wesentlich effizienter. Das liegt zum einen an Toyotas ewiger Sparsamkeit, zum anderen am Schock der Weltfinanzkrise 2008: Damals stürzte der Autohersteller in nur zwölf Monaten von Rekordgewinnen tief in die Verlustzone und schwor sich daraufhin, die Produktion so zu flexibilisieren, dass das Unternehmen auch bei einem Markteinbruch in ähnlicher Größenordnung von 20 Prozent profitabel bleibt. Dies zahlte sich während der Coronapandemie aus: Toyota war einer der wenigen Hersteller, die keine Verluste hinnehmen mussten. Dabei halten auch die Japaner wie VW an ihrer Heimat als wichtigem Produktionsstandort fest – als Dienst an der Autonation. Das Management hat versprochen, mindestens drei Millionen Autos im eigenen Land zu bauen, um die Zulieferstruktur des Landes nicht zu gefährden. Der zweite Punkt ist VWs waghalsige Wette auf einen ausländischen Markt: China. Dort erzielten die Deutschen auf dem Höhepunkt im Jahr 2019 rund 40 Prozent ihres Absatzes. In Japan schüttelt man über diese freiwillige Abhängigkeit nur den Kopf – und hat vorerst recht behalten. Chinesische Hersteller drängen verstärkt auf den heimischen Markt, ausländische Marken haben das Nachsehen – das spürt auch der VW-Konzern überdeutlich. Zwar sieht auch Toyota das Reich der Mitte als Wachstumsmarkt. Doch aus Gründen der wirtschaftlichen Sicherheit achten die Japaner seit Jahren darauf, weltweit möglichst gleichmäßig präsent zu sein. So können sie lokale Krisen besser abfedern. In China erwirtschaften die Japaner derzeit weniger als 20 Prozent ihres Umsatzes, in ihrem stärksten Markt Nordamerika sind es rund 25 Prozent. Selbst in Europa sind die Japaner auf dem Vormarsch und erzielen dort inzwischen mehr als zehn Prozent ihres weltweiten Absatzes. Der dritte Punkt – die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette – zeigte sich während der pandemiebedingten Chipkrise. Während andere Hersteller wegen fehlender Halbleiter ihren Absatz drastisch senken mussten, konnten die Japaner weiterhin mehr als zehn Millionen Autos produzieren. Denn Toyota konnte auf seine stabilen Lieferketten zurückgreifen und früher reagieren als die Konkurrenz. Der Konzern hat schon früh auf eine enge und vertrauensvolle Kooperation mit seinen Zulieferern gesetzt. Ein Grund waren die permanenten Erdbeben, die das Land immer wieder erschüttern und auch die japanische Autoindustrie für Wochen oder Monate lahmlegen. Toyota überzeugte daraufhin mehr und mehr Zulieferer auch der unteren Stufen, dem Autobauer Einblick in die Lieferkette zu gewähren. Viele Zulieferer machen mit, denn Toyota behandelt sie nicht wie eine Zitrone, die bis zum letzten Tropfen ausgepresst werden muss. Vielmehr ist der Konzern zwar ein sehr fordernder, aber auch treuer Kunde, der in Notlagen auch mal hilft. Der vierte Punkt ist die Jagd nach dem Elektroauto. Das VW-Management ist deutlich früher als Toyota auf den Trend aufgesprungen – getrieben auch von den rigiden CO2-Vorgaben aus Brüssel. Der japanische Branchenprimus ist dagegen heute bei reinen Elektroautos ein Zwerg, weil er die Entwicklung lange unterschätzt hat. Aber im Gegensatz zu den Wolfsburgern verfolgen die Japaner keine Entweder-oder-Strategie – Verbrenner oder Elektroauto. „Multipathway“ ist Toyotas Slogan, mit einem besonderen Gewicht auf der Teilelektrifizierung des Antriebs, sprich Hybridautos. VW leidet derzeit darunter, dass der Markt für batterieelektrische Autos in vielen Märkten derzeit weniger schnell wächst als von vielen prognostiziert. Verschärft wird die Situation durch den extremen Preiskampf aufgrund des Überangebots in China, dem führenden Markt für Elektroautos. Toyota profitiert hingegen von seiner Weltmarktführerschaft bei Hybridautos, die der Konzern von vielen Konkurrenten belächelt vor fast 30 Jahren auf den Weg brachte. Doch der Markt gibt der Strategie recht: Derzeit bevorzugen viele Kunden den Zwitterantrieb als Übergangslösung zu vollelektrischen Modellen. Mit seiner nur langsam anrollenden Elektro-Offensive läuft Toyota zwar langfristig Gefahr, von agileren Anbietern überholt zu werden. Für Investoren bleiben die Japaner jedoch bisher die überzeugendste Wahl unter den traditionellen Automobilherstellern – und nicht VW. Mehr: Krise in Wolfsburg: VW kündigt Jobgarantie tatsächlich auf – Was heißt das für die Belegschaft? Erstpublikation: 19.09.2024, 11:42 Uhr.