Kommentar: An Wasserstoffstrategien mangelt es nicht – doch er dürfte trotzdem ein knappes Gut bleiben

In der Wasserstoff-Diskussion ist etwas mehr Realismus angebracht.
Deutschland hat seine Wasserstoffstrategie Anfang Juni vorgelegt, jetzt folgt die EU-Kommission mit der europäischen Variante. Beide Papiere sind durchtränkt von Optimismus. Die zentrale Botschaft beider Strategien: Dem grünen Wasserstoff gehört die Zukunft. Es fällt nicht leicht, die Euphorie zu bremsen. Etwas mehr Realismus scheint aber angebracht.
Keine Frage, grüner Wasserstoff, der auf der Basis von Strom aus erneuerbaren Quellen mittels Elektrolyse hergestellt wird, ist ein Energieträger der Superlative: Er verbrennt CO2-frei, lässt sich recht gut transportieren und auch speichern. Auf dem Weg zur Klimaneutralität wird er eine wichtige Rolle spielen. Für einige Anwendungsbereiche, etwa in der Industrie oder im Flugverkehr, ist er aus heutiger Sicht ohne Alternative.
Gehen wir mal von optimalen Bedingungen aus. Dann wird es Europa mittels Anschubfinanzierungen, Quotenregelungen und diverser weiterer Hilfsinstrumente schaffen, einen Markt für grünen Wasserstoff entstehen zu lassen. Die erwünschte Skalierung der Produktion findet bei gleichzeitiger Kostendegression statt. Das ist die ideale Welt. Doch sie hat Grenzen.
Denn selbst wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien hierzulande und in anderen Staaten Europas mit Riesenschritten vorangeht, damit ausreichend Strom für die Elektrolyse zur Verfügung steht, werden die produzierten Mengen bei Weitem nicht ausreichen, um grünen Wasserstoff für alle Anwendungsfälle zur Verfügung zu haben.
Darüber sind sich alle im Klaren. Die deutsche und die europäische Strategie setzen daher darauf, Kooperationen mit Ländern außerhalb der EU einzugehen: Da, wo die Sonne intensiv scheint und der Wind stetig weht, soll der grüne Wasserstoff produziert und von dort nach Europa transportiert werden.
Das ist ein von Idealismus getragener Plan. Ob er aufgeht, ist unklar. Viele Länder, die aufgrund ihrer klimatischen und geografischen Gegebenheiten optimal geeignet wären, sind politisch instabil. Investoren haben guten Grund, sie zu meiden. Die Länder hingegen, die für Investoren grundsätzlich in Betracht kommen, haben oft ganz andere Probleme. Sie müssen zunächst die eigene Bevölkerung mit Strom versorgen. Fehlender Zugriff auf Strom gilt als Entwicklungshemmnis.
Staaten hingegen, die weder instabil noch schlecht entwickelt sind, dürften kein Interesse daran haben, grünen Wasserstoff zu exportieren. Sie wären gut beraten, gleich noch die Stahl- oder die Chemieindustrie anzusiedeln. Der Zugang zu billigem grünem Wasserstoff dürfte Magnetwirkung entfalten. Warum also die Europäer beliefern?





