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KommentarDer Westen zerlegt sich in der Nord-Stream-2-Frage selbst

Die USA bereiten Sanktionen gegen die Ostsee-Pipeline vor. Das ist scheinheilig. Doch Deutschland trägt eine Mitschuld: Es hat die politische Dimension des Projekts unterschätzt.Jens Münchrath 12.12.2019 - 17:28 Uhr aktualisiert

In Berlin sieht man Nord Stream 2 als privates Profitprojekt eines Privatunternehmens.

Foto: AP

Die USA bereiten Sanktionen gegen Nord Stream 2 vor. Das ist zwar scheinheilig, aber auch Berlin trägt eine gehörige Mitschuld an dem Konflikt, meint Jens Münchrath.

Wie politisch kann ein Gasrohr sein? Das hängt zunächst einmal davon ab, wen man fragt: In Washington ist Nord Stream 2 ein Geopolitikum. In Kiew ist die Ostseepipeline eine Frage des ökonomischen Überlebens. In Moskau ist sie ein veritables Großmachtinstrument.

Nur in Berlin sieht man das anders: Dort ist Nord Stream das Projekt eines privaten Unternehmens. Es geht nicht um Politik, Wirtschaftspolitik oder gar Geopolitik. Nein, es geht um reine Betriebswirtschaft, so die Einstellung der Bundesregierung.

Dass bei derart konträren Sichtweisen beide Seiten richtig liegen, darf ausgeschlossen werden. Zunächst zu den Amerikanern: Mit großer Mehrheit hat das US-Repräsentantenhaus jetzt Sanktionen gegen Nord Stream beschlossen – direkt gegen jene Firmen, die gerade das letzte Stück in der Ostsee verlegen. Die Abgeordneten setzen am neuralgischsten Punkt an.

Es bestehen kaum Zweifel, dass auch der Senat zustimmen wird. Denn so zerstritten Republikaner und Demokraten auch sein mögen, so verbittert und ideologisch sie ihren Konflikt um das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten auch austragen – in der kategorischen Ablehnung von Nord Stream 2 sind sie sich einig.

Auch Donald Trump selbst wird kaum zögern, das Gesetz zu unterschreiben. Er hat noch nie Skrupel gezeigt, wenn es darum ging, „extraterritorial“ zu sanktionieren. Da mag Wladimir Putin noch so sehr „Buddy“ des Präsidenten sein.

USA will Moskau Grenzen setzen

Die Amerikaner behaupten, ihre Politik sei ein Akt der Fürsorge für ein Europa, das offensichtlich nicht in der Lage sei, seine Interessen wahrzunehmen. Der Kontinent begebe sich in völlige Abhängigkeit von russischem Gas, das gelte es zu verhindern. Die USA besitzen sogar die Chuzpe, die Sanktionen „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“ zu nennen.

Das ist scheinheilig. Denn den USA geht es erstens darum, den Großmachtfantasien Moskaus Grenzen zu setzen – so weit, so legitim. Zweitens aber geht es ihnen vor allem um knallharte Wirtschaftsinteressen. Amerika ist inzwischen großer Energieexporteur und will sein verflüssigtes Erdgas nach Europa verkaufen – auf einem Markt, den Russland seit Jahren mehr oder weniger als den seinen betrachtet.

Nun zur Position Deutschlands: Berlin hat sich mit seiner Pipeline-Politik hoffnungslos verrannt. Das zeigt sich spätestens jetzt mit den drohenden US-Sanktionen. Die Haltung gegenüber Moskau war immer schon dialektisch, um es vorsichtig auszudrücken.

Wer kann diese Berliner Melange aus Sanktionen gegenüber Moskau auf der einen und Pipeline-Connection auf der anderen Seite nachvollziehen? Nicht einmal der Bundesaußenminister selbst ist in der Lage, diese Politik schlüssig zu erklären.

Es war von Anfang an gewagt, die deutsche Gasversorgung über eine weitere Ostseepipeline an ein Russland zu binden, das sich unter Putin zunehmend autokratisch nach innen und imperialistisch nach außen gebiert.

Es war ein Fehler, Moskau mit der neuen Pipeline überhaupt die Möglichkeit zu geben, die Ukraine als Transitland für russisches Gas unter Druck zu setzen – ausgerechnet jenes von russischen Transfergebühren abhängige Land, das der Westen und allen voran Deutschland doch so unbedingt gegen die Aggression Moskaus verteidigen will.

Nord Stream 2 ist kein betriebswirtschaftliches Problem

Man mag der Bundesregierung zugutehalten, dass Russlandpolitik immer schon komplex gewesen und vielleicht ohne Widersprüche gar nicht gestaltbar ist. Und es gibt sie ja auch, die Argumente für diese Pipeline: Das Gas ist günstig, günstiger jedenfalls als amerikanisches Flüssiggas.

Auch ist die Behauptung, Europa würde sich komplett abhängig von Putins Gas machen, übertrieben. Die bloße Existenz einer Pipeline hält die Europäer ja nicht davon ab, woanders, etwa in den USA, Gas einzukaufen.

Aber Nord Stream 2 als betriebswirtschaftliches Problem eines privaten Unternehmens zu bagatellisieren, das ist politisch naiv oder sogar fahrlässig. Glaubwürdige, ja souveräne Außenpolitik jedenfalls sieht anders aus, ganz abgesehen von der Tatsache, dass Berlin sich allenfalls halbherzig darum bemüht hat, eine gemeinsame europäische Linie in dieser so wichtigen Frage zu finden.

Nun ist Berlin womöglich gezwungen, wegen eines vermeintlichen „betriebswirtschaftlichen Problems“ in der für Deutschland so essenziellen transatlantischen Beziehung eine Entscheidung zu fällen, die jegliche Bundesregierung in dieser kategorischen Form zu vermeiden trachten sollte: für oder gegen Amerika.

Berlin hat sich ohne Not in eine prekäre Lage manövriert: Ausgerechnet jetzt, wo sie angesichts der drohenden US-Strafzölle auf Autoimporte so dringend auf europäische Solidarität angewiesen ist, düpiert die Bundesregierung mit ihren energiepolitischen Alleingängen die Nachbarstaaten.

Die Kunst der Außenpolitik besteht darin, möglichst wenig zu tun, was die eigene Flexibilität beschränkt, und möglichst viel, was Handlungsoptionen erhält. In der Gasrohr-Politik ist das misslungen. Und der Gewinner heißt Wladimir Putin – wieder einmal.

Mehr: Russland und die Ukraine haben nach Gesprächen keine Einigung im Gas-Streit gefunden. Dennoch scheint Ukraines Präsident Selenski zuversichtlich zu sein.

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