
Mindset-Problem: Steckt Deutschland in der Sinnkrise? / Wohnproblem: Steigen die Mieten weiter?
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
Deutschland verzweifelt momentan ein wenig an sich selbst. Die Volkswirtschaft kommt anders als in anderen Ländern in der Eurozone schlechter durch die aktuellen Krisen. Der Titel des Exportweltmeisters ist schon lange dahin, in der Technologie werden wir von Asiaten und Amerikanern abgehängt und mit Blick auf die aktuellen Pisa-Ergebnisse könnte man meinen, die Deutschen würden verdummen. Viele fragen sich, was das Land eigentlich noch kann.
Eine echte Sinnkrise, die der Aufsichtsratschef des Pharmakonzerns Bayer, Norbert Winkeljohann, jedoch für herbeigeredet hält. Trotz Problemen wie Stagnation und Fachkräftemangel glaubt er, dass sich Deutschland zu sehr auf das fokussiere, was nicht läuft. „Das führt dazu, dass immer weniger Menschen etwas Neues wagen.“
Der 66-Jährige beobachtet, dass Innovationen in vielen Firmen massiv zurückgefahren würden. Eine gefährliche Tendenz, denn: „Unternehmen, die in der Krise auf Innovation und Transformation setzen, sind hinterher stärker als zuvor. Das wissen wir seit Jahrzehnten.“
Mit Blick auf die Frage des deutschen Markenkerns von Morgen fordert Winkeljohann, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen und diese gezielt auszubauen. „Es wäre sinnvoll, die Forschungsmilliarden auf die Felder zu konzentrieren, in denen Deutschland die beste Expertise hat oder schnell aufbauen kann“, sagt er. Für die deutsche Wirtschaft sei es „fünf vor zwölf“ – der einzige Ausweg: eine konzertierte Aktion von Politik und Unternehmen über die Parteigrenzen hinweg.
Doch auch Bayer selbst könnte man bei genauerem Hinsehen durchaus eine Sinnkrise attestieren. Annähernd 50 Prozent des Börsenwerts hat das Leverkusener Unternehmen binnen fünf Jahren verloren, das operative Geschäft läuft schwach. Wäre da der Verkauf einer der drei Sparten Agrar, Pharma und rezeptfreie Arzneien nicht eine Möglichkeit, an Geld zu kommen? Der Aufsichtsratschef will nur so viel verraten: „Strukturelle Optionen werden gründlich analysiert“.
Wie sich CEOs in Winkeljohanns Augen zur AfD positionieren sollten, welche Art von Führungskraft derzeit gebraucht wird und wie er seine Rolle als unbequemer Aufsichtsratschef auslebt, lesen Sie im großen Interview mit Handelsblatt-Chefredakteur Sebastian Matthes.
Viele Mieterinnen und Mieter sind derzeit mit Problemen konfrontiert, die weniger mit einer Sinnkrise zu tun haben als mit dem existenziellen Bedürfnis nach bezahlbarem Wohnraum. Glücklich können sich diejenigen schätzen, die eine Wohnung mit einem alten Mietvertrag bewohnen. So glücklich, dass viele sich entscheiden, lieber nicht mehr auszuziehen.
Der Vorstandschef des zweitgrößten deutschen Wohnunternehmens LEG Immobilien, Lars von Lackum, warnt deshalb vor einem Stillstand am deutschen Mietmarkt. Wegen einer strengen Regulierung für Bestandsmieter gebe es „eine wachsende Kluft“ gegenüber den Preisen bei einer Neuvermietung. „Der ganze Wohnungsmarkt erstarrt, was mir Sorgen macht“, warnt der Manager. Für Menschen in Mietwohnung hat er eine schlechte Nachricht mitgebracht: „Die Mietpreise werden 2024 weiter steigen.“
Im Jemen tobt seit zehn Jahren ein Bürgerkrieg, der bisher mehr als 370.000 Menschen das Leben kostete und trotz seiner Grausamkeit in der Weltöffentlichkeit kaum Beachtung fand. Doch das ändert sich gerade schlagartig, seit die dort aktiven, vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen Handelsschiffe im Roten Meer attackieren. Ziel waren bislang mindestens 23 Schiffe.
Logistikunternehmen wie Hapag Lloyd, Maersk und CMA CGM kündigten deshalb an, den Umweg über das Kap der Guten Hoffnung zu nehmen – eine Strecke, für die sie sieben bis 20 Tage zusätzlich benötigen. Die Folge: Die durchschnittlichen Frachtraten, also die Preise für den Transport, sind weltweit um 60 Prozent gestiegen. Der Beschuss der Rebellen könnte schwerwiegende Auswirkungen auf die globalen Lieferketten haben. Um den Welthandel zu schützen, schlossen sich deshalb zehn Staaten, darunter die USA und Großbritannien, unter dem Namen „Operation Prosperity Guardian“ zusammen. Eine Beteiligung Deutschlands wird noch diskutiert.
Am Mittwoch berichtete ich an dieser Stelle von den schleppenden europäischen Aufrüstungsbemühungen und der Angst vor dem Ausstieg der Amerikaner. Abends dann kam die Nachricht, dass Deutschland in die Fertigung von Lenkflugkörpern für das Flugabwehrsystem Patriot einsteigen wird. Den 5,1 Milliarden Euro schweren Auftrag erteilte die Nato Support and Procurement Agency (NSPA), die Beschaffungs- und Instandhaltungsagentur der Verteidigungsallianz.
Verantwortlich für die Produktion ist Comlog, ein Joint Venture zwischen dem US-Unternehmen Raytheon und dem deutschen Rüstungshersteller MBDA. Die Lenkflugkörper sollen im bayerischen Schrobenhausen gebaut werden. Doch da die Mühlen der Rüstung langsamer mahlen als sich das die Politik manchmal wünscht, wird die Produktion wohl erst innerhalb der nächsten drei Jahre starten können.
Ein Grund für den Rüstungsstress der Europäer ist die US-Wahl in diesem Jahr. Sollte Donald Trump wiedergewählt werden, wäre die Sicherheitsgarantie der Amerikaner wohl ein stückweit passé. Der Weg zu den Wahlen ist aber noch weit und bisher steht noch nicht zu 100 Prozent fest, wer für Demokraten und Republikaner antreten wird. Das Duell Trump-Biden scheint am wahrscheinlichsten. Doch das US-System ist kompliziert und die aktuelle Gemengelage macht es noch komplizierter. Schließlich ist Trump in zahlreichen Gerichtsprozessen angeklagt und der amtierende Präsident Joe Biden ein wirklich alter Mann, dessen Gesundheitszustand sich schnell verschlechtern kann.
Wenn Sie die Entwicklungen der kommenden Wochen und Monaten in den USA verstehen und einordnen wollen, empfehle ich Ihnen den Text unserer Washington-Korrespondentin Annett Meiritz, die alle wichtigen Fragen zum Rennen um das Weiße Haus beantwortet.
Zum Abschluss bleiben wir noch kurz in den USA – ein Land, das für verrückte Schadensersatzklagen bekannt ist. Jetzt hat dort eine Frau den Hersteller Hershey des Schokoriegels Reese’s verklagt. Der Grund: Ihr Riegel kam, anders als auf der Verpackung angegeben, nicht in Kürbisform. Die Frau aus Florida möchte von Hershey für die Enttäuschung nun entschädigt werden – mit stattlichen fünf Millionen Dollar.






Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, an dem Sie Ihr Essen bereichert.
Es grüßt Sie herzlich
Ihre
Teresa Stiens
Handelsblatt Redakteurin





