Kommentar Drohende Pleitewelle: Unternehmer haben es nicht verdient, abgestempelt zu werden

Oft bleibt das Stigma des Versagens, je erfahrener Unternehmer sind, umso mehr.
Wir reden in Deutschland viel über das Scheitern, und dass es bei uns oft noch ein Tabu ist. Dabei geht es eigentlich immer um junge Gründer, Start-ups und den sehnsuchtsvollen Blick ins Silicon Valley. Und eigentlich nie um gestandene Unternehmer, etablierte Geschäftsmodelle und seit Jahren oder Jahrzehnten bestehende kleine und mittlere Firmen.
Dabei machen sie den deutschen Mittelstand aus. Über 99 Prozent aller Unternehmen fallen in diese Kategorie, sie stellen gut die Hälfte aller Arbeitsplätze und erwirtschaften mehr als jeden zweiten Euro. Und auch sie erleben Fehlschläge, denn die Option des Scheiterns von Unternehmern gehört zu einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung mit dem klaren Bekenntnis zum Wettbewerb dazu. 18.749 Unternehmensinsolvenzen gab es in Deutschland im vergangenen Jahr. Das ist die Realität.
Trotzdem will sich niemand so richtig damit auseinandersetzen. Oft bleibt das Stigma des Versagens, je erfahrener Unternehmer sind, umso mehr. Schließlich sind sie doch schon lange dabei und keine Anfänger mehr! Jungen Gründern verzeiht man trotz unserer generell ausbaufähigen Scheiterkultur noch eher Fehler, im Zweifel wussten sie es nicht besser und lernen daraus.
Das führt dazu, dass Unternehmer immer wieder zögern, sich rechtzeitig Hilfe zu holen. Manche warten so lange, bis das Aus unabwendbar ist. Dabei war das vor ein paar Jahren eingeführte sogenannte Schutzschirmverfahren ein guter Ansatz, genau das zu ändern. Es schützt notleidende Firmen, die noch gute Überlebenschancen haben, vor dem Zugriff von Gläubigern.
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Scheitern objektiv analysieren
Die Leitung bleibt in den Händen der Geschäftsführung, der Sanierungsexperten an die Seite gestellt werden sowie ein Sachwalter, der das Verfahren überwacht. Es übernimmt bewusst kein Insolvenzverwalter. Das böse Wort der „Insolvenz“, und damit das Abstempeln, wird vermieden. Obwohl letztlich auch das Schutzschirmverfahren ein Insolvenzverfahren ist.
Allerdings wurde es bis heute kaum angewendet, was auch an der längeren Boomphase lag. Nun erfährt es in der Coronakrise eine Renaissance, denn Experten rechnen mit Tausenden Firmen in Deutschland, denen in den kommenden Monaten die Insolvenz droht.
Natürlich würden wir alles tun, um die Pleitewelle abzuwenden. Schließlich hängen daran Existenzen, Jobs, Schicksale. Aber darin liegt auch die Chance, mit unternehmerischen Fehlschlägen sachlicher umzugehen, vielleicht sogar, sie ein Stück weit zu etablieren. Dabei geht es nicht darum, das Scheitern zu glorifizieren, aber auch nicht darum, es zu dämonisieren. Die meisten Unternehmer haben es nicht verdient, abgestempelt zu werden.
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