Kommentar: Zurück zur Atomenergie? Solche Überlegungen sollte man getrost vergessen

Der Bau von neuen Kraftwerken ist oftmals unwirtschaftlich.
Die Ziele sind ehrgeizig, möglicherweise sind sie sogar unerreichbar: Deutschland, Europa und am besten die ganze Welt sollen bis 2050 klimaneutral werden. Diese Herausforderung lässt sich nur bewältigen, wenn möglichst alle Optionen gezogen werden, die bei der Reduktion von Treibhausgasemissionen helfen. Einige Klimaschützer und manche europäische Länder setzen daher auf die Atomkraft. Doch sie laufen in eine Sackgasse.
Die Kernkraft hat mindestens zwei eklatante Schwachpunkte. Da ist zum einen das weltweit ungelöste Problem der Entsorgung. Kein Land der Erde kann bislang ein Endlager für hochradioaktive Abfälle vorweisen, das diesen Namen verdient.
Die ganze Hilflosigkeit der entsprechenden Bemühungen offenbart sich in Finnland, wo man in den kommenden Jahren zwar ein Lager in Betrieb nehmen will; die Genehmigung soll jedoch nur für 100 Jahre gelten. Der hochradioaktive Abfall muss aber für eine Million Jahre sicher verwahrt bleiben.
Dazwischen liegen 999.900 Jahre, die ungeklärt sind – eine Zeitspanne, die noch keine Zivilisation auch nur annähernd überdauert hat. Zur Einordnung: Der Mensch bevölkert die Erde seit 300.000 Jahren. Die Vorstellung, man könne aus heutiger Sicht gewährleisten, Atommüll für eine Million Jahre sicher zu verwahren und vor dem Zugriff folgender Generationen zu schützen, ist illusorisch.
In einem Land, in dem – völlig zu Recht – über das hohe Strompreisniveau geklagt wird, sollte auch der zweite Aspekt, der gegen die Kernkraft spricht, zu denken geben: Neue Kernkraftwerke lassen sich nicht wirtschaftlich betreiben.
Neue Kraftwerke sind unwirtschaftlich
Ein Blick nach Großbritannien verdeutlicht das. Die Kosten für die beiden in Bau befindlichen Reaktoren am Standort Hinkley Point steigen rapide, die Stromproduktion wird nur dank großzügiger staatlicher Alimentierung in Form gesicherter Einspeisevergütungen über Jahrzehnte sowie mittels staatlicher Kreditgarantien möglich sein. Der frühere EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat diese Zusagen einmal als „sowjetisch“ bezeichnet.
Hinkley Point ist kein Einzelfall. Im Lichte der Kostensteigerungen und Verzögerungen beim Neubau der Reaktoren im französischen Flamanville und im finnischen Olkiluoto erscheint der Berliner Flughafen BER als Erfolgsprojekt. Parallel sinken die Kosten für die Stromproduktion mittels Wind und Sonne rapide. Neue Kernkraftwerke sind vor diesem Hintergrund ökonomische Totgeburten.
Die Kernkraft hat allenfalls noch in energiehungrigen Schwellenländern eine Zukunft, in denen autokratische Regierungen den Neubau von Reaktoren verordnen, ohne sich seriös mit den Folgekosten zu beschäftigen.
Planung und Finanzierung solcher Vorhaben sind meist völlig intransparent und von westlichen Standards weit entfernt. Diese Vorhaben als Beleg für eine Renaissance der Kernkraft heranzuziehen ist nicht überzeugend. Es handelt sich dabei eher um abschreckende Beispiele.
So spiegelt die aktuelle Debatte über den möglichen Beitrag der Kernkraft zum Klimaschutz ein Grundproblem wider: Die Politik definiert mit leichter Hand Ziel um Ziel. Die Latte wird mit schöner Regelmäßigkeit noch ein paar Prozentpunkte höher gelegt.
Wie und ob sich die Ziele überhaupt erreichen lassen, bleibt offen. Daraus ergeben sich dann auf den ersten Blick neue Chancen für die Kernkraft, die aber einer genaueren Prüfung nicht standhalten.
Klimaneutralität ist nicht allein eine Frage des guten Willens
Es ist an der Zeit, innezuhalten und sich einzugestehen, dass die Erreichung ehrgeiziger Klimaziele nicht allein eine Frage des guten Willens ist. Wer Klimaneutralität will, stößt an Grenzen. An Grenzen, von denen heute niemand weiß, wie sie sich überwinden lassen werden. In der Not auf die Kernkraft zu setzen erscheint indes nicht sinnvoll.
Zum kompletten Bild gehört ein Blick auf die Sondersituation hierzulande. Deutschland bürdet sich mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus der Kohle und der Kernkraft eine Last auf wie kein anderer Industriestaat. Schon zu Beginn des kommenden Jahrzehnts könnte die Situation eintreten, dass aus den Kraftwerksüberkapazitäten der vergangenen Jahre eine Unterdeckung wird.
Mit anderen Worten: Deutschland schwimmt nicht mehr im Stromüberfluss, Strom könnte vielmehr knapp werden. Gleichzeitig kann man schon heute sicher sagen, dass bis zur Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland Ende 2022, von denen zwei im Süden des Landes stehen, die Stromleitungen nicht fertiggestellt sein werden, die den Windstrom aus dem Norden nach Bayern und Baden-Württemberg bringen sollen. Teure Übergangslösungen müssen her, um akute Engpässe zu vermeiden.
Es könnte energiewirtschaftlich sinnvoll sein, einen oder zwei Reaktoren für einen sehr begrenzten Zeitraum länger laufen zu lassen. Politisch durchsetzbar ist das jedoch nicht. Man sollte solche Überlegungen, mögen sie noch so vernünftig erscheinen, daher getrost vergessen.
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