Morning Briefing: Chaos nach Zolldeal – was genau haben wir da vereinbart?
Zollabkommen: Der Streit nach dem Handelsstreit
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
Ob internationales Handelsabkommen oder deutscher Koalitionsvertrag – Verhandlungen über komplexe politische Themen verlaufen fast immer nach dem gleichen Muster: Ein zumeist sehr langes Textdokument mit dem Entwurf des Abkommens wandert zwischen den Verhandlungsparteien hin und her. Darin ist genau vermerkt, welche Punkte bereits „geeint“ sind und welche noch strittig.
Dabei gilt der Grundsatz: „Nichts ist geeint, solange nicht alles geeint ist.“ Soll heißen: Ein Abkommen kann selbst an der letzten Unstimmigkeit noch scheitern. Dafür sind Missverständnisse über das, was am Ende tatsächlich beschlossen wird, weitgehend ausgeschlossen.
Solche Verhandlungen verlaufen oft quälend langsam. Nicht ideal für eine Social-Media-Demokratie mit ihren begrenzten Aufmerksamkeitsspannen.
Wie es anders geht, demonstriert US-Präsident Donald Trump mit seinen Deals: Er glaubt an die Kraft des Gipfeltreffens, bei dem er und sein Gesprächspartner oder seine Gesprächspartnerin nach vergleichsweise wenig Vorbereitung die wesentlichen Streitpunkte ausräumen und öffentlichkeitswirksam per Handschlag ihre Übereinkunft besiegeln: ein Präsident, ein Wort.
Was bei dieser Hau-Ruck-Methode schiefgehen kann, zeigt sich jetzt im Handelsabkommen zwischen der EU und den USA: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Trump haben gerade erst in Schottland auf ihren Zoll-Deal eingeschlagen – da droht der transatlantische Handelskonflikt schon wieder aufzubrechen.
Am Montag veröffentlichte das Weiße Haus ein „Faktenblatt“ mit weitreichenden Aussagen zu Zöllen, Standards und Investitionen. Am Dienstag folgte die EU-Kommission mit einem eigenen Papier, das zahlreiche US-Darstellungen zurückweist und betont, der Handschlag von der Leyens habe keine rechtliche Relevanz – beide Seiten müssten erst ein ordentliches Abkommen aushandeln:
Um vier Unstimmigkeiten geht es dabei vor allem:
- Nach Angaben der USA bleiben die sektoralen Zölle auf Stahl, Aluminium und Kupfer unverändert bei 50 Prozent. Die EU verkündete dagegen bereits am Sonntag, die USA würden Importkontingente für die EU einführen, die „die derzeitigen Zölle von 50 Prozent senken und gleichzeitig einen fairen globalen Wettbewerb gewährleisten“.
- Auf US-Seite heißt es: Bei Schweinefleisch und Milchprodukten werde die EU ihre Regeln anpassen und den amerikanischen Landwirten den Zugang zum europäischen Markt erleichtern. Ein hochrangiger EU-Beamter hingegen betonte am Montag: Lebensmittelstandards seien nicht einmal Teil der Verhandlungen gewesen.
- Vor allem bei den europäischen Digitalgesetzen will die EU-Kommission hart bleiben. „Sie werden in dem Deal keine Elemente aus diesem Bereich finden“, beteuerte eine hochrangige EU-Beamtin noch am Montag. Im Faktenblatt der USA heißt es jedoch, dass die EU und die USA beabsichtigten, „ungerechtfertigte digitale Handelsschranken zu beseitigen“.
- Laut Weißem Haus hat die EU zugesagt, zusätzlich 600 Milliarden Dollar innerhalb von drei Jahren in den USA zu investieren. Im EU-Dokument heißt es, europäische Unternehmen hätten lediglich an solchen Investitionen „Interesse geäußert“.
Mir kommt das sehr bekannt vor. Wer jemals versucht hat, mit seinen Kindern Regeln für die Hausarbeit zu vereinbaren, wird wissen: Wenn beide Parteien grundlegend unterschiedliche Interessen haben, sich aber einigen müssen, ist das Potenzial für Missverständnisse besonders groß. Jeder versteht dann nur, was er oder sie verstehen will. Es gilt: Solange die Sache mit dem Müllraustragen nicht geeint ist, ist gar nichts geeint.
Zollpause USA-China vor Verlängerung
Noch einmal Zölle, aber ein anderer Schauplatz: China und die USA wollen weiter über eine Verlängerung der im Mai vereinbarten Zollpause verhandeln. Das sagte US-Finanzminister Scott Bessent am Dienstagabend. Bessent zufolge gebe es noch einige verbleibende Fragen, diese seien aber „klein“. Eine Verlängerung der Zollpause um weitere 90 Tage sei eine Möglichkeit. Die letzte Entscheidung liege bei Trump.
Ohne Einigung endet die Schonfrist am 12. August, dann träten zwischen China und den USA hohe wechselseitige Straf- und Vergeltungszölle in Kraft.
Kritik an britischer Palästina-Anerkennung
Israel hat die Ankündigung Großbritanniens kritisiert, unter bestimmten Umständen einen Staat Palästina anzuerkennen. Auf „X“ schrieb das israelische Außenministerium:
Der britische Premierminister Keir Starmer hatte angekündigt, dass Großbritannien im September einen Staat Palästina anerkennen werde, sollte Israel sich nicht auf eine Waffenruhe im Gazastreifen, UN-Hilfslieferungen in das Gebiet und andere Schritte in Richtung eines langfristigen Friedens einlassen.
Zugleich sagte Starmer, dass die Forderungen an die islamistische Hamas bestehen blieben: Sie müsse alle Geiseln freilassen, ebenfalls einer Waffenruhe zustimmen, ihre Waffen niederlegen und akzeptieren, dass sie keine Rolle beim Regieren des Gazastreifens spielen werde.
Vergangene Woche hatte bereits der französische Präsident Emmanuel Macron angekündigt, im September die Anerkennung Palästinas offiziell zu machen.
Deutsche Bank mit neuer Chefjuristin
Die Deutsche Bank tauscht ihre Chefjustiziarin aus. Simone Kämpfer, Partnerin der Kanzlei Freshfields, übernimmt den Posten ab Mitte September. Sie ersetzt Friederike Rotsch, die die Bank verlässt. Die Personalentscheidung ist die erste wichtige im Rechtsressort, seit Vorstandschef Christian Sewing die Verantwortung für diesen Bereich im Mai mitübernommen hatte.
Die neue Chefjustiziarin Kämpfer zählt zu den führenden Expertinnen für Wirtschaftsstrafrecht und Compliance. Sie führte etwa für Springer die Ermittlungen im Fall des ehemaligen „Bild“-Chefredakteurs Julian Reichelt. Sie berät auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY im Wirecard-Skandal.
„Climateflation“ verteuert Haselnüsse
„Schwarzbraun ist die Haselnuss“, sang einst Heino, heute müsste man wohl hinzufügen: und ganz schön teuer obendrein! Kein Land produziert mehr Haselnüsse als die Türkei, je nach Saison liefert die Türkei bis zu 70 Prozent der globalen Ernte. Doch im April haben dort Nachtfröste erhebliche Teile der neuen Haselnuss-Ernte zerstört. Die Großhandelspreise für türkische Haselnüsse stiegen seit den Aprilfrösten um gut 30 Prozent.
Das sind schlechte Nachrichten für zahlreiche Lebensmittelhersteller, die Haselnüsse etwa für Schokolade, Nougatcreme oder Müsli benötigen. Viele Lebensmittelhersteller versuchen nun, ihre Lieferketten kurzfristig umzubauen.
Die Haselnuss-Krise trifft eine Branche, die von steigenden Rohstoffpreisen ohnehin schon gebeutelt wird. Denn wegen des Klimawandels kommt es häufiger zu Wetterextremen und Schädlingsbefall. „Climateflation“ wird die Inflation bedingt durch den Klimawandel genannt. Sie verteuert Agrarprodukte wie Olivenöl, Orangensaft, Kakao und Kaffee – oder eben Nüsse.
So benötigt zum Beispiel der Schokoladenhersteller Ritter Sport knapp 4000 Tonnen Haselnüsse im Jahr – den Großteil aus der Türkei. Weil die Haselnüsse für Ritter Sport spezifische Größen haben, sind Alternativquellen schwierig zu erschließen. Wegen der Klimaveränderungen baut Ritter Sport nun eigene Haselnussfarmen in Frankreich auf. Bis zur ersten vollen Ernte dauert es allerdings noch sechs bis acht Jahre.
Aus gutem Grund findet sich in Heinos Ode an die Haselnuss die geradezu prophetische Zeile:
Ich wünsche Ihnen einen knackigen Mittwoch.
Herzliche Grüße,
Ihr
Christian Rickens