Editorial: Kommt das Jahrhundert der europäischen Erniedrigung?

Als ich Korrespondent in den USA war, hörte ich auf langen Autofahrten oft Talkradio, am häufigsten Rush Limbaugh, die mittlerweile verstorbene Leitfigur des erzkonservativen Zorns. Seine Tiraden gegen Linke und Liberale, gegen Feministinnen und Demokraten halfen ganz gut, am Steuer wach zu bleiben.
Aber es war auch der große Erfolg dieses Mannes, der mich damals, Mitte der Zehnerjahre, faszinierte. Bis zu 20 Millionen Hörer lauschten seinen kruden Thesen, auch seiner Leugnung des menschengemachten Klimawandels. Limbaugh brachte mir mit brüllender Inbrunst die Gedanken- und Gefühlswelt eines wachsenden Teils der Amerikaner näher.
Heute erreichen mich derartige Botschaften auf X, jener Plattform, die früher unter dem Namen Twitter für den gepflegten Diskurs mit 140 Zeichen stand, unter Elon Musk aber zu einer Hetzschleuder verkam.
Der Algorithmus beschränkt die angezeigten Posts zunehmend auf wütende, radikale und unversöhnliche Botschaften. Auch X sehe ich als Fenster zu Gedanken und Emotionen, die viele in Deutschland und andernorts teilen. Und diese vielen werden – infolge der Algorithmen – immer mehr. Auf Tiktok spielt sich Ähnliches ab. Die digitale Welt prägt ein eigenes Wertesystem, gesteuert von den Konzernen, die dahinterstehen.





