Kommentar: Das passiert, wenn Europa Putin gewähren lässt

In der Nacht zu Mittwoch drangen mindestens 19 russische Drohnen in den Luftraum von Nato- und EU-Mitglied Polen ein. Sie verursachten Schäden an Gebäuden und Feldern, glücklicherweise ohne Menschen zu verletzen oder gar zu töten. Dennoch markiert Russlands Angriff auf Polen eine neue Eskalationsstufe. Moskau spielt mit der Unversehrtheit und dem Leben von Zivilistinnen und Zivilisten, die sich in einem Nato-Mitgliedstaat fernab vom Kriegsgebiet befinden. Schon zuvor hatte es vereinzelte Vorfälle mit Drohnen in Nato-Staaten wie Lettland und Litauen gegeben – doch das Ausmaß dieses Angriffs übersteigt die bisher üblichen Provokationen des Kremls. Erschreckend ist der Angriff, doch überraschend kommt er nicht. Russland folgt einem bekannten Muster: Der Kreml verschiebt Grenzen mit bislang beispiellosen Aktionen, wartet die Reaktion des Westens ab und geht beim nächsten Mal noch einen Schritt weiter. So tastet sich Putin systematisch vor, immer darauf vertrauend, dass die Antwort seiner Gegner spät kommt, schwach und uneinheitlich bleibt. Mittlerweile attackiert Moskau die westlichen Verbündeten der Ukraine offen. Entsprechend eindeutig muss die Reaktion der Nato ausfallen. Die Mitgliedstaaten aus Europa dürfen sich dabei nicht darauf verlassen, dass die USA eine Führungsrolle übernehmen. Unter Präsident Donald Trump nähert sich Washington wieder Kremlchef Wladimir Putin an. Die davon ausgehende Gefahr darf Europa nicht unterschätzen. Weitere russische Provokationen und Angriffe werden folgen, Geschlossenheit und Eigeninitiative sind jetzt überlebenswichtig. Natürlich sollte die Antwort maßvoll bleiben, doch sie muss in Moskau spürbar sein. Wer Putin weiter gewähren lässt, verrät nicht nur die Ukraine, die sich den Invasoren seit mehr als dreieinhalb Jahren unter enormen Opfern entgegenstellt. Verraten würde man auch die baltischen Staaten und die skandinavischen Nato-Mitglieder, die wegen ihrer geografischen Lage besonders verwundbar sind und im Ernstfall allein auf die Solidarität des Bündnisses bauen müssten. » Lesen Sie auch: Nehmt Donald Trump endlich ernst Sollte die Nato in entscheidenden Momenten wie diesem ihre Mitglieder nicht mit aller Konsequenz schützen, würde sie damit den Abschied von der bisherigen Weltordnung einleiten. Für die Bedrohungslage in Osteuropa trägt allein Aggressor Russland die Verantwortung. Doch Europa hat es versäumt, Putin rechtzeitig klare Grenzen zu setzen. Hätte man Moskau frühzeitig entschlossen und glaubwürdig signalisiert, dass jede Eskalation teuer und schmerzhaft wird, hätte sich der Kremlchef womöglich gehütet, Drohnen in polnisches Staatsgebiet zu schicken. Stattdessen zeigt sich Europa zögerlich, vermeidet harte Entscheidungen und nutzt die verbliebenen Hebel nicht konsequent. Genau das muss sich nun endlich ändern. Weitere Sanktionen sind unausweichlich, ebenso eine strenge Verfolgung von Sanktionsumgehungen. Auch Unternehmen in den eigenen Mitgliedstaaten dürfen die europäischen Regierungen nicht schonen. Die eingefrorenen russischen Zentralbankgelder sollten zudem unverzüglich der Ukraine zur Verfügung gestellt werden – als Zeichen, dass Europa bereit ist, Mittel einzusetzen, die Wirkung entfalten. Denn die Ukraine ist das einzige Land, das aktuell willens und in der Lage ist, russische Drohnenabschussorte anzugreifen. Sie kämpft nicht nur für ihre eigene Freiheit, sondern auch für die Sicherheit des gesamten Kontinents. Ohne maximale Unterstützung auf militärischer, finanzieller und politischer Ebene wird sie diesen Kampf nicht durchhalten können. Bleibt Europas Antwort hingegen schwach, wird der Angriff auf polnisches Staatsgebiet kein Einzelfall bleiben. Im Gegenteil, er würde für den Kreml zur Einladung, seine Strategie der schrittweisen Eskalation unbeirrt fortzuführen. Mehr: Diesel für Europa: Indiens reichster Mann verdient kräftig am Geschäft mit russischem Öl