Digitale Souveränität Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft raten zur digitalen Aufholjagd

Der Thinktank Acatech plädiert für offene Standards bei den Mobilfunknetzen.
Berlin Wie können Deutschland und Europa in der Digitalwirtschaft eigenständig werden und ihre Abhängigkeit von den USA und China verringern? Auf diese Frage haben führende Köpfe der Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) jetzt Antworten vorgelegt. Ein wichtiger Hebel ist demnach die europäische Dateninfrastruktur Gaia-X. Sie soll helfen, im gewerblichen Bereich Standards zu setzen und offen zugänglich zu machen. In dem Bereich sei das Rennen noch offen, sagte Acatech-Präsident Karl-Heinz Streibich dem Handelsblatt. Dagegen sei es im Privatkundengeschäft, das Konzerne wie Google, Amazon und Apple (USA) oder Huawei (China) dominierten, entscheidend, europäische Werte wie den Datenschutz durchzusetzen.
„Digitale Souveränität bedeutet, dass wir in der Lage sind, unser Schicksal im digitalen Zeitalter selbst zu managen, dass wir also offen, international vernetzt, aber selbstbestimmt und unabhängig sind“, erklärte Streibich. „Nur so bleiben wir ein innovatives Land und halten unseren Lebensstandard.“
Wie dies gelingen kann, hat Streibich, heute Multiaufsichtsrat bei Software AG, Telekom, Munich RE und Siemens Healthineers, gemeinsam mit dem ehemaligen SAP-Chef Henning Kagermann und der Unternehmensberaterin Katrin Suder in Interviews mit Managern, etwa von BMW, Bosch, SAP, Telekom oder Qualcomm, und Wissenschaftlern von Fraunhofer ermittelt. Sie reagieren damit auf einen Vorstoß, den Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Anfang März mit den Ministerpräsidentinnen von Dänemark, Estland und Finnland unternommen hatte. Im Handelsblatt hatten sie dazu aufgerufen, die digitale Souveränität in Europa zu stärken, um weiter in der globalisierten Wirtschaft erfolgreich zu sein.
Die Experten im Acatech-Thinktank warnen davor, in Europa auf Abschottung zu setzen. „Vielmehr sollten globale Technologieunternehmen zu europäischen Bedingungen eingebunden werden – etwa mit Blick auf Cybersicherheit, Datenschutz und Persönlichkeitsrechte“, heißt es in dem Papier.
„Wir müssen unsere digitale Infrastruktur auf Vordermann bringen“, forderte Streibich. Deutschland sei lange Zeit führend bei analoger Infrastruktur gewesen. „Es nutzt im digitalen Zeitalter aber nichts, die Autobahnen noch etwas breiter zu machen.“
Digitale Infrastruktur wie auch Plattformen sollen sich vielmehr als Service verstehen, bei dem Nutzer ihre Daten leicht portieren und über gebündelte Nachfragemacht die Position Europas im Rennen mit Amerika und China verbessern könnten. Dazu setzt Acatech auf sogenannte Datenräume, die die Gaia-X-Technologie nutzen sollen.
Skaleneffekte sind wichtig
Als Referenzprojekt gilt der „Datenraum Mobilität“, den Acatech für die Bundesregierung aufbaut. Bislang hingegen ist die Bereitschaft vor allem bei den Automobilherstellern gering, sich dort zu beteiligen. Möglichst viele Datenlieferanten und -nutzer einzubinden nennen die Architekten indes als „erfolgskritisch“.
„Es ist eine totale Illusion zu glauben, ein dokumentierter Standard allein sorge für einen relevanten Standard, der Skaleneffekte zur Folge hat“, mahnte Streibich. Ein Skaleneffekt entstehe nur, wenn das Angebot für viele Nutzer attraktiv sei. „Deshalb müssen wir in der Europäischen Union unsere Kräfte bündeln, unter anderem auch die Nachfragemacht bündeln. So entstehen relevante Plattformen für die digitale Welt.“

Der Acatech-Präsident fordert: „Wir müssen unsere Stärken strategisch einsetzen.“
Im Bereich der mobilen Infrastruktur wirbt Acatech für offene Standards bei den Mobilfunkzugangsnetzen, das sogenannte Open RAN. „Ein vollständig offener Open-Source-Ansatz würde Innovation, zum Beispiel 6G, Wettbewerb, Resilienz und Transparenz im Mobilfunk fördern“, heißt es in dem Papier.
Grundsätzlich fordern die Autoren, dass der Staat neben Industriepolitik und Regulierung sicherstellt, dass ausreichend Rohstoffe zur Verfügung stehen. „Die EU muss strategisch den Zugang Europas zu Rohstoffen wie Seltenen Erden sichern, so, wie auch die Impfstoffbeschaffung gemeinsam für Europa gemanagt werden musste und muss“, sagte Streibich.
Auch gelte es, Komponenten zu sichern, etwa Mikrochips, die als wichtige Basistechnologie gelten. Unternehmen wie Zeiss seien mit ihren optischen Verfahren ein wichtiger Produzent. „Solche Vorteile müssen wir nutzen, um Gewicht beispielsweise in Verhandlungen zur Sicherstellung von Verfügbarkeiten zu haben“, forderte der Acatech-Chef. „Wir müssen unsere Stärken strategisch einsetzen.“
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