Kommentar: Jetzt nicht einholen lassen: Die EU darf im Subventionswettlauf mit den USA nicht stehen bleiben


Europa will der erste klimaneutrale Kontinent werden. Die Investitionen dafür müssen jetzt getätigt werden.
Die Schockstarre hat ein halbes Jahr gedauert, nun muss sich die EU entscheiden, wie sie auf den im August beschlossenen Inflation Reduction Act (IRA) der USA reagiert. Es ist ohne Zweifel ein Balanceakt, der diffiziler kaum sein könnte. Ist die EU zu zaghaft, verliert sie an Wettbewerbsfähigkeit bei grünen Technologien – dem Bereich, der die EU wieder zu einem industriellen Champion machen sollte.
Geht sie allzu forsch ans Werk, riskiert sie den Zusammenhalt innerhalb Europas und einen Handelskonflikt mit den USA. Einen solchen kann gerade jetzt, wo Europa mit einem Krieg im Osten des Kontinents konfrontiert ist, niemand wollen. Europa ist vor allem sicherheitspolitisch so abhängig von den USA wie seit Jahrzehnten nicht.
Es gibt viele Ideen für eine Antwort auf den IRA. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihre Vorstellungen für erste Schritte an diesem Mittwoch vorgestellt. Doch die Gefahr besteht, dass sich die EU-Staaten nicht einmal darauf einlassen. Anstatt eine mutige Strategie zu entwerfen, zerreden sie die Ansätze, die Europa stärken sollen.
Angeblich liegt in vorhandenen Töpfen genug Geld, um den IRA zu kontern. Tatsächlich sind gut 200 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds noch nicht investiert. Die EU-Kommission will dieses Geld jetzt schneller verfügbar machen, indem sie erlaubt, es für Steuerrabatte einzusetzen.
Ob die Summe reicht, um wieder Wettbewerbsgleichheit mit den USA zu erreichen, ist die große Frage. Fest steht: Viele europäische Unternehmen schauen sich derzeit in den USA nach neuen Standorten um. Es braucht so schnell wie möglich eine verlässliche Zusage der Europäer, dass sie darüber hinausgehen werden.
Nicht mit den gleichen Mitteln wie die USA
Die USA haben einen Subventionswettlauf begonnen, und der EU bleibt gar nichts anderes übrig, als mitzulaufen. Sie muss nicht mit den gleichen unfairen Mitteln kämpfen wie die USA, etwa indem sie wie die USA ausländische Unternehmen offen benachteiligt. Damit würde die EU die wenigen noch geltenden Regeln der Globalisierung aufs Spiel setzen.
>> Lesen Sie hier: Brüssel schlägt Steuerrabatte für die Industrie vor. Finanzschwache EU-Länder fürchten, abgehängt zu werden
Und sie muss auch nicht die gleichen Summen investieren wie die USA. Der Grund dafür liegt vor allem daran, dass die EU in den letzten Jahren schon deutlich mehr öffentliches Geld in den Sektor investiert hat. Doch unumstritten ist, dass die USA derzeit im Rennen um die grüne Technologieführerschaft schneller unterwegs sind als die EU. Noch aber liegt Europa in einigen Bereichen vorn.
Die Windkraftbranche und die Wasserstoffbranche finden bisher in der EU am leichtesten die Partner, die sie brauchen, um ihre Projekte umzusetzen. Das ist ein Standortvorteil, der etwas Zeit verschafft. Bei der Batterieproduktion dagegen hat Europa etwas aufzuholen. Die EU darf ihre Mitgliedstaaten nicht daran hindern, diese Branchen zu unterstützen.
Nationale Hilfen für die Wirtschaft sind in vielen Ländern Europas allerdings gefürchtet. Denn die staatlich unterstützte Ansiedlung von Firmen in Deutschland oder Frankreich könnte auch zulasten von EU-Staaten gehen, nicht nur zulasten von China oder den USA. Die Bundesregierung muss genau darauf achten, dass sie mit ihrem Geld zum Nutzen der EU-Partner arbeiten, nicht zu deren Schaden.
Nationale Hilfen sind gefährlich
Wie das schiefgehen kann, hat die Energiekrise gezeigt. Mit ihrem 200-Milliarden-Euro-Paket hat sich die Bundesregierung in den anderen Hauptstädten extrem unbeliebt gemacht und in Brüssel an Einfluss verloren. Besser noch sind europäisch koordinierte Ausgaben. Noch ist nicht klar, wie viel Geld gebraucht wird. Wenn es mehr ist, als sich aus anderen Töpfen zusammenkratzen lässt, sollten auch neue Schulden kein Tabu sein.
Kritiker einer entschlossenen Investitionspolitik verweisen auf die großen Potenziale, die in der Ausbildung von Fachkräften liegen, in der Vertiefung des europäischen Binnenmarkts, in der Schaffung einer Kapitalmarktunion und in schnelleren Beschleunigungsverfahren. Das ist richtig, aber wenig hilfreich. Kaum ein Strategiepapier, das im Brüsseler Europaviertel geschrieben wird, kommt ohne diese Hinweise aus. Und wer weiß: Vielleicht macht die besondere Situation unverhoffte Fortschritte in einem dieser Bereiche möglich.





Aber darauf warten und deswegen die Arbeit an gemeinsamen Investitionen aufschieben, das ist ein größeres Risiko, als zu handeln – und zwar jetzt.





