Kommentar: Trump hält den Eliten der westlichen Demokratien den Spiegel vor

„Ist das nicht verrückt?“, fragte Donald Trump in der Wahlnacht seine euphorischen Anhänger, nachdem ihn die Amerikaner gerade zum zweiten Mal zu ihrem Präsidenten gewählt hatten. Genau das denken wohl auch die meisten Politiker und Wirtschaftsführer in Europa – auch wenn sie es nicht mehr laut sagen würden, um es sich mit dem narzisstischen US-Präsidenten nicht zu verscherzen.
Dass eine Mehrheit der Wähler in der ältesten Demokratie der Welt einem verurteilten Straftäter, notorischen Lügner und Frauenfeind ihr Vertrauen schenkt, ist den meisten hierzulande ein Rätsel. Viel zu gerne und viel zu lange hat man Kamala Harris geglaubt, die im Wahlkampf mit Blick auf Trump dem Rest der Welt und wohl auch sich selbst immer wieder versicherte: „So sind wir nicht.“ Eine Mehrheit der Amerikaner sieht das anders und erkennt sich in der Wut des mächtigsten Störenfrieds der Welt auf die globalen, meist liberal denkenden Eliten wie in einem Spiegelbild wieder.
Donald Trump ist jetzt mehr als nur ein Unfall der Geschichte. Für viele Amerikaner ist er zu ihrem Lautsprecher und Rächer geworden. Nicht, weil sie alle seine Eskapaden gutheißen. Aber sie verachten die demokratischen Eliten und ihre Politik mehr, als sie die Charakterschwächen und das Chaos von Trump fürchten.
Viele Menschen in westlichen Demokratien sind wütend auf die Eliten. Das führt dazu, dass sie sich von der politischen Mitte entfernen. Auch in Europa nutzen Rechtspopulisten wie die AfD das Trump-Drehbuch, um das Establishment zu schwächen. Die jüngsten Wahlerfolge der AfD in Ostdeutschland zeigen, was nach der Bundestagswahl auch hierzulande drohen könnte.
Wut lässt sich nicht mit Statistiken bekämpfen
Wer Trumps Sieg verstehen will, muss erkennen, dass viele Menschen verletzt sind. Sie gehören zu den Verlierern des technologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Wandels. Die Arbeiter in den Kohleminen von West Virginia, die durch grüne Technologien ihre Jobs verloren haben. Die Stahlarbeiter in Sheffield, deren Arbeitsplätze von Billigimporten weggefegt wurden. Und auch viele Ostdeutsche gehören dazu, die sich wirtschaftlich abgehängt fühlen.
Diese Wut lässt sich nicht mit Statistiken bekämpfen. Da hilft es nicht, wenn das Institut der deutschen Wirtschaft nach einer umfangreichen Untersuchung feststellt: „Die subjektive Wahrnehmung des anhaltenden Abgehängtseins vieler Ostdeutscher entspricht zumindest in wirtschaftlichen Belangen nicht der Realität.“ Und da hilft es auch nicht, dass die Menschen in West Virginia enorme Bundeshilfen aus Washington erhalten, die rund zwölf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung ausmachen. „Es gibt keine wirtschaftliche Lösung für eine Krise, die in erster Linie eine Krise des Respekts ist“, legt der US-Kolumnist David Brooks den Finger in die eigentliche Wunde unserer Gesellschaft.
Respekt beginnt mit Zuhören. Zum Beispiel, wenn Menschen sich durch die multikulturellen Veränderungen einer Einwanderungsgesellschaft fremd im eigenen Land fühlen. Oder wenn sich Industriearbeiter in der digitalen Welt der Wissenselite von Homeoffice und Workation nicht mehr wiederfinden. Oder wenn Traditionalisten darauf beharren, dass Sexualität biologisch und nicht politisch definiert wird.
Da ihre Lebenswelt kaum noch mit der harten Realität von bildungsfernen, einkommensschwachen Schichten in Berührung kommt, blickt die liberale Elite in den Spiegel unserer Gesellschaft und sieht nur sich selbst.
Demokratie stirbt zwischen Freund und Feind
Vertieft wird diese Spaltung durch ein binäres Politikverständnis, das in den großen Streitfragen nur noch zwischen Gut und Böse, Menschfreunden und Rassisten, Demokraten und Nazis unterscheidet. In einer Gesellschaft, in der es nur noch Freund oder Feind gibt, bleiben Toleranz und Demokratie auf der Strecke.
Trump hat gewonnen, weil es den Demokraten nicht gelungen ist, eine Mehrheit aus den Gewinnern und Verlierern der wirtschaftlichen, technologischen kulturellen Zeitenwende zusammenzuschweißen. Ein solcher Spagat überfordert offenbar nicht nur die älteste Demokratie der Welt, sondern auch ihre jüngeren Nachfahren in Europa.
Dass die Heilsversprechen von Trump die Not der sich von den Eliten abgehängt, entmachtet und vergessen fühlenden Menschen nicht lindert, sondern etwa durch inflationäre Importzölle noch vergrößert, ändert nichts an dem existenziellen Dilemma für die westlichen Demokratien.
Die Gefahr ist vielmehr, dass Trump und seine europäischen Nachahmer für ihr absehbares Scheitern den „Feind im Inneren“ verantwortlich machen werden, seien es der politische Gegner, der „deep state“, die freie Presse oder die demokratischen Normen. Dieser Zersetzungsprozess hat bereits begonnen und ist nur zu stoppen, wenn die liberalen Eliten im Spiegel nicht mehr nur sich selbst, sondern auch die Wähler von Donald Trump erkennen und ihre Sorgen ernst nehmen. Nur dann werden sie in der Lage sein, dem Trumpismus eine demokratische Alternative entgegenzustellen.