Kommentar: Die Trump-Panik darf nicht zu europäischem Nationalismus führen


Dieses Bild ist nicht weniger als ein Offenbarungseid. Da stehen sie nebeneinander, EU-Vertreter und US-Delegation, lächeln in die Kameras, die Daumen nach oben. US-Präsident Donald Trump grinst zufrieden, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und ihr Handelskommissar Maros Sefcovic stimmen in die Pose ein. Nur eine bleibt regungslos: Sabine Weyand, die oberste EU-Handelsbeamtin. Kein Lächeln, kein Daumen, kein Mitmachen.
Ein symbolischer Moment europäischer Selbsttäuschung. Während die politische Spitze der EU demonstrativ Einigkeit mit den USA feiert, steht neben ihnen die Frau, die den Preis des Deals kennt – und ihn offenkundig nicht gutheißt.
15 Prozent Einfuhrzölle für EU-Waren, 50 Prozent bei Stahl und Aluminium. Das sind die Kerndaten des Deals. Und die können der obersten EU-Beamtin für Handelspolitik nicht gefallen. Das liegt am Deal an sich. Die EU schlägt wohl nicht mit Gegenzöllen zurück. Dadurch könnte ein Großteil des Schadens durch die Zölle auf Europa zukommen.
Doch es geht um mehr. Der Deal könnte der Todesstoß für den Multilateralismus sein. Weyand hatte in den Verhandlungen lange Zeit darauf gepocht, dass die EU auf einem beiderseitigen Abbau der Zölle bestehen müsse. Regelbasierter Freihandel als oberstes Credo. Von der Leyen stach sie irgendwann aus. Letztlich bot die EU die Zielmarke von 15 Prozent selbst an.
Wirtschaftssicherheit ja, Abschottung nein
Echte Freihändler wie Weyand scheinen in der heutigen Welt keinen Platz mehr zu finden. Die beiden größten Wirtschaftsmächte der Welt schotten sich ab. Erst China, jetzt die USA. Und die EU macht dabei mit.
Nicht nur, weil sie sich von Trump in diesen Deal hat zwängen lassen und er womöglich keine andere Wahl ließ. Sondern, weil sie selbst immer weniger vom Freihandel wissen will. Auch, wenn sie dafür eine andere Begründung findet als Trump: die der Wirtschaftssicherheit. Unter diesem Credo werden Förderprogramme und Strategien aufgelegt, um die europäische Wirtschaft unabhängiger von ausländischen Industrien zu machen.
Europa, insbesondere Deutschland, braucht ein neues Geschäftsmodell. Die USA als Hüter unserer Verteidigung, China als größter Absatzmarkt und Russland als billiger Energielieferant können nicht weiter die Pfeiler unseres Wohlstands sein.
Aber Berlin und Brüssel dürfen bei der Korrektur ihres Geschäftsmodells nicht über das Ziel hinausschießen. Die Globalisierung hat Deutschland groß gemacht. Die wirtschaftlichen Vorteile durch die internationale Arbeitsteilung sind weiterhin unbestritten. Vergesst den britischen Wirtschaftswissenschaftler und Verteidiger des Freihandels nicht. David Ricardo würde uns jetzt zurufen: Bleibt Freihändler!
Das geht auch mit dem berechtigten Wunsch nach einer höheren Wirtschaftssicherheit einher. Staaten können nicht nur dadurch resilienter werden, dass sie Produktionen nach Hause holen. Sie können das auch, wenn sie neue, unterschiedliche Handelspartner finden. Das geht nicht bei jedem kritischen Produkt. Es geht aber bei deutlich mehr, als derzeit in der Diskussion sind. Entscheidend ist: Abhängigkeiten sind per se kein Problem. Sie werden es nur dann, wenn sie einseitig sind.
Die Gesellschaft muss mitmachen
Bei der Stahlproduktion etwa gibt es inzwischen immer mehr Anbieter, auch außerhalb der USA und Chinas, beispielsweise in Nordafrika. Dennoch versucht eine Bundesregierung nach der nächsten, mit Abermilliarden die verbliebenen Stahlhersteller im Land zu halten. Erst ging es um Arbeitsplätze und Wertschöpfung, jetzt um sicherheitspolitische Gründe. Das muss nicht in allen Fällen falsch sein, gilt aber sicherlich nicht für die gesamte Stahlproduktion in Deutschland.
Für eine neue handelspolitische Agenda dieser Art muss aber die Gesellschaft mitziehen. Mythen über Freihandel sind immer noch weit verbreitet. Außerdem schreckt die Politik aus Sorge vor der Agrarlobby zurück, trotz deren mickriger wirtschaftlicher Bedeutung.






Die Gesellschaft muss verstehen, dass ihr langfristiger Wohlstand nur zu erhalten ist, wenn die Mythen den immer noch aktuellen Erkenntnissen von Ricardo weichen. Da hätte Sabine Weyand auch wieder was zu lachen.
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