Kommentar Die Leistungsrituale im Investmentbanking sind von vorgestern

Nachwuchskräfte der Investmentbank klagen über systematische Überlastung.
Wie viele öde Powerpoint-Präsentationen mussten die Chefs der Investmentbank Goldman Sachs im Laufe ihres Berufslebens über sich ergehen lassen? Tausende? Zehntausende? Die von 13 Jungbankern Anfang des Jahres für ihre Bosse zusammengebastelten Slides hatten zumindest einen Vorteil: Gelangweilt haben sich die Manager ganz bestimmt nicht.
Im Stil einer echten Goldman-Präsentation haben die Junioren ihren Arbeitsalltag zusammengefasst. Das Ergebnis klingt ungefähr so, als dürften Galeerensträflinge dem Kapitän ihres Sklavenschiffes einmal so richtig die Meinung sagen: „Es ist nicht okay, 110 bis 120 Stunden in einer Woche zu arbeiten“, beschwert sich einer der Nachwuchs-Goldmänner in der Präsentation, die vor ein paar Tagen an die Öffentlichkeit durchsickerte.
„Arbeitslos zu sein macht mir weniger Angst als die Frage, was aus meinem Körper wird, wenn ich diesen Lebensstil fortführe“, klagt ein anderer. Ein Dritter berichtet über chronische Schlaflosigkeit, weil ihn seine Angstzustände nachts wach halten.
Zur Verteidigung der Investmentbanken lässt sich nur ein Argument anführen: Das Schicksal der Jungbanker ist selbst gewählt. Eigentlich hätten sie wissen müssen, worauf sie sich einlassen.
Seit vielen Jahrzehnten schließen die Junioren im Investmentbanking eine Art faustischen Pakt: In ihren ersten Berufsjahren lassen sie sich von ihren Arbeitgebern ausbeuten. Wer durchhält, dem winken dann als ausgewachsenem Dealmaker exorbitante Gehälter und all die Privilegien, die damit einhergehen.
Aber dieses Argument zieht nicht wirklich: Wären die Senior-Banker tatsächlich so smart, wie sie sich ihren Kunden verkaufen, hätten sie längst gemerkt, dass diese testosterongetriebenen Rituale aus der Zeit gefallen sind. Mit einem völlig überzogenen Leistungsethos lassen sich längst nicht mehr die besten Talente anlocken, mögen die für die spätere Karriere in Aussicht gestellten materiellen Belohnungen noch so üppig ausfallen. Ganz abgesehen von der praktischen Frage, wie produktiv chronisch übernächtigte Nachwuchsbanker wirklich sind.
Das Problem betrifft nicht nur Goldman, sondern die gesamte Branche, und es tritt in schöner Regelmäßigkeit in jeder Boomphase an den Märkten auf. Die Goldman-Führung reagierte auf den Angriff aus den eigenen Reihen erwartbar: Man habe die Signale gehört und verstanden – und Schritte eingeleitet, um Spitzenbelastungen zu reduzieren.
Sehr ähnliche Töne waren aus der Branche vor rund fünf Jahren schon einmal zu hören. Damals hatten mehrere Selbstmorde von Jungbankern die Investmentbanken erschüttert. Da ist es fast schon beruhigend, dass die Goldman-Nachwuchskräfte mit ihren Sorgen kollektiv in die Offensive gehen.
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